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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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Arten, welche die größten Verbreitungsbezirke besitzen, am wenigsten
von den Einflüssen der Klimate abhängen und noch größere Erweite-
rung ihres Verbreitungsbezirkes ohne bedeutenden Einfluß ertragen.

Einen wesentlichen Einfluß auf die physische Constitution der
Völkerschaften übt die größere oder geringere Quantität und Be-
schaffenheit der Nahrungsmittel aus, welche sie sich verschaffen können.
Es giebt in der That Völkerschaften, wie die Buschmänner im Cap-
lande, die Feuerländer, die Eingebornen Neuhollands, welche im be-
ständigem Kampfe mit der äußersten Hungersnoth liegen und deren
physische Charaktere dadurch so verändert wurden, daß man sie oft
für speziell verschieden hielt; unverhältnißmäßige Auftreibung des
Bauches, der zur Stillung des Hungers mit gänzlich unverdaulichen
Dingen gefüllt wird, entsetzliche Dürre und Magerkeit der Glieder,
die deßhalb unverhältnißmäßig lang erscheinen, wulstig aufgetriebene
Gelenkknorren und in der Jugend schon gealterte Züge, sowie eine
borkig rußige Haut charakterisiren im Allgemeinen diese verhungern-
den Völkerschaften; indessen bleiben auch bei diesem Zustande die Ei-
genthümlichkeiten, namentlich des Schädelbaues in charakteristischer
Weise ausgeprägt.

Zu den Schwierigkeiten materieller Art, welche wir soeben als
die Fortschritte der menschlichen Naturgeschichte hemmend bezeichneten,
kommen noch andere, welche zwar längst weggeräumt seyn sollten,
aber dennoch nichts desto weniger den verderblichsten Einfluß äußern,
ich meine die religiösen Vorurtheile. Die Mythen aller Völker beschäf-
tigen sich mit der Urzeugung des Menschen und fast alle lassen dieselben
von einem einzigen Paare entstehen, dessen Nachkommen sich allmälig
über die Erde ausbreiteten. Allerdings wird hierbei unter dem Men-
schen stets nur das spezielle Volk verstanden, nicht aber die ganze
Menschheit und gewöhnlich findet sich in diesen Mythen irgend ein
Punkt, wo die Nachkommen des einzigen Elternpaares mit menschlichen
Wesen anderer Art in Berührung kommen, die dann entweder vom
Himmel gefallen oder von der Erde, von den Göttern oder auf irgend
eine andere mirakulöse Weise erzeugt sind. In der jüdischen Mythe
entsteht sogar das Menschengeschlecht zweimal von einem Paare, indem
die ganze adamitische Bevölkerung ohne Ausnahme durch die Sünd-
fluth vernichtet und nur Noah nebst seinen direkten Nachkommen ver-
schont wird, so daß Noah in der That der sekundäre Stammvater
der Menschengattung ist. Eines Theils aus dogmatischen, andern

Arten, welche die größten Verbreitungsbezirke beſitzen, am wenigſten
von den Einflüſſen der Klimate abhängen und noch größere Erweite-
rung ihres Verbreitungsbezirkes ohne bedeutenden Einfluß ertragen.

Einen weſentlichen Einfluß auf die phyſiſche Conſtitution der
Völkerſchaften übt die größere oder geringere Quantität und Be-
ſchaffenheit der Nahrungsmittel aus, welche ſie ſich verſchaffen können.
Es giebt in der That Völkerſchaften, wie die Buſchmänner im Cap-
lande, die Feuerländer, die Eingebornen Neuhollands, welche im be-
ſtändigem Kampfe mit der äußerſten Hungersnoth liegen und deren
phyſiſche Charaktere dadurch ſo verändert wurden, daß man ſie oft
für ſpeziell verſchieden hielt; unverhältnißmäßige Auftreibung des
Bauches, der zur Stillung des Hungers mit gänzlich unverdaulichen
Dingen gefüllt wird, entſetzliche Dürre und Magerkeit der Glieder,
die deßhalb unverhältnißmäßig lang erſcheinen, wulſtig aufgetriebene
Gelenkknorren und in der Jugend ſchon gealterte Züge, ſowie eine
borkig rußige Haut charakteriſiren im Allgemeinen dieſe verhungern-
den Völkerſchaften; indeſſen bleiben auch bei dieſem Zuſtande die Ei-
genthümlichkeiten, namentlich des Schädelbaues in charakteriſtiſcher
Weiſe ausgeprägt.

Zu den Schwierigkeiten materieller Art, welche wir ſoeben als
die Fortſchritte der menſchlichen Naturgeſchichte hemmend bezeichneten,
kommen noch andere, welche zwar längſt weggeräumt ſeyn ſollten,
aber dennoch nichts deſto weniger den verderblichſten Einfluß äußern,
ich meine die religiöſen Vorurtheile. Die Mythen aller Völker beſchäf-
tigen ſich mit der Urzeugung des Menſchen und faſt alle laſſen dieſelben
von einem einzigen Paare entſtehen, deſſen Nachkommen ſich allmälig
über die Erde ausbreiteten. Allerdings wird hierbei unter dem Men-
ſchen ſtets nur das ſpezielle Volk verſtanden, nicht aber die ganze
Menſchheit und gewöhnlich findet ſich in dieſen Mythen irgend ein
Punkt, wo die Nachkommen des einzigen Elternpaares mit menſchlichen
Weſen anderer Art in Berührung kommen, die dann entweder vom
Himmel gefallen oder von der Erde, von den Göttern oder auf irgend
eine andere mirakulöſe Weiſe erzeugt ſind. In der jüdiſchen Mythe
entſteht ſogar das Menſchengeſchlecht zweimal von einem Paare, indem
die ganze adamitiſche Bevölkerung ohne Ausnahme durch die Sünd-
fluth vernichtet und nur Noah nebſt ſeinen direkten Nachkommen ver-
ſchont wird, ſo daß Noah in der That der ſekundäre Stammvater
der Menſchengattung iſt. Eines Theils aus dogmatiſchen, andern

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[552/0558] Arten, welche die größten Verbreitungsbezirke beſitzen, am wenigſten von den Einflüſſen der Klimate abhängen und noch größere Erweite- rung ihres Verbreitungsbezirkes ohne bedeutenden Einfluß ertragen. Einen weſentlichen Einfluß auf die phyſiſche Conſtitution der Völkerſchaften übt die größere oder geringere Quantität und Be- ſchaffenheit der Nahrungsmittel aus, welche ſie ſich verſchaffen können. Es giebt in der That Völkerſchaften, wie die Buſchmänner im Cap- lande, die Feuerländer, die Eingebornen Neuhollands, welche im be- ſtändigem Kampfe mit der äußerſten Hungersnoth liegen und deren phyſiſche Charaktere dadurch ſo verändert wurden, daß man ſie oft für ſpeziell verſchieden hielt; unverhältnißmäßige Auftreibung des Bauches, der zur Stillung des Hungers mit gänzlich unverdaulichen Dingen gefüllt wird, entſetzliche Dürre und Magerkeit der Glieder, die deßhalb unverhältnißmäßig lang erſcheinen, wulſtig aufgetriebene Gelenkknorren und in der Jugend ſchon gealterte Züge, ſowie eine borkig rußige Haut charakteriſiren im Allgemeinen dieſe verhungern- den Völkerſchaften; indeſſen bleiben auch bei dieſem Zuſtande die Ei- genthümlichkeiten, namentlich des Schädelbaues in charakteriſtiſcher Weiſe ausgeprägt. Zu den Schwierigkeiten materieller Art, welche wir ſoeben als die Fortſchritte der menſchlichen Naturgeſchichte hemmend bezeichneten, kommen noch andere, welche zwar längſt weggeräumt ſeyn ſollten, aber dennoch nichts deſto weniger den verderblichſten Einfluß äußern, ich meine die religiöſen Vorurtheile. Die Mythen aller Völker beſchäf- tigen ſich mit der Urzeugung des Menſchen und faſt alle laſſen dieſelben von einem einzigen Paare entſtehen, deſſen Nachkommen ſich allmälig über die Erde ausbreiteten. Allerdings wird hierbei unter dem Men- ſchen ſtets nur das ſpezielle Volk verſtanden, nicht aber die ganze Menſchheit und gewöhnlich findet ſich in dieſen Mythen irgend ein Punkt, wo die Nachkommen des einzigen Elternpaares mit menſchlichen Weſen anderer Art in Berührung kommen, die dann entweder vom Himmel gefallen oder von der Erde, von den Göttern oder auf irgend eine andere mirakulöſe Weiſe erzeugt ſind. In der jüdiſchen Mythe entſteht ſogar das Menſchengeſchlecht zweimal von einem Paare, indem die ganze adamitiſche Bevölkerung ohne Ausnahme durch die Sünd- fluth vernichtet und nur Noah nebſt ſeinen direkten Nachkommen ver- ſchont wird, ſo daß Noah in der That der ſekundäre Stammvater der Menſchengattung iſt. Eines Theils aus dogmatiſchen, andern

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/558>, abgerufen am 25.11.2024.