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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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[Abbildung] Fig. 972.

Der Schädel des Hechtes der Länge nach senkrecht durchschnitten. Die knorpelig bleibenden
Theile sind hier, wie bei den vorigen Figuren, durch senkrechte Strichelung bezeichnet.

Vielleicht kann man diese letzteren beiden Knochen, welche den vorderen
Schluß der Hirnkapsel gegen die Augenhöhle hin bewirken, auch als
Theile des vordersten Schädelwirbels betrachten, welcher sonst nur
durch ein einziges, oft fehlendes Knöchelchen repräsentirt wird, das
aus dem vorderen Vereinigungspunkte der knorpeligen Schädelleisten
sich bildet und das man das hintere Siebbein (Ethmoideum poste-
rius 15)
nennen kann. Oeffnet man den Schädel, so findet sich nur
bei einigen wenigen Fischen ein kleines Knöchelchen im Inneren, wel-
ches zur speziellen Umhüllung des Gehörorganes sich anschickt und
das man als Felsenbein (Os petrosum 13) bezeichnen muß.
Bei den meisten sind die sämmtlichen Höhlen für das Gehörorgan je
nach der Größe des letzteren mehr oder minder in allen seitlichen
Schädelknochen angebracht.

Nur die bis hierher angeführten Knochen bilden sich durch direkte
Verknöcherung aus der ursprünglichen knorpeligen Schädelkapsel, aus
dem Primordialschädel, und gehören deßhalb auch in Wahrheit zu
dem Wirbelsysteme. Es haben sich viele und heftige Streitigkeiten
über die im Beginne unseres Jahrhunderts auftauchende, hauptsächlich
von den Naturphilosophen ausgehende Ansicht entwickelt, wonach die
sämmtlichen Knochen des Schädels nur mehr oder minder zerlegte
Theile von ursprünglichen Wirbeln sein sollten. Man glaubte einen
durchaus gemeinsamen Plan für den Kopfbau aller Wirbelthiere her-
stellen und alle Knochen, die man nur irgend vorfand, in den Wirbel-
typus hineinzwängen zu können, so daß man in den Kiefer- und
Kiemenbogen bald Rippen, bald besondere Ausstrahlungen, den Glied-
massen ähnlich, sehen wollte und in dem Schädel selbst bald mehr,
bald weniger vollständige Wirbel herauszudeuten sich bemühte. Die
allgemeine Ansicht geht jetzt ohne Zweifel dahin, daß viele Knochen
existiren, welche mit dem Wirbelsysteme durchaus nichts gemein haben,
daß manche unter diesen festen Skelettheilen sogar nur einzelnen Grup-
pen der Wirbelthiere zukommen, anderen aber durchaus fehlen, wie die

Vogt. Zoologische Briefe. II. 4


[Abbildung] Fig. 972.

Der Schädel des Hechtes der Länge nach ſenkrecht durchſchnitten. Die knorpelig bleibenden
Theile ſind hier, wie bei den vorigen Figuren, durch ſenkrechte Strichelung bezeichnet.

Vielleicht kann man dieſe letzteren beiden Knochen, welche den vorderen
Schluß der Hirnkapſel gegen die Augenhöhle hin bewirken, auch als
Theile des vorderſten Schädelwirbels betrachten, welcher ſonſt nur
durch ein einziges, oft fehlendes Knöchelchen repräſentirt wird, das
aus dem vorderen Vereinigungspunkte der knorpeligen Schädelleiſten
ſich bildet und das man das hintere Siebbein (Ethmoideum poste-
rius 15)
nennen kann. Oeffnet man den Schädel, ſo findet ſich nur
bei einigen wenigen Fiſchen ein kleines Knöchelchen im Inneren, wel-
ches zur ſpeziellen Umhüllung des Gehörorganes ſich anſchickt und
das man als Felſenbein (Os petrosum 13) bezeichnen muß.
Bei den meiſten ſind die ſämmtlichen Höhlen für das Gehörorgan je
nach der Größe des letzteren mehr oder minder in allen ſeitlichen
Schädelknochen angebracht.

Nur die bis hierher angeführten Knochen bilden ſich durch direkte
Verknöcherung aus der urſprünglichen knorpeligen Schädelkapſel, aus
dem Primordialſchädel, und gehören deßhalb auch in Wahrheit zu
dem Wirbelſyſteme. Es haben ſich viele und heftige Streitigkeiten
über die im Beginne unſeres Jahrhunderts auftauchende, hauptſächlich
von den Naturphiloſophen ausgehende Anſicht entwickelt, wonach die
ſämmtlichen Knochen des Schädels nur mehr oder minder zerlegte
Theile von urſprünglichen Wirbeln ſein ſollten. Man glaubte einen
durchaus gemeinſamen Plan für den Kopfbau aller Wirbelthiere her-
ſtellen und alle Knochen, die man nur irgend vorfand, in den Wirbel-
typus hineinzwängen zu können, ſo daß man in den Kiefer- und
Kiemenbogen bald Rippen, bald beſondere Ausſtrahlungen, den Glied-
maſſen ähnlich, ſehen wollte und in dem Schädel ſelbſt bald mehr,
bald weniger vollſtändige Wirbel herauszudeuten ſich bemühte. Die
allgemeine Anſicht geht jetzt ohne Zweifel dahin, daß viele Knochen
exiſtiren, welche mit dem Wirbelſyſteme durchaus nichts gemein haben,
daß manche unter dieſen feſten Skelettheilen ſogar nur einzelnen Grup-
pen der Wirbelthiere zukommen, anderen aber durchaus fehlen, wie die

Vogt. Zoologiſche Briefe. II. 4
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[49/0055] [Abbildung Fig. 972. Der Schädel des Hechtes der Länge nach ſenkrecht durchſchnitten. Die knorpelig bleibenden Theile ſind hier, wie bei den vorigen Figuren, durch ſenkrechte Strichelung bezeichnet.] Vielleicht kann man dieſe letzteren beiden Knochen, welche den vorderen Schluß der Hirnkapſel gegen die Augenhöhle hin bewirken, auch als Theile des vorderſten Schädelwirbels betrachten, welcher ſonſt nur durch ein einziges, oft fehlendes Knöchelchen repräſentirt wird, das aus dem vorderen Vereinigungspunkte der knorpeligen Schädelleiſten ſich bildet und das man das hintere Siebbein (Ethmoideum poste- rius 15) nennen kann. Oeffnet man den Schädel, ſo findet ſich nur bei einigen wenigen Fiſchen ein kleines Knöchelchen im Inneren, wel- ches zur ſpeziellen Umhüllung des Gehörorganes ſich anſchickt und das man als Felſenbein (Os petrosum 13) bezeichnen muß. Bei den meiſten ſind die ſämmtlichen Höhlen für das Gehörorgan je nach der Größe des letzteren mehr oder minder in allen ſeitlichen Schädelknochen angebracht. Nur die bis hierher angeführten Knochen bilden ſich durch direkte Verknöcherung aus der urſprünglichen knorpeligen Schädelkapſel, aus dem Primordialſchädel, und gehören deßhalb auch in Wahrheit zu dem Wirbelſyſteme. Es haben ſich viele und heftige Streitigkeiten über die im Beginne unſeres Jahrhunderts auftauchende, hauptſächlich von den Naturphiloſophen ausgehende Anſicht entwickelt, wonach die ſämmtlichen Knochen des Schädels nur mehr oder minder zerlegte Theile von urſprünglichen Wirbeln ſein ſollten. Man glaubte einen durchaus gemeinſamen Plan für den Kopfbau aller Wirbelthiere her- ſtellen und alle Knochen, die man nur irgend vorfand, in den Wirbel- typus hineinzwängen zu können, ſo daß man in den Kiefer- und Kiemenbogen bald Rippen, bald beſondere Ausſtrahlungen, den Glied- maſſen ähnlich, ſehen wollte und in dem Schädel ſelbſt bald mehr, bald weniger vollſtändige Wirbel herauszudeuten ſich bemühte. Die allgemeine Anſicht geht jetzt ohne Zweifel dahin, daß viele Knochen exiſtiren, welche mit dem Wirbelſyſteme durchaus nichts gemein haben, daß manche unter dieſen feſten Skelettheilen ſogar nur einzelnen Grup- pen der Wirbelthiere zukommen, anderen aber durchaus fehlen, wie die Vogt. Zoologiſche Briefe. II. 4

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/55>, abgerufen am 28.04.2024.