Substanz, aus welcher ihr ganzer Organismus aufgebaut ist, und die wir unter dem Namen Sarkode kennen gelernt haben. Manchmal ist diese Hautschicht auf dem größten Theile des Körperumfanges oder selbst vollständig nackt, in den meisten Fällen jedoch stehen darauf Wimperhaare entweder zerstreut oder in regelmäßigen Reihen, be- sonders aber in häufiger Anzahl in der Umgebung des Mundes ent- wickelt. Diese Wimper- oder Flimmerhaare sind feine Läppchen oder Härchen, die sehr biegsam sind und nach dem Willen des Thieres bewegt werden können. Sie dienen entweder als Schwimmorgane oder zum Erregen von Strudeln und Wirbeln im Wasser, wodurch kleine Körperchen mit fortgerissen und dem Infusionsthierchen zuge- führt werden. Bei einigen Gattungen bilden sich diese Wimperhaare zu beweglichen Borsten, Griffeln und Haken aus, so daß bei den höchst organisirten Thieren dieser Klasse ziemlich verschiedene Arten von Bewegungsorganen vorkommen können. Einige Familien der Klasse besitzen Panzer, welche aus verschiedenen Stoffen gewebt sind. Bald ist es nur eine einfache Gallerthülse, die ein einziges oder viele Individuen gemeinschaftlich umfaßt, bald eine mehr oder minder hor- nige Kapsel, die auf Wasserpflanzen festsitzt und in welche sich das Thier ganz oder theilweise zurückziehen kann. Bei den frei beweglichen Infusorien hat der hornige oder lederartige Panzer die Gestalt eines Schildchens, welches den Rücken deckt und meist mehr oder minder biegsam ist, oder die einer geschlossenen Büchse, die vorne eine Oeffnung besitzt; eine einzige Familie hat kieselige und unverbrennliche Panzer, die besonders in zahlreichen Massen in den Feuersteinen der Kreide in fossilem Zustande gefunden werden.
Die Bewegungsorgane der Infusorien sind in mannigfacher Weise gestaltet. Bei mehreren Familien existirt nur ein langer faden-
[Abbildung]
Fig. 43. Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46.
Euglena viridis. Verschiedene Contractionszustände der Euglena viridis. a der Rüssel. b der Augenfleck. c der Kern.
förmiger Anhang, welcher peitschen- förmig im Wasser hin und her bewegt wird. Zuweilen vervielfältigt sich die Zahl dieser Geiseln, welche man höchst unpassender Weise auch mit dem Na- men Rüssel belegt hat, obgleich sie nicht hohl sind und niemals zur Anfnahme von Nahrung dienen. Die Anwesen- heit eines solchen Rüssels konnte bis vor wenigen Jahren für einen Beweis der thierischen Natur eines Organis- mus gelten. Seitdem man aber ent-
Subſtanz, aus welcher ihr ganzer Organismus aufgebaut iſt, und die wir unter dem Namen Sarkode kennen gelernt haben. Manchmal iſt dieſe Hautſchicht auf dem größten Theile des Körperumfanges oder ſelbſt vollſtändig nackt, in den meiſten Fällen jedoch ſtehen darauf Wimperhaare entweder zerſtreut oder in regelmäßigen Reihen, be- ſonders aber in häufiger Anzahl in der Umgebung des Mundes ent- wickelt. Dieſe Wimper- oder Flimmerhaare ſind feine Läppchen oder Härchen, die ſehr biegſam ſind und nach dem Willen des Thieres bewegt werden können. Sie dienen entweder als Schwimmorgane oder zum Erregen von Strudeln und Wirbeln im Waſſer, wodurch kleine Körperchen mit fortgeriſſen und dem Infuſionsthierchen zuge- führt werden. Bei einigen Gattungen bilden ſich dieſe Wimperhaare zu beweglichen Borſten, Griffeln und Haken aus, ſo daß bei den höchſt organiſirten Thieren dieſer Klaſſe ziemlich verſchiedene Arten von Bewegungsorganen vorkommen können. Einige Familien der Klaſſe beſitzen Panzer, welche aus verſchiedenen Stoffen gewebt ſind. Bald iſt es nur eine einfache Gallerthülſe, die ein einziges oder viele Individuen gemeinſchaftlich umfaßt, bald eine mehr oder minder hor- nige Kapſel, die auf Waſſerpflanzen feſtſitzt und in welche ſich das Thier ganz oder theilweiſe zurückziehen kann. Bei den frei beweglichen Infuſorien hat der hornige oder lederartige Panzer die Geſtalt eines Schildchens, welches den Rücken deckt und meiſt mehr oder minder biegſam iſt, oder die einer geſchloſſenen Büchſe, die vorne eine Oeffnung beſitzt; eine einzige Familie hat kieſelige und unverbrennliche Panzer, die beſonders in zahlreichen Maſſen in den Feuerſteinen der Kreide in foſſilem Zuſtande gefunden werden.
Die Bewegungsorgane der Infuſorien ſind in mannigfacher Weiſe geſtaltet. Bei mehreren Familien exiſtirt nur ein langer faden-
[Abbildung]
Fig. 43. Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46.
Euglena viridis. Verſchiedene Contractionszuſtände der Euglena viridis. a der Rüſſel. b der Augenfleck. c der Kern.
förmiger Anhang, welcher peitſchen- förmig im Waſſer hin und her bewegt wird. Zuweilen vervielfältigt ſich die Zahl dieſer Geiſeln, welche man höchſt unpaſſender Weiſe auch mit dem Na- men Rüſſel belegt hat, obgleich ſie nicht hohl ſind und niemals zur Anfnahme von Nahrung dienen. Die Anweſen- heit eines ſolchen Rüſſels konnte bis vor wenigen Jahren für einen Beweis der thieriſchen Natur eines Organis- mus gelten. Seitdem man aber ent-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0092"n="86"/>
Subſtanz, aus welcher ihr ganzer Organismus aufgebaut iſt, und die<lb/>
wir unter dem Namen Sarkode kennen gelernt haben. Manchmal iſt<lb/>
dieſe <hirendition="#g">Hautſchicht</hi> auf dem größten Theile des Körperumfanges oder<lb/>ſelbſt vollſtändig nackt, in den meiſten Fällen jedoch ſtehen darauf<lb/><hirendition="#g">Wimperhaare</hi> entweder zerſtreut oder in regelmäßigen Reihen, be-<lb/>ſonders aber in häufiger Anzahl in der Umgebung des Mundes ent-<lb/>
wickelt. Dieſe Wimper- oder Flimmerhaare ſind feine Läppchen oder<lb/>
Härchen, die ſehr biegſam ſind und nach dem Willen des Thieres<lb/>
bewegt werden können. Sie dienen entweder als Schwimmorgane<lb/>
oder zum Erregen von Strudeln und Wirbeln im Waſſer, wodurch<lb/>
kleine Körperchen mit fortgeriſſen und dem Infuſionsthierchen zuge-<lb/>
führt werden. Bei einigen Gattungen bilden ſich dieſe Wimperhaare<lb/>
zu beweglichen Borſten, Griffeln und Haken aus, ſo daß bei den<lb/>
höchſt organiſirten Thieren dieſer Klaſſe ziemlich verſchiedene Arten<lb/>
von Bewegungsorganen vorkommen können. Einige Familien der<lb/>
Klaſſe beſitzen Panzer, welche aus verſchiedenen Stoffen gewebt ſind.<lb/>
Bald iſt es nur eine einfache Gallerthülſe, die ein einziges oder viele<lb/>
Individuen gemeinſchaftlich umfaßt, bald eine mehr oder minder hor-<lb/>
nige Kapſel, die auf Waſſerpflanzen feſtſitzt und in welche ſich das<lb/>
Thier ganz oder theilweiſe zurückziehen kann. Bei den frei beweglichen<lb/>
Infuſorien hat der hornige oder lederartige Panzer die Geſtalt eines<lb/>
Schildchens, welches den Rücken deckt und meiſt mehr oder minder biegſam<lb/>
iſt, oder die einer geſchloſſenen Büchſe, die vorne eine Oeffnung beſitzt;<lb/>
eine einzige Familie hat kieſelige und unverbrennliche Panzer, die<lb/>
beſonders in zahlreichen Maſſen in den Feuerſteinen der Kreide in<lb/>
foſſilem Zuſtande gefunden werden.</p><lb/><p>Die <hirendition="#g">Bewegungsorgane</hi> der Infuſorien ſind in mannigfacher<lb/>
Weiſe geſtaltet. Bei mehreren Familien exiſtirt nur ein langer faden-<lb/><figure><head>Fig. 43. Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46.</head><lb/><p><hirendition="#aq">Euglena viridis.</hi><lb/>
Verſchiedene Contractionszuſtände<lb/>
der <hirendition="#aq">Euglena viridis. a</hi> der Rüſſel.<lb/><hirendition="#aq">b</hi> der Augenfleck. <hirendition="#aq">c</hi> der Kern.</p></figure><lb/>
förmiger Anhang, welcher peitſchen-<lb/>
förmig im Waſſer hin und her bewegt<lb/>
wird. Zuweilen vervielfältigt ſich die<lb/>
Zahl dieſer Geiſeln, welche man höchſt<lb/>
unpaſſender Weiſe auch mit dem Na-<lb/>
men Rüſſel belegt hat, obgleich ſie nicht<lb/>
hohl ſind und niemals zur Anfnahme<lb/>
von Nahrung dienen. Die Anweſen-<lb/>
heit eines ſolchen Rüſſels konnte bis<lb/>
vor wenigen Jahren für einen Beweis<lb/>
der thieriſchen Natur eines Organis-<lb/>
mus gelten. Seitdem man aber ent-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[86/0092]
Subſtanz, aus welcher ihr ganzer Organismus aufgebaut iſt, und die
wir unter dem Namen Sarkode kennen gelernt haben. Manchmal iſt
dieſe Hautſchicht auf dem größten Theile des Körperumfanges oder
ſelbſt vollſtändig nackt, in den meiſten Fällen jedoch ſtehen darauf
Wimperhaare entweder zerſtreut oder in regelmäßigen Reihen, be-
ſonders aber in häufiger Anzahl in der Umgebung des Mundes ent-
wickelt. Dieſe Wimper- oder Flimmerhaare ſind feine Läppchen oder
Härchen, die ſehr biegſam ſind und nach dem Willen des Thieres
bewegt werden können. Sie dienen entweder als Schwimmorgane
oder zum Erregen von Strudeln und Wirbeln im Waſſer, wodurch
kleine Körperchen mit fortgeriſſen und dem Infuſionsthierchen zuge-
führt werden. Bei einigen Gattungen bilden ſich dieſe Wimperhaare
zu beweglichen Borſten, Griffeln und Haken aus, ſo daß bei den
höchſt organiſirten Thieren dieſer Klaſſe ziemlich verſchiedene Arten
von Bewegungsorganen vorkommen können. Einige Familien der
Klaſſe beſitzen Panzer, welche aus verſchiedenen Stoffen gewebt ſind.
Bald iſt es nur eine einfache Gallerthülſe, die ein einziges oder viele
Individuen gemeinſchaftlich umfaßt, bald eine mehr oder minder hor-
nige Kapſel, die auf Waſſerpflanzen feſtſitzt und in welche ſich das
Thier ganz oder theilweiſe zurückziehen kann. Bei den frei beweglichen
Infuſorien hat der hornige oder lederartige Panzer die Geſtalt eines
Schildchens, welches den Rücken deckt und meiſt mehr oder minder biegſam
iſt, oder die einer geſchloſſenen Büchſe, die vorne eine Oeffnung beſitzt;
eine einzige Familie hat kieſelige und unverbrennliche Panzer, die
beſonders in zahlreichen Maſſen in den Feuerſteinen der Kreide in
foſſilem Zuſtande gefunden werden.
Die Bewegungsorgane der Infuſorien ſind in mannigfacher
Weiſe geſtaltet. Bei mehreren Familien exiſtirt nur ein langer faden-
[Abbildung Fig. 43. Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46.
Euglena viridis.
Verſchiedene Contractionszuſtände
der Euglena viridis. a der Rüſſel.
b der Augenfleck. c der Kern.]
förmiger Anhang, welcher peitſchen-
förmig im Waſſer hin und her bewegt
wird. Zuweilen vervielfältigt ſich die
Zahl dieſer Geiſeln, welche man höchſt
unpaſſender Weiſe auch mit dem Na-
men Rüſſel belegt hat, obgleich ſie nicht
hohl ſind und niemals zur Anfnahme
von Nahrung dienen. Die Anweſen-
heit eines ſolchen Rüſſels konnte bis
vor wenigen Jahren für einen Beweis
der thieriſchen Natur eines Organis-
mus gelten. Seitdem man aber ent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/92>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.