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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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bryonaltheiles bildet sich nun zum Darmkanale aus, in der Weise,
daß der ganze Dotter von diesem Darmkanale umschlossen wird und
niemals ein eigener Dottersack existirt. Der Dotter zehrt sich nun
rasch auf, während der Embryo sich mehr und mehr ausbildet und
nach und nach statt der auf den Rücken gebogenen Lage gerade die
entgegengesetzte Krümmung einnimmt. Die Füße und Kauwerkzeuge,
sowie die Fühler, welche anfänglich warzenförmigen Fortsätzen glichen,
gliedern sich nach und nach durch Einschnürungen und schlagen sich
so ein, daß sie an der gekrümmten Bauchfläche hart neben einander
liegen. Das Rückengefäß entsteht erst sehr spät an der Stelle, wo
sich die Embryonalschicht über dem Dotter geschlossen hat. Das junge
Thier verläßt das Ei gewöhnlich mit dem Augenblicke, wo die sämmt-
liche Dottermasse aufgezehrt ist.

Nur bei wenigen Insekten zeigt das aus dem Eie geschlüpfte We-
sen schon bis auf wenige Verschiedenheiten Form und Verhältnisse des
ausgewachsenen Thieres; in diesem Falle sind aber dann auch die Unter-
schiede nicht größer, als diejenigen, welche man zwischen einem neugebornen
Kinde und Erwachsenen findet. Das Insekt wächst nun bis zu der ihm be-
stimmten Größe aus, indem es sich von Zeit zu Zeit häutet und mit jeder
Häutung eine dem vollendeten Zustand mehr genäherte Form annimmt.
Jede dieser Häutungen ist eine Art kritischer Periode für das Thier,
das vorher sich sichtlich unwohl fühlt, und nach überstandener Häutung
mit verdoppeltem Appetite frißt. Gewöhnlich springt die alte Körper-
haut nach wiederholten Anstrengungen des Thieres in der Nähe des
Nackens, und das Thier, dessen neue Haut noch weich ist, zieht sich
allmälig aus dieser Spalte hervor und läßt die alte leere Haut zu-
rück, an der man oft auch die innere Auskleidung des Anfangs der Luft-
röhrenstämme, sowie des Schlundes und des Mastdarmes hängen
sieht. Nach der letzten Häutung pflanzt sich das Thier fort und stirbt
gewöhnlich kurze Zeit nachdem es den Fortbestand der Art gesichert hat.
Die Insekten, welche diesen Umlauf des Lebens zeigen, stehen auf der
untersten Stufe in dieser großen Klasse, und werden Insekten ohne
Verwandlung
(Ametabola) genannt.

Eine zweite große Gruppe von Insekten, welche die Ordnungen

Vogt, Zoologische Briefe I. 35

bryonaltheiles bildet ſich nun zum Darmkanale aus, in der Weiſe,
daß der ganze Dotter von dieſem Darmkanale umſchloſſen wird und
niemals ein eigener Dotterſack exiſtirt. Der Dotter zehrt ſich nun
raſch auf, während der Embryo ſich mehr und mehr ausbildet und
nach und nach ſtatt der auf den Rücken gebogenen Lage gerade die
entgegengeſetzte Krümmung einnimmt. Die Füße und Kauwerkzeuge,
ſowie die Fühler, welche anfänglich warzenförmigen Fortſätzen glichen,
gliedern ſich nach und nach durch Einſchnürungen und ſchlagen ſich
ſo ein, daß ſie an der gekrümmten Bauchfläche hart neben einander
liegen. Das Rückengefäß entſteht erſt ſehr ſpät an der Stelle, wo
ſich die Embryonalſchicht über dem Dotter geſchloſſen hat. Das junge
Thier verläßt das Ei gewöhnlich mit dem Augenblicke, wo die ſämmt-
liche Dottermaſſe aufgezehrt iſt.

Nur bei wenigen Inſekten zeigt das aus dem Eie geſchlüpfte We-
ſen ſchon bis auf wenige Verſchiedenheiten Form und Verhältniſſe des
ausgewachſenen Thieres; in dieſem Falle ſind aber dann auch die Unter-
ſchiede nicht größer, als diejenigen, welche man zwiſchen einem neugebornen
Kinde und Erwachſenen findet. Das Inſekt wächſt nun bis zu der ihm be-
ſtimmten Größe aus, indem es ſich von Zeit zu Zeit häutet und mit jeder
Häutung eine dem vollendeten Zuſtand mehr genäherte Form annimmt.
Jede dieſer Häutungen iſt eine Art kritiſcher Periode für das Thier,
das vorher ſich ſichtlich unwohl fühlt, und nach überſtandener Häutung
mit verdoppeltem Appetite frißt. Gewöhnlich ſpringt die alte Körper-
haut nach wiederholten Anſtrengungen des Thieres in der Nähe des
Nackens, und das Thier, deſſen neue Haut noch weich iſt, zieht ſich
allmälig aus dieſer Spalte hervor und läßt die alte leere Haut zu-
rück, an der man oft auch die innere Auskleidung des Anfangs der Luft-
röhrenſtämme, ſowie des Schlundes und des Maſtdarmes hängen
ſieht. Nach der letzten Häutung pflanzt ſich das Thier fort und ſtirbt
gewöhnlich kurze Zeit nachdem es den Fortbeſtand der Art geſichert hat.
Die Inſekten, welche dieſen Umlauf des Lebens zeigen, ſtehen auf der
unterſten Stufe in dieſer großen Klaſſe, und werden Inſekten ohne
Verwandlung
(Ametabola) genannt.

Eine zweite große Gruppe von Inſekten, welche die Ordnungen

Vogt, Zoologiſche Briefe I. 35
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[545/0551] bryonaltheiles bildet ſich nun zum Darmkanale aus, in der Weiſe, daß der ganze Dotter von dieſem Darmkanale umſchloſſen wird und niemals ein eigener Dotterſack exiſtirt. Der Dotter zehrt ſich nun raſch auf, während der Embryo ſich mehr und mehr ausbildet und nach und nach ſtatt der auf den Rücken gebogenen Lage gerade die entgegengeſetzte Krümmung einnimmt. Die Füße und Kauwerkzeuge, ſowie die Fühler, welche anfänglich warzenförmigen Fortſätzen glichen, gliedern ſich nach und nach durch Einſchnürungen und ſchlagen ſich ſo ein, daß ſie an der gekrümmten Bauchfläche hart neben einander liegen. Das Rückengefäß entſteht erſt ſehr ſpät an der Stelle, wo ſich die Embryonalſchicht über dem Dotter geſchloſſen hat. Das junge Thier verläßt das Ei gewöhnlich mit dem Augenblicke, wo die ſämmt- liche Dottermaſſe aufgezehrt iſt. Nur bei wenigen Inſekten zeigt das aus dem Eie geſchlüpfte We- ſen ſchon bis auf wenige Verſchiedenheiten Form und Verhältniſſe des ausgewachſenen Thieres; in dieſem Falle ſind aber dann auch die Unter- ſchiede nicht größer, als diejenigen, welche man zwiſchen einem neugebornen Kinde und Erwachſenen findet. Das Inſekt wächſt nun bis zu der ihm be- ſtimmten Größe aus, indem es ſich von Zeit zu Zeit häutet und mit jeder Häutung eine dem vollendeten Zuſtand mehr genäherte Form annimmt. Jede dieſer Häutungen iſt eine Art kritiſcher Periode für das Thier, das vorher ſich ſichtlich unwohl fühlt, und nach überſtandener Häutung mit verdoppeltem Appetite frißt. Gewöhnlich ſpringt die alte Körper- haut nach wiederholten Anſtrengungen des Thieres in der Nähe des Nackens, und das Thier, deſſen neue Haut noch weich iſt, zieht ſich allmälig aus dieſer Spalte hervor und läßt die alte leere Haut zu- rück, an der man oft auch die innere Auskleidung des Anfangs der Luft- röhrenſtämme, ſowie des Schlundes und des Maſtdarmes hängen ſieht. Nach der letzten Häutung pflanzt ſich das Thier fort und ſtirbt gewöhnlich kurze Zeit nachdem es den Fortbeſtand der Art geſichert hat. Die Inſekten, welche dieſen Umlauf des Lebens zeigen, ſtehen auf der unterſten Stufe in dieſer großen Klaſſe, und werden Inſekten ohne Verwandlung (Ametabola) genannt. Eine zweite große Gruppe von Inſekten, welche die Ordnungen Vogt, Zoologiſche Briefe I. 35

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/551>, abgerufen am 14.06.2024.