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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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des oft außerordentlich feinen Geruchsinnes, so wie bei den Augen
über den Bau der Sehwerkzeuge gesprochen. Der Tastsinn, welchem
die Antennen vieler Insekten unzweifelhaft in hohem Grade dienen,
findet außerdem noch in den Tastern der Kauwerkzeuge, in den Spitzen
der saugenden Mundwerkzeuge, in der Legeröhre vieler Weibchen, so
wie sehr häufig auch in den Tarsen der Füße ausgezeichnete Organe.
Weniger leicht gelingt es, sich über den Geschmack und das Gehör
der Insekten Aufklärung zu verschaffen. Was ersteren betrifft, so kann
man nicht verkennen, daß manche Insekten in Bezug auf ihre Nah-
rung sehr wählerisch sind; und es mögen wohl besonders die weiche
Zunge, wenn eine solche vorhanden ist, oder die weichen Taster und
Kinnladen Sitz des Geschmacks sein. Hinsichtlich der Gehörwerk-
zeuge
waltet fast noch größeres Dunkel, indem man nur bei sehr
wenigen Geradflüglern wahre Ohren entdeckt hat, bei allen übrigen
Insekten aber durchaus kein Organ für diesen Sinn hat finden kön-
nen, obgleich Tonbildung bei ihnen nichts seltenes ist, und sogar oft
in Beziehung namentlich zu ihren Geschlechtsfunctionen steht. So
locken manche Holzkäfer ihre Weibchen dadurch, daß sie mit dem har-
ten Kopfe oder Hinterleibe mit großer Heftigkeit auf das Holz auf-
pochen; die Schnarrschrecken geigen mit ihren Hinterbeinen an dem
Außenrande der Flügeldecken; die Heuschrecken und Gryllen reiben den
harten und scharfen Rand der Wurzel der einen Flügeldecke gegen
eine gerippte Hornleiste an der Wurzel der anderen Flügeldecke, und
bringen dadurch den schrillenden Lockton hervor. Viele Käfer und
Wanzen zirpen, indem sie die Vorderbrust gegen den Mittelrücken oder
den Hinterleib gegen die Flügeldecken reiben. Die Singeikaden brin-
gen ihren unleidlichen sogenannten Gesang mittelst einer trockenen
Trommelhaut hervor, welche an dem ersten Hinterleibsringe in ähn-
licher Weise, wie das Fell eines Tamburins in einem runden Ringe
ausgespannt ist, durch einen eigenen Muskel gespannt und plötzlich
wieder losgeschnellt wird. Alle diese Töne beziehen sich auf die Ver-
einigung der beiden Geschlechter, und vielleicht steht auch das Summen
vieler fliegenden Insekten, welches offenbar durch die abwechselnde
Spannung und Erschlaffung des Brustkastens während der Flugbe-
wegung und der dieselbe begleitenden zahlreichen Muskelcontractionen
erzeugt wird, hierzu in einiger Beziehung. Dennoch ist es noch nicht
gelungen, bei anderen Insekten als Heuschrecken, Gryllen und Schnarr-
schrecken ein Ohr nachzuweisen. Bei den Schnarrschrecken (Acridida)
liegt dieses Ohr am Hintertheile der Hinterbrust, und stellt eine mit
einem Trommelfelle geschlossene Grube dar, hinter welcher ein zartes

des oft außerordentlich feinen Geruchſinnes, ſo wie bei den Augen
über den Bau der Sehwerkzeuge geſprochen. Der Taſtſinn, welchem
die Antennen vieler Inſekten unzweifelhaft in hohem Grade dienen,
findet außerdem noch in den Taſtern der Kauwerkzeuge, in den Spitzen
der ſaugenden Mundwerkzeuge, in der Legeröhre vieler Weibchen, ſo
wie ſehr häufig auch in den Tarſen der Füße ausgezeichnete Organe.
Weniger leicht gelingt es, ſich über den Geſchmack und das Gehör
der Inſekten Aufklärung zu verſchaffen. Was erſteren betrifft, ſo kann
man nicht verkennen, daß manche Inſekten in Bezug auf ihre Nah-
rung ſehr wähleriſch ſind; und es mögen wohl beſonders die weiche
Zunge, wenn eine ſolche vorhanden iſt, oder die weichen Taſter und
Kinnladen Sitz des Geſchmacks ſein. Hinſichtlich der Gehörwerk-
zeuge
waltet faſt noch größeres Dunkel, indem man nur bei ſehr
wenigen Geradflüglern wahre Ohren entdeckt hat, bei allen übrigen
Inſekten aber durchaus kein Organ für dieſen Sinn hat finden kön-
nen, obgleich Tonbildung bei ihnen nichts ſeltenes iſt, und ſogar oft
in Beziehung namentlich zu ihren Geſchlechtsfunctionen ſteht. So
locken manche Holzkäfer ihre Weibchen dadurch, daß ſie mit dem har-
ten Kopfe oder Hinterleibe mit großer Heftigkeit auf das Holz auf-
pochen; die Schnarrſchrecken geigen mit ihren Hinterbeinen an dem
Außenrande der Flügeldecken; die Heuſchrecken und Gryllen reiben den
harten und ſcharfen Rand der Wurzel der einen Flügeldecke gegen
eine gerippte Hornleiſte an der Wurzel der anderen Flügeldecke, und
bringen dadurch den ſchrillenden Lockton hervor. Viele Käfer und
Wanzen zirpen, indem ſie die Vorderbruſt gegen den Mittelrücken oder
den Hinterleib gegen die Flügeldecken reiben. Die Singeikaden brin-
gen ihren unleidlichen ſogenannten Geſang mittelſt einer trockenen
Trommelhaut hervor, welche an dem erſten Hinterleibsringe in ähn-
licher Weiſe, wie das Fell eines Tamburins in einem runden Ringe
ausgeſpannt iſt, durch einen eigenen Muskel geſpannt und plötzlich
wieder losgeſchnellt wird. Alle dieſe Töne beziehen ſich auf die Ver-
einigung der beiden Geſchlechter, und vielleicht ſteht auch das Summen
vieler fliegenden Inſekten, welches offenbar durch die abwechſelnde
Spannung und Erſchlaffung des Bruſtkaſtens während der Flugbe-
wegung und der dieſelbe begleitenden zahlreichen Muskelcontractionen
erzeugt wird, hierzu in einiger Beziehung. Dennoch iſt es noch nicht
gelungen, bei anderen Inſekten als Heuſchrecken, Gryllen und Schnarr-
ſchrecken ein Ohr nachzuweiſen. Bei den Schnarrſchrecken (Acridida)
liegt dieſes Ohr am Hintertheile der Hinterbruſt, und ſtellt eine mit
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[533/0539] des oft außerordentlich feinen Geruchſinnes, ſo wie bei den Augen über den Bau der Sehwerkzeuge geſprochen. Der Taſtſinn, welchem die Antennen vieler Inſekten unzweifelhaft in hohem Grade dienen, findet außerdem noch in den Taſtern der Kauwerkzeuge, in den Spitzen der ſaugenden Mundwerkzeuge, in der Legeröhre vieler Weibchen, ſo wie ſehr häufig auch in den Tarſen der Füße ausgezeichnete Organe. Weniger leicht gelingt es, ſich über den Geſchmack und das Gehör der Inſekten Aufklärung zu verſchaffen. Was erſteren betrifft, ſo kann man nicht verkennen, daß manche Inſekten in Bezug auf ihre Nah- rung ſehr wähleriſch ſind; und es mögen wohl beſonders die weiche Zunge, wenn eine ſolche vorhanden iſt, oder die weichen Taſter und Kinnladen Sitz des Geſchmacks ſein. Hinſichtlich der Gehörwerk- zeuge waltet faſt noch größeres Dunkel, indem man nur bei ſehr wenigen Geradflüglern wahre Ohren entdeckt hat, bei allen übrigen Inſekten aber durchaus kein Organ für dieſen Sinn hat finden kön- nen, obgleich Tonbildung bei ihnen nichts ſeltenes iſt, und ſogar oft in Beziehung namentlich zu ihren Geſchlechtsfunctionen ſteht. So locken manche Holzkäfer ihre Weibchen dadurch, daß ſie mit dem har- ten Kopfe oder Hinterleibe mit großer Heftigkeit auf das Holz auf- pochen; die Schnarrſchrecken geigen mit ihren Hinterbeinen an dem Außenrande der Flügeldecken; die Heuſchrecken und Gryllen reiben den harten und ſcharfen Rand der Wurzel der einen Flügeldecke gegen eine gerippte Hornleiſte an der Wurzel der anderen Flügeldecke, und bringen dadurch den ſchrillenden Lockton hervor. Viele Käfer und Wanzen zirpen, indem ſie die Vorderbruſt gegen den Mittelrücken oder den Hinterleib gegen die Flügeldecken reiben. Die Singeikaden brin- gen ihren unleidlichen ſogenannten Geſang mittelſt einer trockenen Trommelhaut hervor, welche an dem erſten Hinterleibsringe in ähn- licher Weiſe, wie das Fell eines Tamburins in einem runden Ringe ausgeſpannt iſt, durch einen eigenen Muskel geſpannt und plötzlich wieder losgeſchnellt wird. Alle dieſe Töne beziehen ſich auf die Ver- einigung der beiden Geſchlechter, und vielleicht ſteht auch das Summen vieler fliegenden Inſekten, welches offenbar durch die abwechſelnde Spannung und Erſchlaffung des Bruſtkaſtens während der Flugbe- wegung und der dieſelbe begleitenden zahlreichen Muskelcontractionen erzeugt wird, hierzu in einiger Beziehung. Dennoch iſt es noch nicht gelungen, bei anderen Inſekten als Heuſchrecken, Gryllen und Schnarr- ſchrecken ein Ohr nachzuweiſen. Bei den Schnarrſchrecken (Acridida) liegt dieſes Ohr am Hintertheile der Hinterbruſt, und ſtellt eine mit einem Trommelfelle geſchloſſene Grube dar, hinter welcher ein zartes

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/539>, abgerufen am 03.06.2024.