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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Thiersubstanz gleichmäßig zukömmt, wird nach und nach ebenfalls auf
besondere Gewebe und Organe beschränkt. Man findet Fäden, die
zu Bündeln zusammentreten, den Thierleib in bestimmten Richtungen
durchziehen und durch ihre Zusammenziehungen bestimmte Bewegungen
veranlassen. Anfänglich setzen sich diese Fäden nur hier und da an
der Körperwandung oder an Organen fest, welche durch ihre Elasti-
zität und relative Festigkeit einerseits Stützpunkte abgeben, anderseits
aber auch Beugungen gestatten. Bald aber entwickeln sich festere Stücke,
Hebel, welchen zugleich besondere wohl characterisirte, ein eigenes Ge-
webe bildende Fadenbündel, Muskeln, entsprechen, die an den
hebelartig beweglichen festen Theilen gleich Zugseilen angebracht sind
und diese mittelst oft sehr künstlicher Gelenke auf einander bewegen.
In den niedern Formen der Gestaltungen bilden diese Hebel hohle
Röhren, aus Horn, Chitin, oder theilweise unorganischer Substanz geformt,
auf deren innerer Fläche die jetzt höchst charakteristisch gebauten und
mit keinem andern Gewebe verwechselbaren Muskelfäden angeheftet
sind. In den höheren Bildungsstufen befinden sich die Hebel, die
Knochen und Knorpel, welche ebenfalls sehr eigenthümliche Gewebe
bilden, im Innern des Organismus als mehr oder minder solide
Körper und die Muskeln sind auf ihrer Außenfläche angebracht; bei
den höheren Thieren sind es die Bewegungsorgane, das innere Skelett
und die Muskeln, von welchen die äußere Formgestaltung des Körpers
abhängt, bei den niedern Thieren sind es oft ganz andere Organe,
besonders aber die Verdauungs- und Geschlechtsorgane, welche auf
die äußere Gestaltung des Körpers bedingend einwirken.

Auch die Sinnesorgane differenziren sich erst allmählig in dem
Körper hervor und zwar ursprünglich in einer Form, welche es fast
zweifelhaft läßt, ob das Sinnesorgan wirklich eines sei und welcher
specielleren Function, dem Hören oder Sehen, es eigentlich vorstehe.
Daß alle Thiere Sinnesempfindungen besitzen, wenn auch oft nur in
sehr stumpfer Weise, ist unzweifelhaft -- ob aber die Zahl der Sinne
dieselbe sei, wie bei dem Menschen und den höheren Thieren, ist eine
andere Frage. Es kann vermuthet werden, daß bei den niederen Thie-
ren die verschiedenen Sinnesempfindungen die wir, mit speciellen Or-
ganen dafür begabt, als Sehen, Hören, Riechen, Schmecken unter-
scheiden, ebenso untereinander und mit dem Tastsinn zusammenschmelzen,
wie dies auch bei anderen Functionen der Fall ist -- uns eine Vor-
stellung von diesem Zusammendrängen specifisch verschiedener Sinnes-
empfindungen in eine zu machen, erscheint mir aber unmöglich. Eben
so können wir die Gränzen der einzelnen Sinnesempfindungen nicht nach

Thierſubſtanz gleichmäßig zukömmt, wird nach und nach ebenfalls auf
beſondere Gewebe und Organe beſchränkt. Man findet Fäden, die
zu Bündeln zuſammentreten, den Thierleib in beſtimmten Richtungen
durchziehen und durch ihre Zuſammenziehungen beſtimmte Bewegungen
veranlaſſen. Anfänglich ſetzen ſich dieſe Fäden nur hier und da an
der Körperwandung oder an Organen feſt, welche durch ihre Elaſti-
zität und relative Feſtigkeit einerſeits Stützpunkte abgeben, anderſeits
aber auch Beugungen geſtatten. Bald aber entwickeln ſich feſtere Stücke,
Hebel, welchen zugleich beſondere wohl characteriſirte, ein eigenes Ge-
webe bildende Fadenbündel, Muskeln, entſprechen, die an den
hebelartig beweglichen feſten Theilen gleich Zugſeilen angebracht ſind
und dieſe mittelſt oft ſehr künſtlicher Gelenke auf einander bewegen.
In den niedern Formen der Geſtaltungen bilden dieſe Hebel hohle
Röhren, aus Horn, Chitin, oder theilweiſe unorganiſcher Subſtanz geformt,
auf deren innerer Fläche die jetzt höchſt charakteriſtiſch gebauten und
mit keinem andern Gewebe verwechſelbaren Muskelfäden angeheftet
ſind. In den höheren Bildungsſtufen befinden ſich die Hebel, die
Knochen und Knorpel, welche ebenfalls ſehr eigenthümliche Gewebe
bilden, im Innern des Organismus als mehr oder minder ſolide
Körper und die Muskeln ſind auf ihrer Außenfläche angebracht; bei
den höheren Thieren ſind es die Bewegungsorgane, das innere Skelett
und die Muskeln, von welchen die äußere Formgeſtaltung des Körpers
abhängt, bei den niedern Thieren ſind es oft ganz andere Organe,
beſonders aber die Verdauungs- und Geſchlechtsorgane, welche auf
die äußere Geſtaltung des Körpers bedingend einwirken.

Auch die Sinnesorgane differenziren ſich erſt allmählig in dem
Körper hervor und zwar urſprünglich in einer Form, welche es faſt
zweifelhaft läßt, ob das Sinnesorgan wirklich eines ſei und welcher
ſpecielleren Function, dem Hören oder Sehen, es eigentlich vorſtehe.
Daß alle Thiere Sinnesempfindungen beſitzen, wenn auch oft nur in
ſehr ſtumpfer Weiſe, iſt unzweifelhaft — ob aber die Zahl der Sinne
dieſelbe ſei, wie bei dem Menſchen und den höheren Thieren, iſt eine
andere Frage. Es kann vermuthet werden, daß bei den niederen Thie-
ren die verſchiedenen Sinnesempfindungen die wir, mit ſpeciellen Or-
ganen dafür begabt, als Sehen, Hören, Riechen, Schmecken unter-
ſcheiden, ebenſo untereinander und mit dem Taſtſinn zuſammenſchmelzen,
wie dies auch bei anderen Functionen der Fall iſt — uns eine Vor-
ſtellung von dieſem Zuſammendrängen ſpecifiſch verſchiedener Sinnes-
empfindungen in eine zu machen, erſcheint mir aber unmöglich. Eben
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[44/0050] Thierſubſtanz gleichmäßig zukömmt, wird nach und nach ebenfalls auf beſondere Gewebe und Organe beſchränkt. Man findet Fäden, die zu Bündeln zuſammentreten, den Thierleib in beſtimmten Richtungen durchziehen und durch ihre Zuſammenziehungen beſtimmte Bewegungen veranlaſſen. Anfänglich ſetzen ſich dieſe Fäden nur hier und da an der Körperwandung oder an Organen feſt, welche durch ihre Elaſti- zität und relative Feſtigkeit einerſeits Stützpunkte abgeben, anderſeits aber auch Beugungen geſtatten. Bald aber entwickeln ſich feſtere Stücke, Hebel, welchen zugleich beſondere wohl characteriſirte, ein eigenes Ge- webe bildende Fadenbündel, Muskeln, entſprechen, die an den hebelartig beweglichen feſten Theilen gleich Zugſeilen angebracht ſind und dieſe mittelſt oft ſehr künſtlicher Gelenke auf einander bewegen. In den niedern Formen der Geſtaltungen bilden dieſe Hebel hohle Röhren, aus Horn, Chitin, oder theilweiſe unorganiſcher Subſtanz geformt, auf deren innerer Fläche die jetzt höchſt charakteriſtiſch gebauten und mit keinem andern Gewebe verwechſelbaren Muskelfäden angeheftet ſind. In den höheren Bildungsſtufen befinden ſich die Hebel, die Knochen und Knorpel, welche ebenfalls ſehr eigenthümliche Gewebe bilden, im Innern des Organismus als mehr oder minder ſolide Körper und die Muskeln ſind auf ihrer Außenfläche angebracht; bei den höheren Thieren ſind es die Bewegungsorgane, das innere Skelett und die Muskeln, von welchen die äußere Formgeſtaltung des Körpers abhängt, bei den niedern Thieren ſind es oft ganz andere Organe, beſonders aber die Verdauungs- und Geſchlechtsorgane, welche auf die äußere Geſtaltung des Körpers bedingend einwirken. Auch die Sinnesorgane differenziren ſich erſt allmählig in dem Körper hervor und zwar urſprünglich in einer Form, welche es faſt zweifelhaft läßt, ob das Sinnesorgan wirklich eines ſei und welcher ſpecielleren Function, dem Hören oder Sehen, es eigentlich vorſtehe. Daß alle Thiere Sinnesempfindungen beſitzen, wenn auch oft nur in ſehr ſtumpfer Weiſe, iſt unzweifelhaft — ob aber die Zahl der Sinne dieſelbe ſei, wie bei dem Menſchen und den höheren Thieren, iſt eine andere Frage. Es kann vermuthet werden, daß bei den niederen Thie- ren die verſchiedenen Sinnesempfindungen die wir, mit ſpeciellen Or- ganen dafür begabt, als Sehen, Hören, Riechen, Schmecken unter- ſcheiden, ebenſo untereinander und mit dem Taſtſinn zuſammenſchmelzen, wie dies auch bei anderen Functionen der Fall iſt — uns eine Vor- ſtellung von dieſem Zuſammendrängen ſpecifiſch verſchiedener Sinnes- empfindungen in eine zu machen, erſcheint mir aber unmöglich. Eben ſo können wir die Gränzen der einzelnen Sinnesempfindungen nicht nach

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/50>, abgerufen am 04.12.2024.