Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Kopf eines Bandwurms in einem Saugwurmleibe zu sehen
glaubt. Ist der Wurm ausgestreckt, so zeigt er vier große seitliche
Sauglappen oder ovale Saugnäpfe, einen kegelförmigen Mund, der
in eine Höhle führt, worin der Saugrüssel mit einem doppelten Hacken-
kranze liegt und einen undeutlich gegliederten Leib, in dem man zarte,
wasserhelle Gefäße sieht. Wie diese jungen Bandwürmer aus den in
den Eiern befindlichen Embryonen entstehen, ob direkt durch Meta-
morphose, ob indirekt durch Knospung in ähnlicher Weise, wie bei
dem später zu erwähnenden Monostomum, ist noch durchaus unbekannt.
Auch was später aus diesen jungen, eingekapselten Bandwürmern der
Schnecken wird, weiß man nicht -- wahrscheinlich bilden sie sich,
nachdem die Schnecken von andern Thieren gefressen wurden, in der
Weise aus, daß sie die Kapsel verlassen, sich festsetzen und hinten durch
Knospung Glieder entwickeln, in denen Eier sich bilden. Für andere
Bandwürmer hat man gefunden, daß besonders die Gattungen Scolex
und Tetrarhynchus, die man häufig in den Eingeweiden der Seefische
trifft, solche junge Kopfglieder sind, die sich später ansetzen und Glie-
der treiben, während sie zugleich die Hakenrüssel verlieren, die ihnen
besonders zum Wandern durch die Eingeweide der Fische hindurch sehr
nützlich sind. Man glaubte bisher, daß diese Vierrüßler (Tetrarhyn-
chus
) auf dem Wege der Knospung innerhalb eines eingekapselten
Saugwurmes entständen, indem man ihren aufgeblähten Leib, in wel-
chen Rüssel und Schwanzende zurückgezogen waren, als ein besonderes
Hüllenthier ansah. Wahrscheinlich ist auch bei diesen Vierrüßlern eine
weitere Ueberpflanzung in andere Thiere nöthig, um vollständige
Bandwürmer entstehen zu lassen. Wenigstens hat man solche Erschei-
nungen anderwärts beobachtet. So findet sich z. B. in den Stichlingen
äußerst häufig ein Grubenkopf, welcher mittelst Durchbrechen des Ge-
kröses in die Leibeshöhle, seinen gewöhnlichen Wohnort, gelangt, aber
niemals Geschlechtstheile erhält, so lange er in der Bauchhöhle der
Fische lebt. Werden aber die Stichlinge von Wasservögeln gefressen,
so entwickelt sich der Wurm im Darmkanale dieser warmblütigen Thiere
vollständig und stößt mit reifen Eiern gefüllte Glieder aus, die mit
dem Kothe der Wasservögel wieder an den Wohnort der Stichlinge
gelangen und wahrscheinlich von diesen verschluckt werden, wenn nicht
die ausgeschlüpften Embryonen von außen her in die Stichlinge sich
einbohren.

Wir sehen also, daß bei der ungemeinen Vermehrung der Keime,
wie sie in den Bandwürmern vorkommen, wesentlich die Berechnung
der Zufälle mit als Faktor eintritt, welche das Thier bei seiner Ent-

einen Kopf eines Bandwurms in einem Saugwurmleibe zu ſehen
glaubt. Iſt der Wurm ausgeſtreckt, ſo zeigt er vier große ſeitliche
Sauglappen oder ovale Saugnäpfe, einen kegelförmigen Mund, der
in eine Höhle führt, worin der Saugrüſſel mit einem doppelten Hacken-
kranze liegt und einen undeutlich gegliederten Leib, in dem man zarte,
waſſerhelle Gefäße ſieht. Wie dieſe jungen Bandwürmer aus den in
den Eiern befindlichen Embryonen entſtehen, ob direkt durch Meta-
morphoſe, ob indirekt durch Knospung in ähnlicher Weiſe, wie bei
dem ſpäter zu erwähnenden Monostomum, iſt noch durchaus unbekannt.
Auch was ſpäter aus dieſen jungen, eingekapſelten Bandwürmern der
Schnecken wird, weiß man nicht — wahrſcheinlich bilden ſie ſich,
nachdem die Schnecken von andern Thieren gefreſſen wurden, in der
Weiſe aus, daß ſie die Kapſel verlaſſen, ſich feſtſetzen und hinten durch
Knospung Glieder entwickeln, in denen Eier ſich bilden. Für andere
Bandwürmer hat man gefunden, daß beſonders die Gattungen Scolex
und Tetrarhynchus, die man häufig in den Eingeweiden der Seefiſche
trifft, ſolche junge Kopfglieder ſind, die ſich ſpäter anſetzen und Glie-
der treiben, während ſie zugleich die Hakenrüſſel verlieren, die ihnen
beſonders zum Wandern durch die Eingeweide der Fiſche hindurch ſehr
nützlich ſind. Man glaubte bisher, daß dieſe Vierrüßler (Tetrarhyn-
chus
) auf dem Wege der Knospung innerhalb eines eingekapſelten
Saugwurmes entſtänden, indem man ihren aufgeblähten Leib, in wel-
chen Rüſſel und Schwanzende zurückgezogen waren, als ein beſonderes
Hüllenthier anſah. Wahrſcheinlich iſt auch bei dieſen Vierrüßlern eine
weitere Ueberpflanzung in andere Thiere nöthig, um vollſtändige
Bandwürmer entſtehen zu laſſen. Wenigſtens hat man ſolche Erſchei-
nungen anderwärts beobachtet. So findet ſich z. B. in den Stichlingen
äußerſt häufig ein Grubenkopf, welcher mittelſt Durchbrechen des Ge-
kröſes in die Leibeshöhle, ſeinen gewöhnlichen Wohnort, gelangt, aber
niemals Geſchlechtstheile erhält, ſo lange er in der Bauchhöhle der
Fiſche lebt. Werden aber die Stichlinge von Waſſervögeln gefreſſen,
ſo entwickelt ſich der Wurm im Darmkanale dieſer warmblütigen Thiere
vollſtändig und ſtößt mit reifen Eiern gefüllte Glieder aus, die mit
dem Kothe der Waſſervögel wieder an den Wohnort der Stichlinge
gelangen und wahrſcheinlich von dieſen verſchluckt werden, wenn nicht
die ausgeſchlüpften Embryonen von außen her in die Stichlinge ſich
einbohren.

Wir ſehen alſo, daß bei der ungemeinen Vermehrung der Keime,
wie ſie in den Bandwürmern vorkommen, weſentlich die Berechnung
der Zufälle mit als Faktor eintritt, welche das Thier bei ſeiner Ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0200" n="194"/>
einen Kopf eines Bandwurms in einem Saugwurmleibe zu &#x017F;ehen<lb/>
glaubt. I&#x017F;t der Wurm ausge&#x017F;treckt, &#x017F;o zeigt er vier große &#x017F;eitliche<lb/>
Sauglappen oder ovale Saugnäpfe, einen kegelförmigen Mund, der<lb/>
in eine Höhle führt, worin der Saugrü&#x017F;&#x017F;el mit einem doppelten Hacken-<lb/>
kranze liegt und einen undeutlich gegliederten Leib, in dem man zarte,<lb/>
wa&#x017F;&#x017F;erhelle Gefäße &#x017F;ieht. Wie die&#x017F;e jungen Bandwürmer aus den in<lb/>
den Eiern befindlichen Embryonen ent&#x017F;tehen, ob direkt durch Meta-<lb/>
morpho&#x017F;e, ob indirekt durch Knospung in ähnlicher Wei&#x017F;e, wie bei<lb/>
dem &#x017F;päter zu erwähnenden <hi rendition="#aq">Monostomum</hi>, i&#x017F;t noch durchaus unbekannt.<lb/>
Auch was &#x017F;päter aus die&#x017F;en jungen, eingekap&#x017F;elten Bandwürmern der<lb/>
Schnecken wird, weiß man nicht &#x2014; wahr&#x017F;cheinlich bilden &#x017F;ie &#x017F;ich,<lb/>
nachdem die Schnecken von andern Thieren gefre&#x017F;&#x017F;en wurden, in der<lb/>
Wei&#x017F;e aus, daß &#x017F;ie die Kap&#x017F;el verla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich fe&#x017F;t&#x017F;etzen und hinten durch<lb/>
Knospung Glieder entwickeln, in denen Eier &#x017F;ich bilden. Für andere<lb/>
Bandwürmer hat man gefunden, daß be&#x017F;onders die Gattungen <hi rendition="#aq">Scolex</hi><lb/>
und <hi rendition="#aq">Tetrarhynchus</hi>, die man häufig in den Eingeweiden der Seefi&#x017F;che<lb/>
trifft, &#x017F;olche junge Kopfglieder &#x017F;ind, die &#x017F;ich &#x017F;päter an&#x017F;etzen und Glie-<lb/>
der treiben, während &#x017F;ie zugleich die Hakenrü&#x017F;&#x017F;el verlieren, die ihnen<lb/>
be&#x017F;onders zum Wandern durch die Eingeweide der Fi&#x017F;che hindurch &#x017F;ehr<lb/>
nützlich &#x017F;ind. Man glaubte bisher, daß die&#x017F;e Vierrüßler (<hi rendition="#aq">Tetrarhyn-<lb/>
chus</hi>) auf dem Wege der Knospung innerhalb eines eingekap&#x017F;elten<lb/>
Saugwurmes ent&#x017F;tänden, indem man ihren aufgeblähten Leib, in wel-<lb/>
chen Rü&#x017F;&#x017F;el und Schwanzende zurückgezogen waren, als ein be&#x017F;onderes<lb/>
Hüllenthier an&#x017F;ah. Wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t auch bei die&#x017F;en Vierrüßlern eine<lb/>
weitere Ueberpflanzung in andere Thiere nöthig, um voll&#x017F;tändige<lb/>
Bandwürmer ent&#x017F;tehen zu la&#x017F;&#x017F;en. Wenig&#x017F;tens hat man &#x017F;olche Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen anderwärts beobachtet. So findet &#x017F;ich z. B. in den Stichlingen<lb/>
äußer&#x017F;t häufig ein Grubenkopf, welcher mittel&#x017F;t Durchbrechen des Ge-<lb/>
krö&#x017F;es in die Leibeshöhle, &#x017F;einen gewöhnlichen Wohnort, gelangt, aber<lb/>
niemals Ge&#x017F;chlechtstheile erhält, &#x017F;o lange er in der Bauchhöhle der<lb/>
Fi&#x017F;che lebt. Werden aber die Stichlinge von Wa&#x017F;&#x017F;ervögeln gefre&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;o entwickelt &#x017F;ich der Wurm im Darmkanale die&#x017F;er warmblütigen Thiere<lb/>
voll&#x017F;tändig und &#x017F;tößt mit reifen Eiern gefüllte Glieder aus, die mit<lb/>
dem Kothe der Wa&#x017F;&#x017F;ervögel wieder an den Wohnort der Stichlinge<lb/>
gelangen und wahr&#x017F;cheinlich von die&#x017F;en ver&#x017F;chluckt werden, wenn nicht<lb/>
die ausge&#x017F;chlüpften Embryonen von außen her in die Stichlinge &#x017F;ich<lb/>
einbohren.</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;ehen al&#x017F;o, daß bei der ungemeinen Vermehrung der Keime,<lb/>
wie &#x017F;ie in den Bandwürmern vorkommen, we&#x017F;entlich die Berechnung<lb/>
der Zufälle mit als Faktor eintritt, welche das Thier bei &#x017F;einer Ent-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0200] einen Kopf eines Bandwurms in einem Saugwurmleibe zu ſehen glaubt. Iſt der Wurm ausgeſtreckt, ſo zeigt er vier große ſeitliche Sauglappen oder ovale Saugnäpfe, einen kegelförmigen Mund, der in eine Höhle führt, worin der Saugrüſſel mit einem doppelten Hacken- kranze liegt und einen undeutlich gegliederten Leib, in dem man zarte, waſſerhelle Gefäße ſieht. Wie dieſe jungen Bandwürmer aus den in den Eiern befindlichen Embryonen entſtehen, ob direkt durch Meta- morphoſe, ob indirekt durch Knospung in ähnlicher Weiſe, wie bei dem ſpäter zu erwähnenden Monostomum, iſt noch durchaus unbekannt. Auch was ſpäter aus dieſen jungen, eingekapſelten Bandwürmern der Schnecken wird, weiß man nicht — wahrſcheinlich bilden ſie ſich, nachdem die Schnecken von andern Thieren gefreſſen wurden, in der Weiſe aus, daß ſie die Kapſel verlaſſen, ſich feſtſetzen und hinten durch Knospung Glieder entwickeln, in denen Eier ſich bilden. Für andere Bandwürmer hat man gefunden, daß beſonders die Gattungen Scolex und Tetrarhynchus, die man häufig in den Eingeweiden der Seefiſche trifft, ſolche junge Kopfglieder ſind, die ſich ſpäter anſetzen und Glie- der treiben, während ſie zugleich die Hakenrüſſel verlieren, die ihnen beſonders zum Wandern durch die Eingeweide der Fiſche hindurch ſehr nützlich ſind. Man glaubte bisher, daß dieſe Vierrüßler (Tetrarhyn- chus) auf dem Wege der Knospung innerhalb eines eingekapſelten Saugwurmes entſtänden, indem man ihren aufgeblähten Leib, in wel- chen Rüſſel und Schwanzende zurückgezogen waren, als ein beſonderes Hüllenthier anſah. Wahrſcheinlich iſt auch bei dieſen Vierrüßlern eine weitere Ueberpflanzung in andere Thiere nöthig, um vollſtändige Bandwürmer entſtehen zu laſſen. Wenigſtens hat man ſolche Erſchei- nungen anderwärts beobachtet. So findet ſich z. B. in den Stichlingen äußerſt häufig ein Grubenkopf, welcher mittelſt Durchbrechen des Ge- kröſes in die Leibeshöhle, ſeinen gewöhnlichen Wohnort, gelangt, aber niemals Geſchlechtstheile erhält, ſo lange er in der Bauchhöhle der Fiſche lebt. Werden aber die Stichlinge von Waſſervögeln gefreſſen, ſo entwickelt ſich der Wurm im Darmkanale dieſer warmblütigen Thiere vollſtändig und ſtößt mit reifen Eiern gefüllte Glieder aus, die mit dem Kothe der Waſſervögel wieder an den Wohnort der Stichlinge gelangen und wahrſcheinlich von dieſen verſchluckt werden, wenn nicht die ausgeſchlüpften Embryonen von außen her in die Stichlinge ſich einbohren. Wir ſehen alſo, daß bei der ungemeinen Vermehrung der Keime, wie ſie in den Bandwürmern vorkommen, weſentlich die Berechnung der Zufälle mit als Faktor eintritt, welche das Thier bei ſeiner Ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/200
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/200>, abgerufen am 04.12.2024.