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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Muskelmassen entwickelt, welche äußerst energische Zusammenziehungen
des Körpers bewirken können. Bei den übrigen sieht man diese Mus-
keln nur an den speciellen Bewegungsorganen entwickelt und hier auch
oft in ausgezeichneter Weise. Die Saugfüßchen (Ambulacra),

[Abbildung] Fig 137.

Ambulacra.
a
Der Stiel, b die Saugscheibe.

welche mit Ausnahme einer einzigen Familie
allen Stachelhäutern zukommen, sind die we-
sentlichsten Bewegungs- und Haftorgane der-
selben. Es sind hohle, wurmförmige Organe,
welche durch Oeffnungen des Skelettes oder
der Haut hervorgestreckt werden können und
eine außerordentliche Ausdehnbarkeit besitzen.
Bei einigen Familien sind die Saugfüßchen nur
sehr klein und kurz, pfriemenförmig, ohne end-
ständigen Saugnapf, zuweilen selbst verästelt
und scheinen hauptsächlich nur als Tastorgane
benutzt werden zu können. Sie stehen dann
auch nur auf der Bauchseite des Körpers und
können nicht durch eigene Oeffnungen in das Innere zurückgezogen
werden. Bei den Seesternen, den Seeigeln und den eigentlichen Meer-
walzen dagegen bilden diese Saugfüßchen lange derbhäutige Cylinder,
die an ihrer Spitze mit einem förmlichen Saugnapfe versehen sind,
welcher noch obenein durch einen porösen Kalkring in seiner Form
gestützt wird. Diese Saugfüße treten durch eigene Löchlein hervor,
welche entweder in der Haut oder in den Täfelchen und zwischen den Ringen
der Schale angebracht sind und werden von den Thieren als Tast- und
Bewegungsorgane benutzt. Sie sind in ungemein großer Anzahl vor-
handen und es gewährt ein eigenthümliches Schauspiel, bei einem le-
benden Seeigel die Bewegung dieser Füßchen zu sehen. Nach allen
Seiten tasten sie herum, indem sie sich so sehr verlängern, daß sie nur
wie ein dünnes Haar erscheinen. Eine Saugscheibe nach der anderen
setzt sich an, saugt sich fest und indem nun eine Menge dieser Füßchen
sich verkürzen, ziehen sie den Körper wie an eben so vielen Zugseilen
weiter. Seeigel und Seesterne klettern auf diese Weise mit größter
Leichtigkeit an den glattesten Glaswänden umher und heften sich so
fest, daß man eher die Saugfüßchen zerreißt als sie durch Gewalt ablös't.

Fast bei allen Stachelhäutern hat man geglaubt, ein Nerven-
system
nachweisen zu können. Dasselbe soll aus einem sehr feinen
Nervenringe bestehen, welcher den Schlund umgibt und meistens ein
Fünfeck darstellt, aus dessen Winkeln Aeste in die Körperstrahlen aus-
laufen. Die Nervenäste gehen hauptsächlich den Reihen der Saugfüß-

Muskelmaſſen entwickelt, welche äußerſt energiſche Zuſammenziehungen
des Körpers bewirken können. Bei den übrigen ſieht man dieſe Mus-
keln nur an den ſpeciellen Bewegungsorganen entwickelt und hier auch
oft in ausgezeichneter Weiſe. Die Saugfüßchen (Ambulacra),

[Abbildung] Fig 137.

Ambulacra.
a
Der Stiel, b die Saugſcheibe.

welche mit Ausnahme einer einzigen Familie
allen Stachelhäutern zukommen, ſind die we-
ſentlichſten Bewegungs- und Haftorgane der-
ſelben. Es ſind hohle, wurmförmige Organe,
welche durch Oeffnungen des Skelettes oder
der Haut hervorgeſtreckt werden können und
eine außerordentliche Ausdehnbarkeit beſitzen.
Bei einigen Familien ſind die Saugfüßchen nur
ſehr klein und kurz, pfriemenförmig, ohne end-
ſtändigen Saugnapf, zuweilen ſelbſt veräſtelt
und ſcheinen hauptſächlich nur als Taſtorgane
benutzt werden zu können. Sie ſtehen dann
auch nur auf der Bauchſeite des Körpers und
können nicht durch eigene Oeffnungen in das Innere zurückgezogen
werden. Bei den Seeſternen, den Seeigeln und den eigentlichen Meer-
walzen dagegen bilden dieſe Saugfüßchen lange derbhäutige Cylinder,
die an ihrer Spitze mit einem förmlichen Saugnapfe verſehen ſind,
welcher noch obenein durch einen poröſen Kalkring in ſeiner Form
geſtützt wird. Dieſe Saugfüße treten durch eigene Löchlein hervor,
welche entweder in der Haut oder in den Täfelchen und zwiſchen den Ringen
der Schale angebracht ſind und werden von den Thieren als Taſt- und
Bewegungsorgane benutzt. Sie ſind in ungemein großer Anzahl vor-
handen und es gewährt ein eigenthümliches Schauſpiel, bei einem le-
benden Seeigel die Bewegung dieſer Füßchen zu ſehen. Nach allen
Seiten taſten ſie herum, indem ſie ſich ſo ſehr verlängern, daß ſie nur
wie ein dünnes Haar erſcheinen. Eine Saugſcheibe nach der anderen
ſetzt ſich an, ſaugt ſich feſt und indem nun eine Menge dieſer Füßchen
ſich verkürzen, ziehen ſie den Körper wie an eben ſo vielen Zugſeilen
weiter. Seeigel und Seeſterne klettern auf dieſe Weiſe mit größter
Leichtigkeit an den glatteſten Glaswänden umher und heften ſich ſo
feſt, daß man eher die Saugfüßchen zerreißt als ſie durch Gewalt ablöſ’t.

Faſt bei allen Stachelhäutern hat man geglaubt, ein Nerven-
ſyſtem
nachweiſen zu können. Daſſelbe ſoll aus einem ſehr feinen
Nervenringe beſtehen, welcher den Schlund umgibt und meiſtens ein
Fünfeck darſtellt, aus deſſen Winkeln Aeſte in die Körperſtrahlen aus-
laufen. Die Nervenäſte gehen hauptſächlich den Reihen der Saugfüß-

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[146/0152] Muskelmaſſen entwickelt, welche äußerſt energiſche Zuſammenziehungen des Körpers bewirken können. Bei den übrigen ſieht man dieſe Mus- keln nur an den ſpeciellen Bewegungsorganen entwickelt und hier auch oft in ausgezeichneter Weiſe. Die Saugfüßchen (Ambulacra), [Abbildung Fig 137. Ambulacra. a Der Stiel, b die Saugſcheibe.] welche mit Ausnahme einer einzigen Familie allen Stachelhäutern zukommen, ſind die we- ſentlichſten Bewegungs- und Haftorgane der- ſelben. Es ſind hohle, wurmförmige Organe, welche durch Oeffnungen des Skelettes oder der Haut hervorgeſtreckt werden können und eine außerordentliche Ausdehnbarkeit beſitzen. Bei einigen Familien ſind die Saugfüßchen nur ſehr klein und kurz, pfriemenförmig, ohne end- ſtändigen Saugnapf, zuweilen ſelbſt veräſtelt und ſcheinen hauptſächlich nur als Taſtorgane benutzt werden zu können. Sie ſtehen dann auch nur auf der Bauchſeite des Körpers und können nicht durch eigene Oeffnungen in das Innere zurückgezogen werden. Bei den Seeſternen, den Seeigeln und den eigentlichen Meer- walzen dagegen bilden dieſe Saugfüßchen lange derbhäutige Cylinder, die an ihrer Spitze mit einem förmlichen Saugnapfe verſehen ſind, welcher noch obenein durch einen poröſen Kalkring in ſeiner Form geſtützt wird. Dieſe Saugfüße treten durch eigene Löchlein hervor, welche entweder in der Haut oder in den Täfelchen und zwiſchen den Ringen der Schale angebracht ſind und werden von den Thieren als Taſt- und Bewegungsorgane benutzt. Sie ſind in ungemein großer Anzahl vor- handen und es gewährt ein eigenthümliches Schauſpiel, bei einem le- benden Seeigel die Bewegung dieſer Füßchen zu ſehen. Nach allen Seiten taſten ſie herum, indem ſie ſich ſo ſehr verlängern, daß ſie nur wie ein dünnes Haar erſcheinen. Eine Saugſcheibe nach der anderen ſetzt ſich an, ſaugt ſich feſt und indem nun eine Menge dieſer Füßchen ſich verkürzen, ziehen ſie den Körper wie an eben ſo vielen Zugſeilen weiter. Seeigel und Seeſterne klettern auf dieſe Weiſe mit größter Leichtigkeit an den glatteſten Glaswänden umher und heften ſich ſo feſt, daß man eher die Saugfüßchen zerreißt als ſie durch Gewalt ablöſ’t. Faſt bei allen Stachelhäutern hat man geglaubt, ein Nerven- ſyſtem nachweiſen zu können. Daſſelbe ſoll aus einem ſehr feinen Nervenringe beſtehen, welcher den Schlund umgibt und meiſtens ein Fünfeck darſtellt, aus deſſen Winkeln Aeſte in die Körperſtrahlen aus- laufen. Die Nervenäſte gehen hauptſächlich den Reihen der Saugfüß-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/152>, abgerufen am 04.05.2024.