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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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zig tertiäre Kammern, dann aber nicht acht und vierzig, sondern nur
sechs und dreißig, indem nur die Hälfte der tertiären Kammern und
zwar diejenigen, welche an dem primären Strahl anliegen, durch qua-
ternäre Strahlen in zwei Hälften getheilt werden. Mit Beobachtung
dieses Gesetzes läßt sich die Zahl aller Strahlen, welche an einer Po-
lypenzelle vorkommen, auf die ursprüngliche Sechszahl reduziren, zu-
mal da es ein durchgreifendes Gesetz ist, daß die gleichnamigen Strah-
len sich auch stets zu gleicher Zeit im ganzen Umfange der Zelle entwickeln.

Die Bildung der Polypenstöcke wird noch durch den Umstand be-
sonders complicirt, daß auch die gemeinschaftliche Masse, welche die
einzelnen Polypen mit einander verbindet, sich in bald mehr, bald
minder zusammenhängender Weise versteinert und nun mit den Strah-
len und Mauerblättern zusammenwächst. Dieselbe strenge Gesetzmä-
ßigkeit, welche sich in der Bildung der Strahlen bemerkbar macht,
herrscht auch in der Entwickelung der einzelnen Knospen, welche die
Polypen treiben. Bei den einen werden dadurch mehr oder minder
verästelte Bäume gebildet, wo bald jede Knospe oder jede Zelle einen
Ast darstellt, bei andern entwickeln sich ganze Systeme von Knospen
zu einzelnen Aesten und Zweigen oder zu fingerförmig ausgebreiteten
Massen, bei wieder anderen werden alle Zellen in eine einzige, mehr
oder minder rundliche Masse von oft ungeheurer Größe zusammen
geschmolzen. Das Skelett eines jeden zu Grunde gegangenen Polypen
bleibt der gemeinschaftlichen Kolonie als unvergänglich integrirender
Theil, und so entstehen aus der Vereinigung vieler kleiner Wesen und
aus ihrer gesetzmäßigen Entwicklung jene merkwürdigen Massen, auf
deren Bildung im Großen wir noch einen weiteren Blick werfen werden.

Von eigentlichen Bewegungsorganen kann bei den festsitzenden
Polypen nicht wohl die Rede sein und auch diejenigen freien Stöcke,
welche im Sande oder im Schlamme stecken und von welchen man
bisher glaubte, sie schwämmen im Meere umher, entbehren jeglichen
Bewegungsorganes. Nur die freien Einzelpolypen, wie die Seeane-
monen, besitzen einen breiten, scheibenförmigen Fuß, mit welchem sie

[Abbildung] Fig. 87.

Seeanemone (Actinia.)

sich ansaugen und hin und her gleiten können.
Wohl aber besitzen die Polypen einestheils ein sehr
ausgebildetes Fasergewebe, das ihre einzelne Leibes-
theile zusammenzieht und anderseits einziehbare
Tentakeln, welche eine große Bewegbarkeit besitzen.
Bei denjenigen Polypen, welche acht Tentakeln um
den Mund besitzen, sind dieselben meist blattförmig
und an den Rändern mehr oder minder gekerbt,

zig tertiäre Kammern, dann aber nicht acht und vierzig, ſondern nur
ſechs und dreißig, indem nur die Hälfte der tertiären Kammern und
zwar diejenigen, welche an dem primären Strahl anliegen, durch qua-
ternäre Strahlen in zwei Hälften getheilt werden. Mit Beobachtung
dieſes Geſetzes läßt ſich die Zahl aller Strahlen, welche an einer Po-
lypenzelle vorkommen, auf die urſprüngliche Sechszahl reduziren, zu-
mal da es ein durchgreifendes Geſetz iſt, daß die gleichnamigen Strah-
len ſich auch ſtets zu gleicher Zeit im ganzen Umfange der Zelle entwickeln.

Die Bildung der Polypenſtöcke wird noch durch den Umſtand be-
ſonders complicirt, daß auch die gemeinſchaftliche Maſſe, welche die
einzelnen Polypen mit einander verbindet, ſich in bald mehr, bald
minder zuſammenhängender Weiſe verſteinert und nun mit den Strah-
len und Mauerblättern zuſammenwächſt. Dieſelbe ſtrenge Geſetzmä-
ßigkeit, welche ſich in der Bildung der Strahlen bemerkbar macht,
herrſcht auch in der Entwickelung der einzelnen Knospen, welche die
Polypen treiben. Bei den einen werden dadurch mehr oder minder
veräſtelte Bäume gebildet, wo bald jede Knospe oder jede Zelle einen
Aſt darſtellt, bei andern entwickeln ſich ganze Syſteme von Knospen
zu einzelnen Aeſten und Zweigen oder zu fingerförmig ausgebreiteten
Maſſen, bei wieder anderen werden alle Zellen in eine einzige, mehr
oder minder rundliche Maſſe von oft ungeheurer Größe zuſammen
geſchmolzen. Das Skelett eines jeden zu Grunde gegangenen Polypen
bleibt der gemeinſchaftlichen Kolonie als unvergänglich integrirender
Theil, und ſo entſtehen aus der Vereinigung vieler kleiner Weſen und
aus ihrer geſetzmäßigen Entwicklung jene merkwürdigen Maſſen, auf
deren Bildung im Großen wir noch einen weiteren Blick werfen werden.

Von eigentlichen Bewegungsorganen kann bei den feſtſitzenden
Polypen nicht wohl die Rede ſein und auch diejenigen freien Stöcke,
welche im Sande oder im Schlamme ſtecken und von welchen man
bisher glaubte, ſie ſchwämmen im Meere umher, entbehren jeglichen
Bewegungsorganes. Nur die freien Einzelpolypen, wie die Seeane-
monen, beſitzen einen breiten, ſcheibenförmigen Fuß, mit welchem ſie

[Abbildung] Fig. 87.

Seeanemone (Actinia.)

ſich anſaugen und hin und her gleiten können.
Wohl aber beſitzen die Polypen einestheils ein ſehr
ausgebildetes Faſergewebe, das ihre einzelne Leibes-
theile zuſammenzieht und anderſeits einziehbare
Tentakeln, welche eine große Bewegbarkeit beſitzen.
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den Mund beſitzen, ſind dieſelben meiſt blattförmig
und an den Rändern mehr oder minder gekerbt,

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[111/0117] zig tertiäre Kammern, dann aber nicht acht und vierzig, ſondern nur ſechs und dreißig, indem nur die Hälfte der tertiären Kammern und zwar diejenigen, welche an dem primären Strahl anliegen, durch qua- ternäre Strahlen in zwei Hälften getheilt werden. Mit Beobachtung dieſes Geſetzes läßt ſich die Zahl aller Strahlen, welche an einer Po- lypenzelle vorkommen, auf die urſprüngliche Sechszahl reduziren, zu- mal da es ein durchgreifendes Geſetz iſt, daß die gleichnamigen Strah- len ſich auch ſtets zu gleicher Zeit im ganzen Umfange der Zelle entwickeln. Die Bildung der Polypenſtöcke wird noch durch den Umſtand be- ſonders complicirt, daß auch die gemeinſchaftliche Maſſe, welche die einzelnen Polypen mit einander verbindet, ſich in bald mehr, bald minder zuſammenhängender Weiſe verſteinert und nun mit den Strah- len und Mauerblättern zuſammenwächſt. Dieſelbe ſtrenge Geſetzmä- ßigkeit, welche ſich in der Bildung der Strahlen bemerkbar macht, herrſcht auch in der Entwickelung der einzelnen Knospen, welche die Polypen treiben. Bei den einen werden dadurch mehr oder minder veräſtelte Bäume gebildet, wo bald jede Knospe oder jede Zelle einen Aſt darſtellt, bei andern entwickeln ſich ganze Syſteme von Knospen zu einzelnen Aeſten und Zweigen oder zu fingerförmig ausgebreiteten Maſſen, bei wieder anderen werden alle Zellen in eine einzige, mehr oder minder rundliche Maſſe von oft ungeheurer Größe zuſammen geſchmolzen. Das Skelett eines jeden zu Grunde gegangenen Polypen bleibt der gemeinſchaftlichen Kolonie als unvergänglich integrirender Theil, und ſo entſtehen aus der Vereinigung vieler kleiner Weſen und aus ihrer geſetzmäßigen Entwicklung jene merkwürdigen Maſſen, auf deren Bildung im Großen wir noch einen weiteren Blick werfen werden. Von eigentlichen Bewegungsorganen kann bei den feſtſitzenden Polypen nicht wohl die Rede ſein und auch diejenigen freien Stöcke, welche im Sande oder im Schlamme ſtecken und von welchen man bisher glaubte, ſie ſchwämmen im Meere umher, entbehren jeglichen Bewegungsorganes. Nur die freien Einzelpolypen, wie die Seeane- monen, beſitzen einen breiten, ſcheibenförmigen Fuß, mit welchem ſie [Abbildung Fig. 87. Seeanemone (Actinia.)] ſich anſaugen und hin und her gleiten können. Wohl aber beſitzen die Polypen einestheils ein ſehr ausgebildetes Faſergewebe, das ihre einzelne Leibes- theile zuſammenzieht und anderſeits einziehbare Tentakeln, welche eine große Bewegbarkeit beſitzen. Bei denjenigen Polypen, welche acht Tentakeln um den Mund beſitzen, ſind dieſelben meiſt blattförmig und an den Rändern mehr oder minder gekerbt,

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/117>, abgerufen am 28.11.2024.