Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
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pvi_1223.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0085" n="1223"/><lb n="pvi_1223.001"/> war vom rundlichen Gliede gehalten) und dem einzelnen Sprachmittel seine <lb n="pvi_1223.002"/> Wirkung durch den Zusammenhang, durch Hintergrund, Folie, Contrast <lb n="pvi_1223.003"/> sichert; wir müssen uns aber mit diesen Andeutungen begnügen, um nun vom <lb n="pvi_1223.004"/> Einfacheren zum Kühneren, von dem Verfahren, das den Gegenstand beläßt <lb n="pvi_1223.005"/> und nur dem Auge auffrischt, zu dem fortzuschreiten, das ihn löst und lockert, <lb n="pvi_1223.006"/> jedoch nur, um die zersprengte gemeine Ordnung der Dinge mit neuem, <lb n="pvi_1223.007"/> freiem Leben zu durchschießen und in das Licht einer höheren Einheit zu <lb n="pvi_1223.008"/> rücken. Hier beginnen denn die sogenannten Tropen oder Vertauschungen <lb n="pvi_1223.009"/> und es handelt sich zuerst von derjenigen Art derselben, welche nicht eine Erscheinung <lb n="pvi_1223.010"/> aus einer andern Sphäre vergleichend oder verwechselnd herbeizieht, <lb n="pvi_1223.011"/> sondern bei dem Gegenstand und seiner Sphäre stehen bleibt: es ist die sogenannte <lb n="pvi_1223.012"/> Metonymie (eine geistlose Bezeichnung, als gälte es blos Namensverwechslung) <lb n="pvi_1223.013"/> und Synekdoche. Jene bewegt sich in geschloßnerem Kreis, <lb n="pvi_1223.014"/> indem sie die concreten Verhältnisse und Erscheinungsseiten des Gegenstandes <lb n="pvi_1223.015"/> vertauscht: Stoff, Werkzeug, Zeichen, Wirkung, eine der Wirkungen, einen <lb n="pvi_1223.016"/> Theil für das, was aus dem Stoffe besteht, für den Träger des Werkzeugs, <lb n="pvi_1223.017"/> Zeichens, für die Ursache, für das Gesammte der Wirkungen, für das <lb n="pvi_1223.018"/> Ganze setzt u. s. w. Es ist z. B. selbst in der Prosa poetisch, wenn es <lb n="pvi_1223.019"/> heißt: tausend Säbel, Bajonette, Segel für Reiter, Fußgänger, Schiffe. <lb n="pvi_1223.020"/> Die Synekdoche ist ein gewaltsamerer Act, indem sie das logische Verhältniß <lb n="pvi_1223.021"/> des Gegenstands in seiner ganzen Sphäre auflöst, Abstractes mit dem <lb n="pvi_1223.022"/> Concreten, Art und Jndividuum mit der Gattung vertauscht und umgekehrt. <lb n="pvi_1223.023"/> Es ist nicht passend, die Verwechslung des Ganzen und der Theile ihr <lb n="pvi_1223.024"/> zuzuzählen, weil diese im geschloßnen Umkreise des concreten Subjects stehen <lb n="pvi_1223.025"/> bleibt; wir haben sie daher zur Metonymie gezogen. Die meisten Formen <lb n="pvi_1223.026"/> der Vertauschung, die man unter dieser aufführt, fallen ebenso gut, als <lb n="pvi_1223.027"/> unter den Begriff von Wirkung, Werkzeug u. s. w., auch unter den des <lb n="pvi_1223.028"/> Theils für das Ganze: so das angeführte Segel für Schiff, so wenn der <lb n="pvi_1223.029"/> Dichter sagt: sein Brod mit Thränen essen statt: betrübt sein; jenes ist eine <lb n="pvi_1223.030"/> Wirkung der Betrübniß oder ein Theil ihrer Wirkungen. Daran knüpft <lb n="pvi_1223.031"/> sich denn von selbst, daß die Metonymie auch im eigentlichen Sinn Theil <lb n="pvi_1223.032"/> und Ganzes vertauscht, z. B. Schwelle für Haus setzt. Man kann die <lb n="pvi_1223.033"/> Classificationsverhältnisse, welche die Synekdoche verwechselt, nothdürftig auch <lb n="pvi_1223.034"/> als Ganzes und Theile auffassen, aber dieß führt nur zur Verwirrung. <lb n="pvi_1223.035"/> Wichtig ist nun bei dieser Form, daß sie nicht nur dem Gesetze der Jndividualisirung <lb n="pvi_1223.036"/> folgend das Einzelne und die Art statt des Allgemeinen und <lb n="pvi_1223.037"/> der Gattung setzt (z. B. Cicero statt Redner, Hund statt Thier), sondern, <lb n="pvi_1223.038"/> was diesem Grundstreben zu widersprechen scheint, auch das Allgemeine, <lb n="pvi_1223.039"/> Abstracte für das Besondere, Einzelne, Concrete, das Jahrhundert für: die <lb n="pvi_1223.040"/> in ihm lebenden Generationen, die Menschheit, statt: die Menschen, die <lb n="pvi_1223.041"/> Hoffnung statt der Hoffenden, Friede, Krieg statt der darin Begriffenen, </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1223/0085]
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war vom rundlichen Gliede gehalten) und dem einzelnen Sprachmittel seine pvi_1223.002
Wirkung durch den Zusammenhang, durch Hintergrund, Folie, Contrast pvi_1223.003
sichert; wir müssen uns aber mit diesen Andeutungen begnügen, um nun vom pvi_1223.004
Einfacheren zum Kühneren, von dem Verfahren, das den Gegenstand beläßt pvi_1223.005
und nur dem Auge auffrischt, zu dem fortzuschreiten, das ihn löst und lockert, pvi_1223.006
jedoch nur, um die zersprengte gemeine Ordnung der Dinge mit neuem, pvi_1223.007
freiem Leben zu durchschießen und in das Licht einer höheren Einheit zu pvi_1223.008
rücken. Hier beginnen denn die sogenannten Tropen oder Vertauschungen pvi_1223.009
und es handelt sich zuerst von derjenigen Art derselben, welche nicht eine Erscheinung pvi_1223.010
aus einer andern Sphäre vergleichend oder verwechselnd herbeizieht, pvi_1223.011
sondern bei dem Gegenstand und seiner Sphäre stehen bleibt: es ist die sogenannte pvi_1223.012
Metonymie (eine geistlose Bezeichnung, als gälte es blos Namensverwechslung) pvi_1223.013
und Synekdoche. Jene bewegt sich in geschloßnerem Kreis, pvi_1223.014
indem sie die concreten Verhältnisse und Erscheinungsseiten des Gegenstandes pvi_1223.015
vertauscht: Stoff, Werkzeug, Zeichen, Wirkung, eine der Wirkungen, einen pvi_1223.016
Theil für das, was aus dem Stoffe besteht, für den Träger des Werkzeugs, pvi_1223.017
Zeichens, für die Ursache, für das Gesammte der Wirkungen, für das pvi_1223.018
Ganze setzt u. s. w. Es ist z. B. selbst in der Prosa poetisch, wenn es pvi_1223.019
heißt: tausend Säbel, Bajonette, Segel für Reiter, Fußgänger, Schiffe. pvi_1223.020
Die Synekdoche ist ein gewaltsamerer Act, indem sie das logische Verhältniß pvi_1223.021
des Gegenstands in seiner ganzen Sphäre auflöst, Abstractes mit dem pvi_1223.022
Concreten, Art und Jndividuum mit der Gattung vertauscht und umgekehrt. pvi_1223.023
Es ist nicht passend, die Verwechslung des Ganzen und der Theile ihr pvi_1223.024
zuzuzählen, weil diese im geschloßnen Umkreise des concreten Subjects stehen pvi_1223.025
bleibt; wir haben sie daher zur Metonymie gezogen. Die meisten Formen pvi_1223.026
der Vertauschung, die man unter dieser aufführt, fallen ebenso gut, als pvi_1223.027
unter den Begriff von Wirkung, Werkzeug u. s. w., auch unter den des pvi_1223.028
Theils für das Ganze: so das angeführte Segel für Schiff, so wenn der pvi_1223.029
Dichter sagt: sein Brod mit Thränen essen statt: betrübt sein; jenes ist eine pvi_1223.030
Wirkung der Betrübniß oder ein Theil ihrer Wirkungen. Daran knüpft pvi_1223.031
sich denn von selbst, daß die Metonymie auch im eigentlichen Sinn Theil pvi_1223.032
und Ganzes vertauscht, z. B. Schwelle für Haus setzt. Man kann die pvi_1223.033
Classificationsverhältnisse, welche die Synekdoche verwechselt, nothdürftig auch pvi_1223.034
als Ganzes und Theile auffassen, aber dieß führt nur zur Verwirrung. pvi_1223.035
Wichtig ist nun bei dieser Form, daß sie nicht nur dem Gesetze der Jndividualisirung pvi_1223.036
folgend das Einzelne und die Art statt des Allgemeinen und pvi_1223.037
der Gattung setzt (z. B. Cicero statt Redner, Hund statt Thier), sondern, pvi_1223.038
was diesem Grundstreben zu widersprechen scheint, auch das Allgemeine, pvi_1223.039
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in ihm lebenden Generationen, die Menschheit, statt: die Menschen, die pvi_1223.041
Hoffnung statt der Hoffenden, Friede, Krieg statt der darin Begriffenen,
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