Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.
pvi_1219.001 Es ist keine Frage, daß eine genaue Analyse und logische Aufreihung pvi_1219.013 §. 851. pvi_1219.034Es sind, unter Vorbehalt, daß der Gegensatz kein abstracter ist, nach §. 8501. pvi_1219.035
pvi_1219.001 Es ist keine Frage, daß eine genaue Analyse und logische Aufreihung pvi_1219.013 §. 851. pvi_1219.034Es sind, unter Vorbehalt, daß der Gegensatz kein abstracter ist, nach §. 8501. pvi_1219.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0081" n="1219"/><lb n="pvi_1219.001"/> Ganzen oft nöthig werde, durch den belebten und reichen Ausdruck poetische <lb n="pvi_1219.002"/> Dignität erhalte. Dazu hätte er setzen können, daß auch höchst bewegte <lb n="pvi_1219.003"/> Leidenschaft üppige Fülle des letzteren motivire. Dieser Begriff eines Antagonismus <lb n="pvi_1219.004"/> leitet aber schließlich auf die Bemerkung, daß der Dichter, der <lb n="pvi_1219.005"/> ohne Motiv seine einzelnen Mittel steigert, die Bedeutung des bloßen Vehikels <lb n="pvi_1219.006"/> vergißt, welche der Sprache als der Darstellungsform der Poesie zukommt. <lb n="pvi_1219.007"/> Sie soll dem reinen, durchsichtigen Wasser gleichen, durch das wir die Gebilde <lb n="pvi_1219.008"/> auf dem Grunde sehen. J. Paul's Styl geht von dem schweren <lb n="pvi_1219.009"/> Jrrthum aus, daß die Sprache für sich ein dicker, salzüberfüllter Säuerling <lb n="pvi_1219.010"/> sein müsse, und quält uns mit der Entzifferung der lästig pikanten Form, <lb n="pvi_1219.011"/> wo wir den Jnhalt suchen.</hi> </p> <lb n="pvi_1219.012"/> <p> <hi rendition="#et"> Es ist keine Frage, daß eine genaue Analyse und logische Aufreihung <lb n="pvi_1219.013"/> der einzelnen Mittel, wodurch sich die poetische Sprache von der prosaischen <lb n="pvi_1219.014"/> unterscheidet, auch für die Poetik von tiefem Jnteresse wäre, denn die Wissenschaft <lb n="pvi_1219.015"/> hat Alles zu würdigen und in die kleinste Falte des Einzelnen einzudringen. <lb n="pvi_1219.016"/> Ausgegangen aber ist das Jnteresse für dieses Gebiet, das man <lb n="pvi_1219.017"/> unter dem Namen der <hi rendition="#g">Tropen</hi> und <hi rendition="#g">Figuren</hi> begriff, von der Rhetorik, <lb n="pvi_1219.018"/> also der Wissenschaft einer praktischen Thätigkeit, welche auf der Prosa ruht, <lb n="pvi_1219.019"/> die scheinlos aufgefaßte Wirklichkeit durch Bestimmung des Willens zu verändern <lb n="pvi_1219.020"/> den Zweck hat und hiezu als Mittel Phantasie und Empfindung <lb n="pvi_1219.021"/> aufbietet. Die Voraussetzung, daß das Ganze prosaisch sei, lag zu Grunde <lb n="pvi_1219.022"/> in der Art, wie man nun die einzelnen Mittel untersuchte; man dachte an <lb n="pvi_1219.023"/> keine tiefere Ableitung, man erkannte nicht, wie in einem Gebiete, das ganz <lb n="pvi_1219.024"/> und wesentlich der Phantasie gehört, jede einzelne Form der Veranschaulichung <lb n="pvi_1219.025"/> und Belebung nur Ausfluß davon ist, daß das Ganze anschaulich <lb n="pvi_1219.026"/> lebt, kurz, wie der Dichter auch im Einzelnen darum individualisirt, weil <lb n="pvi_1219.027"/> das Ganze Jndividualisirung ist. Ueberdieß hat von jeher die trübste logische <lb n="pvi_1219.028"/> Verwirrung, die dürftigste äußere Aufreihung in diesen Erörterungen <lb n="pvi_1219.029"/> geherrscht. Es wäre aber eine gründlichere Untersuchung und Berichtigung <lb n="pvi_1219.030"/> nicht sowohl Aufgabe der Aesthetik, als vielmehr einer getrennten Poetik. <lb n="pvi_1219.031"/> Jene hat keinen Raum dazu übrig; wir werden nur einige Hauptpuncte <lb n="pvi_1219.032"/> aus dieser Lehre von den Tropen und Figuren berühren.</hi> </p> <lb n="pvi_1219.033"/> <div n="4"> <p> <hi rendition="#c">§. 851.</hi> </p> <lb n="pvi_1219.034"/> <p> Es sind, unter Vorbehalt, daß der Gegensatz kein abstracter ist, nach §. 850<note place="right">1.</note> <lb n="pvi_1219.035"/> die Mittel der <hi rendition="#g">Veranschaulichung</hi> und der <hi rendition="#g">Belebung,</hi> des <hi rendition="#g">Bildes</hi> und <lb n="pvi_1219.036"/> der <hi rendition="#g">Stimmung,</hi> also objective und subjective, mehr malerische und mehr <lb n="pvi_1219.037"/> musikalische Formen zu unterscheiden. Beiden steht die allgemeine, negative <lb n="pvi_1219.038"/> Bestimmung voran, daß die Dichtkunst alle blos beschränkenden Ausdrücke scheut. <lb n="pvi_1219.039"/> Die Veranschaulichung in ihrer einfacheren, directen Form legt sich im Satze vor-<note place="right">2.</note> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1219/0081]
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Ganzen oft nöthig werde, durch den belebten und reichen Ausdruck poetische pvi_1219.002
Dignität erhalte. Dazu hätte er setzen können, daß auch höchst bewegte pvi_1219.003
Leidenschaft üppige Fülle des letzteren motivire. Dieser Begriff eines Antagonismus pvi_1219.004
leitet aber schließlich auf die Bemerkung, daß der Dichter, der pvi_1219.005
ohne Motiv seine einzelnen Mittel steigert, die Bedeutung des bloßen Vehikels pvi_1219.006
vergißt, welche der Sprache als der Darstellungsform der Poesie zukommt. pvi_1219.007
Sie soll dem reinen, durchsichtigen Wasser gleichen, durch das wir die Gebilde pvi_1219.008
auf dem Grunde sehen. J. Paul's Styl geht von dem schweren pvi_1219.009
Jrrthum aus, daß die Sprache für sich ein dicker, salzüberfüllter Säuerling pvi_1219.010
sein müsse, und quält uns mit der Entzifferung der lästig pikanten Form, pvi_1219.011
wo wir den Jnhalt suchen.
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Es ist keine Frage, daß eine genaue Analyse und logische Aufreihung pvi_1219.013
der einzelnen Mittel, wodurch sich die poetische Sprache von der prosaischen pvi_1219.014
unterscheidet, auch für die Poetik von tiefem Jnteresse wäre, denn die Wissenschaft pvi_1219.015
hat Alles zu würdigen und in die kleinste Falte des Einzelnen einzudringen. pvi_1219.016
Ausgegangen aber ist das Jnteresse für dieses Gebiet, das man pvi_1219.017
unter dem Namen der Tropen und Figuren begriff, von der Rhetorik, pvi_1219.018
also der Wissenschaft einer praktischen Thätigkeit, welche auf der Prosa ruht, pvi_1219.019
die scheinlos aufgefaßte Wirklichkeit durch Bestimmung des Willens zu verändern pvi_1219.020
den Zweck hat und hiezu als Mittel Phantasie und Empfindung pvi_1219.021
aufbietet. Die Voraussetzung, daß das Ganze prosaisch sei, lag zu Grunde pvi_1219.022
in der Art, wie man nun die einzelnen Mittel untersuchte; man dachte an pvi_1219.023
keine tiefere Ableitung, man erkannte nicht, wie in einem Gebiete, das ganz pvi_1219.024
und wesentlich der Phantasie gehört, jede einzelne Form der Veranschaulichung pvi_1219.025
und Belebung nur Ausfluß davon ist, daß das Ganze anschaulich pvi_1219.026
lebt, kurz, wie der Dichter auch im Einzelnen darum individualisirt, weil pvi_1219.027
das Ganze Jndividualisirung ist. Ueberdieß hat von jeher die trübste logische pvi_1219.028
Verwirrung, die dürftigste äußere Aufreihung in diesen Erörterungen pvi_1219.029
geherrscht. Es wäre aber eine gründlichere Untersuchung und Berichtigung pvi_1219.030
nicht sowohl Aufgabe der Aesthetik, als vielmehr einer getrennten Poetik. pvi_1219.031
Jene hat keinen Raum dazu übrig; wir werden nur einige Hauptpuncte pvi_1219.032
aus dieser Lehre von den Tropen und Figuren berühren.
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§. 851.
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Es sind, unter Vorbehalt, daß der Gegensatz kein abstracter ist, nach §. 850 pvi_1219.035
die Mittel der Veranschaulichung und der Belebung, des Bildes und pvi_1219.036
der Stimmung, also objective und subjective, mehr malerische und mehr pvi_1219.037
musikalische Formen zu unterscheiden. Beiden steht die allgemeine, negative pvi_1219.038
Bestimmung voran, daß die Dichtkunst alle blos beschränkenden Ausdrücke scheut. pvi_1219.039
Die Veranschaulichung in ihrer einfacheren, directen Form legt sich im Satze vor-
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