pvi_1179.001 Dichter natürlich noch ganz anders, bestimmter und gemessener geltend pvi_1179.002 machen, als im gewöhnlichen Menschen, der nur einzelne poetische Momente pvi_1179.003 hat. Wie er das Bild seines Kunstwerks im Geist empfängt, wird auch das pvi_1179.004 entsprechende Versmaaß im innern Gehöre mit anklingen und seine Formen pvi_1179.005 sind ihm keine Fessel, sondern wachsen organisch mit dem Körper der Dichtung. pvi_1179.006 Jn Wahrheit ist dieser Uebergang des Gefühlsschwungs in die poetische pvi_1179.007 Sprache eigentlich eine Reminiscenz davon, daß das Element der Sprache, pvi_1179.008 der Ton, in einer unmittelbar benachbarten Kunst überhaupt nicht bloßes pvi_1179.009 Mittel, sondern Material des Schönen war. Der Dichtkunst würde, wenn pvi_1179.010 es anders wäre, das letzte Band verloren gehen, das sie an die eigentliche, pvi_1179.011 äußere, nicht blos innerlich gesetzte Sinnlichkeit knüpft, oder richtiger: das pvi_1179.012 Band, das sie allerdings unter allen Umständen noch an diese knüpft (da pvi_1179.013 doch gehört oder gelesen werden muß), verlöre allen Zusammenhang mit dem pvi_1179.014 Schönen, dessen Vermittler und Leiter es ist. Daher ist ursprünglich alle pvi_1179.015 Poesie unmittelbar musikalisch, das Lied entsteht mit der Melodie und wird pvi_1179.016 anders gar nicht vorgetragen, als in Form des Gesangs mit Begleitung pvi_1179.017 eines Jnstruments. Dieser innige Zusammenhang kann allerdings, je mehr pvi_1179.018 die Poesie ihr eigenes Wesen in den größeren, objectiven Formen ausbildet, pvi_1179.019 nicht fortbestehen; der volle Sinnen-Eindruck des musikalischen Vortrags pvi_1179.020 drückt auf die Entwicklung des rein Poetischen, stört das nöthige Verweilen pvi_1179.021 bei der Bestimmtheit der innern Anschauung; daher ist es natürlich, daß pvi_1179.022 solche unmittelbare Einheit beider Künste sich in jenen Zweig zurückzieht, pvi_1179.023 dessen nothwendiges Erwachsen aus dem Verhältnisse der Poesie zum Gefühle pvi_1179.024 sich uns bereits angekündigt hat, in den lyrischen. Doch ist sogleich pvi_1179.025 hinzuzusetzen, daß auch dieß besonders enge Verhältniß kein absolutes ist pvi_1179.026 und, nachdem das ursprüngliche Band gemeinschaftlichen Werdens des Textes pvi_1179.027 und der Melodie sich gelöst hat, das stimmungsvollste Lied für sich bestehen pvi_1179.028 kann, so daß durch die musikalische Composition und den Vortrag etwas pvi_1179.029 zwar innig Verwandtes, aber doch Neues und Anderes hinzukommt. Kurz, pvi_1179.030 die rhythmische Form ist, ohne nothwendigen Zusammenhang mit eigentlicher pvi_1179.031 Musik, ein der Poesie wesentliches Analogon von Musik im Bau und pvi_1179.032 Gang der gebundenen Sprache. Die Sache hat übrigens noch eine andere pvi_1179.033 Seite, als die, von welcher wir hier ausgegangen sind und wonach die pvi_1179.034 poetische Stimmung den rhythmischen Gang und Klang der Sprache von pvi_1179.035 selbst mit sich führt; neben diesem Wege von innen nach außen besteht eine pvi_1179.036 Rückwirkung von außen nach innen: die rhythmisch gehobene Rede trägt pvi_1179.037 und hält den Dichter auf der Höhe der idealen Stimmung, warnt ihn, pvi_1179.038 wo dieselbe in's Platte fallen will, und leitet sie in die äußersten Spitzen, pvi_1179.039 den einzelnen Ausdruck hinaus. Nur die Oppositionsstellung im Kampfe pvi_1179.040 gegen eine Dichtung, die in der Form aufzugehen drohte, konnte ein relatives pvi_1179.041 Recht haben, im ernsten Drama grundsätzlich die prosaische Rede als
pvi_1179.001 Dichter natürlich noch ganz anders, bestimmter und gemessener geltend pvi_1179.002 machen, als im gewöhnlichen Menschen, der nur einzelne poetische Momente pvi_1179.003 hat. Wie er das Bild seines Kunstwerks im Geist empfängt, wird auch das pvi_1179.004 entsprechende Versmaaß im innern Gehöre mit anklingen und seine Formen pvi_1179.005 sind ihm keine Fessel, sondern wachsen organisch mit dem Körper der Dichtung. pvi_1179.006 Jn Wahrheit ist dieser Uebergang des Gefühlsschwungs in die poetische pvi_1179.007 Sprache eigentlich eine Reminiscenz davon, daß das Element der Sprache, pvi_1179.008 der Ton, in einer unmittelbar benachbarten Kunst überhaupt nicht bloßes pvi_1179.009 Mittel, sondern Material des Schönen war. Der Dichtkunst würde, wenn pvi_1179.010 es anders wäre, das letzte Band verloren gehen, das sie an die eigentliche, pvi_1179.011 äußere, nicht blos innerlich gesetzte Sinnlichkeit knüpft, oder richtiger: das pvi_1179.012 Band, das sie allerdings unter allen Umständen noch an diese knüpft (da pvi_1179.013 doch gehört oder gelesen werden muß), verlöre allen Zusammenhang mit dem pvi_1179.014 Schönen, dessen Vermittler und Leiter es ist. Daher ist ursprünglich alle pvi_1179.015 Poesie unmittelbar musikalisch, das Lied entsteht mit der Melodie und wird pvi_1179.016 anders gar nicht vorgetragen, als in Form des Gesangs mit Begleitung pvi_1179.017 eines Jnstruments. Dieser innige Zusammenhang kann allerdings, je mehr pvi_1179.018 die Poesie ihr eigenes Wesen in den größeren, objectiven Formen ausbildet, pvi_1179.019 nicht fortbestehen; der volle Sinnen-Eindruck des musikalischen Vortrags pvi_1179.020 drückt auf die Entwicklung des rein Poetischen, stört das nöthige Verweilen pvi_1179.021 bei der Bestimmtheit der innern Anschauung; daher ist es natürlich, daß pvi_1179.022 solche unmittelbare Einheit beider Künste sich in jenen Zweig zurückzieht, pvi_1179.023 dessen nothwendiges Erwachsen aus dem Verhältnisse der Poesie zum Gefühle pvi_1179.024 sich uns bereits angekündigt hat, in den lyrischen. Doch ist sogleich pvi_1179.025 hinzuzusetzen, daß auch dieß besonders enge Verhältniß kein absolutes ist pvi_1179.026 und, nachdem das ursprüngliche Band gemeinschaftlichen Werdens des Textes pvi_1179.027 und der Melodie sich gelöst hat, das stimmungsvollste Lied für sich bestehen pvi_1179.028 kann, so daß durch die musikalische Composition und den Vortrag etwas pvi_1179.029 zwar innig Verwandtes, aber doch Neues und Anderes hinzukommt. Kurz, pvi_1179.030 die rhythmische Form ist, ohne nothwendigen Zusammenhang mit eigentlicher pvi_1179.031 Musik, ein der Poesie wesentliches Analogon von Musik im Bau und pvi_1179.032 Gang der gebundenen Sprache. Die Sache hat übrigens noch eine andere pvi_1179.033 Seite, als die, von welcher wir hier ausgegangen sind und wonach die pvi_1179.034 poetische Stimmung den rhythmischen Gang und Klang der Sprache von pvi_1179.035 selbst mit sich führt; neben diesem Wege von innen nach außen besteht eine pvi_1179.036 Rückwirkung von außen nach innen: die rhythmisch gehobene Rede trägt pvi_1179.037 und hält den Dichter auf der Höhe der idealen Stimmung, warnt ihn, pvi_1179.038 wo dieselbe in's Platte fallen will, und leitet sie in die äußersten Spitzen, pvi_1179.039 den einzelnen Ausdruck hinaus. Nur die Oppositionsstellung im Kampfe pvi_1179.040 gegen eine Dichtung, die in der Form aufzugehen drohte, konnte ein relatives pvi_1179.041 Recht haben, im ernsten Drama grundsätzlich die prosaische Rede als
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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/41>, abgerufen am 16.07.2024.
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