Blepe ano! Ich schaue über ihr Gorgonenhaupt hinweg, hinauf nach dem speienden Krater. Da fliegt wie eine Rakete emporgetrieben ein schwarzer Körper zwischen den Flammengarben auf, hält dann im Schweben still, fängt an mit den Beinen zu gaukeln, zu zappeln wie ein Hampelmann, tanzt baumelnd, sich überschlagend eine Weile in den Lüften, kugelt dann abwärts und herwärts, immer näher, bis er über meinem Haupte flattert, und beginnt nun mit kreischender Stimme zu stottern: "Gu -- gu -- guck mich an!" Ich lache, doch verzwungen und angstvoll, und rufe: "Du bist der Stotterer vom Theater S. Carlin in Neapel!" "Oho, oho," stammelt es jetzt, "wie du -- du -- dumm! Ich bin ja der Pla -- Pla -- Plato! der Plato! Kann auch pfei -- pfeifen!" -- Er pfiff, der schrille Ton gieng in eine Schelmen¬ melodie über und es war jetzt, als pfiffen zwei Stimmen, eine höhere und eine tiefere, und die tiefere schien aus einem großen Loch in der Brust zu kommen. -- O, ich hatte mir's nur verhehlen wollen, -- schon vorher hatte ich die verzerrten Züge, die halbgrauen, nun wild flatternden Locken erkannt, die mir einst so ehr¬ würdig erschienen. Eine Wuth befiel mich mitten in der Versteinerung, im kalten Schauer, der mir vom Wirbel zur Fußsohle niederrieselte. "O, ein Gewehr, ein Gewehr," brachte ich mit halb gebannter Stimme mühsam hervor, "wie einen Geier, wie einen Schuhu
Βλέπε ἄνω! Ich ſchaue über ihr Gorgonenhaupt hinweg, hinauf nach dem ſpeienden Krater. Da fliegt wie eine Rakete emporgetrieben ein ſchwarzer Körper zwiſchen den Flammengarben auf, hält dann im Schweben ſtill, fängt an mit den Beinen zu gaukeln, zu zappeln wie ein Hampelmann, tanzt baumelnd, ſich überſchlagend eine Weile in den Lüften, kugelt dann abwärts und herwärts, immer näher, bis er über meinem Haupte flattert, und beginnt nun mit kreiſchender Stimme zu ſtottern: „Gu — gu — guck mich an!“ Ich lache, doch verzwungen und angſtvoll, und rufe: „Du biſt der Stotterer vom Theater S. Carlin in Neapel!“ „Oho, oho,“ ſtammelt es jetzt, „wie du — du — dumm! Ich bin ja der Pla — Pla — Plato! der Plato! Kann auch pfei — pfeifen!“ — Er pfiff, der ſchrille Ton gieng in eine Schelmen¬ melodie über und es war jetzt, als pfiffen zwei Stimmen, eine höhere und eine tiefere, und die tiefere ſchien aus einem großen Loch in der Bruſt zu kommen. — O, ich hatte mir's nur verhehlen wollen, — ſchon vorher hatte ich die verzerrten Züge, die halbgrauen, nun wild flatternden Locken erkannt, die mir einſt ſo ehr¬ würdig erſchienen. Eine Wuth befiel mich mitten in der Verſteinerung, im kalten Schauer, der mir vom Wirbel zur Fußſohle niederrieſelte. „O, ein Gewehr, ein Gewehr,“ brachte ich mit halb gebannter Stimme mühſam hervor, „wie einen Geier, wie einen Schuhu
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0422"n="409"/>Βλέπεἄνω! Ich ſchaue über ihr Gorgonenhaupt<lb/>
hinweg, hinauf nach dem ſpeienden Krater. Da fliegt<lb/>
wie eine Rakete emporgetrieben ein ſchwarzer Körper<lb/>
zwiſchen den Flammengarben auf, hält dann im<lb/>
Schweben ſtill, fängt an mit den Beinen zu gaukeln,<lb/>
zu zappeln wie ein Hampelmann, tanzt baumelnd,<lb/>ſich überſchlagend eine Weile in den Lüften, kugelt<lb/>
dann abwärts und herwärts, immer näher, bis er<lb/>
über meinem Haupte flattert, und beginnt nun mit<lb/>
kreiſchender Stimme zu ſtottern: „Gu — gu — guck<lb/>
mich an!“ Ich lache, doch verzwungen und angſtvoll,<lb/>
und rufe: „Du biſt der Stotterer vom Theater<lb/>
S. Carlin in Neapel!“„Oho, oho,“ſtammelt es<lb/>
jetzt, „wie du — du — dumm! Ich bin ja der Pla —<lb/>
Pla — Plato! der Plato! Kann auch pfei — pfeifen!“<lb/>— Er pfiff, der ſchrille Ton gieng in eine Schelmen¬<lb/>
melodie über und es war jetzt, als pfiffen zwei Stimmen,<lb/>
eine höhere und eine tiefere, und die tiefere ſchien aus<lb/>
einem großen Loch in der Bruſt zu kommen. — O,<lb/>
ich hatte mir's nur verhehlen wollen, —ſchon vorher<lb/>
hatte ich die verzerrten Züge, die halbgrauen, nun<lb/>
wild flatternden Locken erkannt, die mir einſt ſo ehr¬<lb/>
würdig erſchienen. Eine Wuth befiel mich mitten in<lb/>
der Verſteinerung, im kalten Schauer, der mir vom<lb/>
Wirbel zur Fußſohle niederrieſelte. „O, ein Gewehr,<lb/>
ein Gewehr,“ brachte ich mit halb gebannter Stimme<lb/>
mühſam hervor, „wie einen Geier, wie einen Schuhu<lb/></p></div></body></text></TEI>
[409/0422]
Βλέπε ἄνω! Ich ſchaue über ihr Gorgonenhaupt
hinweg, hinauf nach dem ſpeienden Krater. Da fliegt
wie eine Rakete emporgetrieben ein ſchwarzer Körper
zwiſchen den Flammengarben auf, hält dann im
Schweben ſtill, fängt an mit den Beinen zu gaukeln,
zu zappeln wie ein Hampelmann, tanzt baumelnd,
ſich überſchlagend eine Weile in den Lüften, kugelt
dann abwärts und herwärts, immer näher, bis er
über meinem Haupte flattert, und beginnt nun mit
kreiſchender Stimme zu ſtottern: „Gu — gu — guck
mich an!“ Ich lache, doch verzwungen und angſtvoll,
und rufe: „Du biſt der Stotterer vom Theater
S. Carlin in Neapel!“ „Oho, oho,“ ſtammelt es
jetzt, „wie du — du — dumm! Ich bin ja der Pla —
Pla — Plato! der Plato! Kann auch pfei — pfeifen!“
— Er pfiff, der ſchrille Ton gieng in eine Schelmen¬
melodie über und es war jetzt, als pfiffen zwei Stimmen,
eine höhere und eine tiefere, und die tiefere ſchien aus
einem großen Loch in der Bruſt zu kommen. — O,
ich hatte mir's nur verhehlen wollen, — ſchon vorher
hatte ich die verzerrten Züge, die halbgrauen, nun
wild flatternden Locken erkannt, die mir einſt ſo ehr¬
würdig erſchienen. Eine Wuth befiel mich mitten in
der Verſteinerung, im kalten Schauer, der mir vom
Wirbel zur Fußſohle niederrieſelte. „O, ein Gewehr,
ein Gewehr,“ brachte ich mit halb gebannter Stimme
mühſam hervor, „wie einen Geier, wie einen Schuhu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/422>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.