Aber man muß den Tod recogitare, um ihn nicht zu fürchten. Nun ist das nicht die Art der Menschen. Daß sie in Masse überhaupt auf kein Uebel gefaßt sind, hat seinen guten Grund. Sie wären, -- so muß der erste Satz von mehreren Sätzen lauten --, sie wären ja Narren, sich das künftig mögliche Uebel vorzustellen, sie würden sich nur die Gegenwart verbittern. Lebe voll und ganz in der Gegenwart!: das ist ja richtig. Wer würde zum Beispiel die Geliebte an den Altar führen, wenn er sich recht darein vertiefte, daß Eines von Beiden vor dem Andern sterben muß! -- Allein der zweite Satz lautet: Stelle dir das Uebel dennoch vor, sonst trifft es dich ungefaßt und vor Allem das scheinbar schreck¬ lichste, der Tod. Also Widerspruch zwei gleich wahrer Sätze. Folgt, daß es eines dritten Satzes bedarf. Stelle es dir nicht nur vor, sondern durcharbeite, durchbohre, durchsetze, durchäze es ganz mit klaren Gedanken, bis du damit fertig bist, dann schwindet das Drohende des Schattens und du kannst frei die Gegenwart genießen, bist auf unendlich höherer Stufe, was das Thier auf seiner ist: sorglos blind für die Zukunft. "Gefaßt sein ist Alles."
Schiller hat gesagt, der Tod könne kein Uebel sein, weil er allgemein sei. Man denke sich einmal, ein
Aber man muß den Tod recogitare, um ihn nicht zu fürchten. Nun iſt das nicht die Art der Menſchen. Daß ſie in Maſſe überhaupt auf kein Uebel gefaßt ſind, hat ſeinen guten Grund. Sie wären, — ſo muß der erſte Satz von mehreren Sätzen lauten —, ſie wären ja Narren, ſich das künftig mögliche Uebel vorzuſtellen, ſie würden ſich nur die Gegenwart verbittern. Lebe voll und ganz in der Gegenwart!: das iſt ja richtig. Wer würde zum Beiſpiel die Geliebte an den Altar führen, wenn er ſich recht darein vertiefte, daß Eines von Beiden vor dem Andern ſterben muß! — Allein der zweite Satz lautet: Stelle dir das Uebel dennoch vor, ſonſt trifft es dich ungefaßt und vor Allem das ſcheinbar ſchreck¬ lichſte, der Tod. Alſo Widerſpruch zwei gleich wahrer Sätze. Folgt, daß es eines dritten Satzes bedarf. Stelle es dir nicht nur vor, ſondern durcharbeite, durchbohre, durchſetze, durchäze es ganz mit klaren Gedanken, bis du damit fertig biſt, dann ſchwindet das Drohende des Schattens und du kannſt frei die Gegenwart genießen, biſt auf unendlich höherer Stufe, was das Thier auf ſeiner iſt: ſorglos blind für die Zukunft. „Gefaßt ſein iſt Alles.“
Schiller hat geſagt, der Tod könne kein Uebel ſein, weil er allgemein ſei. Man denke ſich einmal, ein
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Aber man muß den Tod recogitare, um ihn
nicht zu fürchten. Nun iſt das nicht die Art der
Menſchen. Daß ſie in Maſſe überhaupt auf kein
Uebel gefaßt ſind, hat ſeinen guten Grund. Sie
wären, — ſo muß der erſte Satz von mehreren Sätzen
lauten —, ſie wären ja Narren, ſich das künftig
mögliche Uebel vorzuſtellen, ſie würden ſich nur die
Gegenwart verbittern. Lebe voll und ganz in der
Gegenwart!: das iſt ja richtig. Wer würde zum
Beiſpiel die Geliebte an den Altar führen, wenn er
ſich recht darein vertiefte, daß Eines von Beiden vor
dem Andern ſterben muß! — Allein der zweite Satz
lautet: Stelle dir das Uebel dennoch vor, ſonſt trifft
es dich ungefaßt und vor Allem das ſcheinbar ſchreck¬
lichſte, der Tod. Alſo Widerſpruch zwei gleich wahrer
Sätze. Folgt, daß es eines dritten Satzes bedarf.
Stelle es dir nicht nur vor, ſondern durcharbeite,
durchbohre, durchſetze, durchäze es ganz mit klaren
Gedanken, bis du damit fertig biſt, dann ſchwindet
das Drohende des Schattens und du kannſt frei die
Gegenwart genießen, biſt auf unendlich höherer Stufe,
was das Thier auf ſeiner iſt: ſorglos blind für die
Zukunft. „Gefaßt ſein iſt Alles.“
Schiller hat geſagt, der Tod könne kein Uebel ſein,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/390>, abgerufen am 22.11.2024.
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