In der unendlichen Thätigkeit Aller, den Zufall zu verarbeiten, sind nun geheimnißvolle Gesetze thätig, denen die Philosophie der Geschichte mit wenig Erfolg nachforscht. -- Gewiß ist freilich Eines: unendlich Vieles fällt durch die Maschen in's Leere, unzähliges Leben geht elend zu Grunde, ohne daß wir eine Frucht ab¬ sehen. Da ist nicht zu helfen; darein muß man sich ergeben; da gibt es keinen Trost, als den: sollen die blinden Naturgesetze unendliches Leben schaffen und unendliches Wohl, so geht es nicht anders, sie müssen auch ihre Opfer haben. -- Und erst der meskine, der ganz knirpsige, lumpige, nüssige Kleinzufall, der nie¬ mals Frucht tragen kann, was ist es mit dem? Nun eben, hier tritt als einzige Auskunft meine Dämono¬ logie in's Mittel. Aber es wird ja auch gegen die Dämonen gekämpft. Die Canaillen haben mich doch nicht untergekriegt, ich habe nie am obern Stockwerk gezweifelt und treulich daran gebaut, was ich konnte.
Ueber Freiheit und Nothwendigkeit, nachdem ich mir an der Frage fast das Hirn lahm gearbeitet, bin ich endlich bei einem ordinären Behelf angekommen, der mir doch seine Dienste thut. Es sei so, daß es Wahlfreiheit des Willens nicht gibt. Also schwindet die Zurechnung; es gibt nicht Schuld, nicht Verdienst, der Verbrecher muß. Allein, da doch Alles noth¬
In der unendlichen Thätigkeit Aller, den Zufall zu verarbeiten, ſind nun geheimnißvolle Geſetze thätig, denen die Philoſophie der Geſchichte mit wenig Erfolg nachforſcht. — Gewiß iſt freilich Eines: unendlich Vieles fällt durch die Maſchen in’s Leere, unzähliges Leben geht elend zu Grunde, ohne daß wir eine Frucht ab¬ ſehen. Da iſt nicht zu helfen; darein muß man ſich ergeben; da gibt es keinen Troſt, als den: ſollen die blinden Naturgeſetze unendliches Leben ſchaffen und unendliches Wohl, ſo geht es nicht anders, ſie müſſen auch ihre Opfer haben. — Und erſt der meskine, der ganz knirpſige, lumpige, nüſſige Kleinzufall, der nie¬ mals Frucht tragen kann, was iſt es mit dem? Nun eben, hier tritt als einzige Auskunft meine Dämono¬ logie in’s Mittel. Aber es wird ja auch gegen die Dämonen gekämpft. Die Canaillen haben mich doch nicht untergekriegt, ich habe nie am obern Stockwerk gezweifelt und treulich daran gebaut, was ich konnte.
Ueber Freiheit und Nothwendigkeit, nachdem ich mir an der Frage faſt das Hirn lahm gearbeitet, bin ich endlich bei einem ordinären Behelf angekommen, der mir doch ſeine Dienſte thut. Es ſei ſo, daß es Wahlfreiheit des Willens nicht gibt. Alſo ſchwindet die Zurechnung; es gibt nicht Schuld, nicht Verdienſt, der Verbrecher muß. Allein, da doch Alles noth¬
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In der unendlichen Thätigkeit Aller, den Zufall zu
verarbeiten, ſind nun geheimnißvolle Geſetze thätig,
denen die Philoſophie der Geſchichte mit wenig Erfolg
nachforſcht. — Gewiß iſt freilich Eines: unendlich Vieles
fällt durch die Maſchen in’s Leere, unzähliges Leben
geht elend zu Grunde, ohne daß wir eine Frucht ab¬
ſehen. Da iſt nicht zu helfen; darein muß man ſich
ergeben; da gibt es keinen Troſt, als den: ſollen die
blinden Naturgeſetze unendliches Leben ſchaffen und
unendliches Wohl, ſo geht es nicht anders, ſie müſſen
auch ihre Opfer haben. — Und erſt der meskine, der
ganz knirpſige, lumpige, nüſſige Kleinzufall, der nie¬
mals Frucht tragen kann, was iſt es mit dem? Nun
eben, hier tritt als einzige Auskunft meine Dämono¬
logie in’s Mittel. Aber es wird ja auch gegen die
Dämonen gekämpft. Die Canaillen haben mich doch
nicht untergekriegt, ich habe nie am obern Stockwerk
gezweifelt und treulich daran gebaut, was ich konnte.
Ueber Freiheit und Nothwendigkeit, nachdem ich
mir an der Frage faſt das Hirn lahm gearbeitet, bin
ich endlich bei einem ordinären Behelf angekommen,
der mir doch ſeine Dienſte thut. Es ſei ſo, daß es
Wahlfreiheit des Willens nicht gibt. Alſo ſchwindet
die Zurechnung; es gibt nicht Schuld, nicht Verdienſt,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/378>, abgerufen am 22.11.2024.
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