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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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ist: mild, gegen Große streng! -- Ich hätte gute Lust,
eine Shakespeare-Absurditätensammlung anzulegen --
zur größern Ehre des Dichters. Nichts schadet ja dem
großen Geiste mehr, als wenn man den guten Leuten
zumuthet, ihn mit Haut und Haar zu bewundern;
ihnen soll man sagen: siehst du, das und das ist zu¬
gegeben als roh, als abgeschmackt u. s. w., damit plage
dich nicht, damit du die Seele frei bekommst für das
Große, das rein Schöne! -- Es ist nicht leicht ergründen,
worin eigentlich das Absurde besteht. Wer vermöchte
den Abgrund von Aberwitz in folgendem Prachtstück mit
Begriffen zu erschöpfen! Romeo im Sonettenstyl über
Rosalinde, da Benvoglio sagt, es gebe schönere Mädchen:

"Wenn meiner Augen frommer Glaube trügt,
Dann, meine Thränen, werdet Feuergluten!
Durchsicht'ge Ketzer, nicht ertränkt in Fluten,
Verbrennt in Flammen, weil ihr schnöde lügt."

Genommen vom Hexen- und Ketzerprozeß: Wasser- und
Feuerprobe. -- Das sagt nun Romeo zwar im euphui¬
stischen Modeton, man kann sich aber darauf verlassen,
daß Shakespeare damit etwas Extrafeines in allem Ernst
zu bieten meinte und daß die Gesellschaft seiner Zeit
es höchlich bewunderte. Und in keinem deutschen Kom¬
mentar auch nur ein Wort gegen den vertrakten, hirn¬
verbrannten Schwulst! -- Shakespeare ist mit Einem
Bein später aus diesem Geschling heraus, mit dem

iſt: mild, gegen Große ſtreng! — Ich hätte gute Luſt,
eine Shakeſpeare-Abſurditätenſammlung anzulegen —
zur größern Ehre des Dichters. Nichts ſchadet ja dem
großen Geiſte mehr, als wenn man den guten Leuten
zumuthet, ihn mit Haut und Haar zu bewundern;
ihnen ſoll man ſagen: ſiehſt du, das und das iſt zu¬
gegeben als roh, als abgeſchmackt u. ſ. w., damit plage
dich nicht, damit du die Seele frei bekommſt für das
Große, das rein Schöne! — Es iſt nicht leicht ergründen,
worin eigentlich das Abſurde beſteht. Wer vermöchte
den Abgrund von Aberwitz in folgendem Prachtſtück mit
Begriffen zu erſchöpfen! Romeo im Sonettenſtyl über
Roſalinde, da Benvoglio ſagt, es gebe ſchönere Mädchen:

„Wenn meiner Augen frommer Glaube trügt,
Dann, meine Thränen, werdet Feuergluten!
Durchſicht'ge Ketzer, nicht ertränkt in Fluten,
Verbrennt in Flammen, weil ihr ſchnöde lügt.“

Genommen vom Hexen- und Ketzerprozeß: Waſſer- und
Feuerprobe. — Das ſagt nun Romeo zwar im euphui¬
ſtiſchen Modeton, man kann ſich aber darauf verlaſſen,
daß Shakeſpeare damit etwas Extrafeines in allem Ernſt
zu bieten meinte und daß die Geſellſchaft ſeiner Zeit
es höchlich bewunderte. Und in keinem deutſchen Kom¬
mentar auch nur ein Wort gegen den vertrakten, hirn¬
verbrannten Schwulſt! — Shakeſpeare iſt mit Einem
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[352/0365] iſt: mild, gegen Große ſtreng! — Ich hätte gute Luſt, eine Shakeſpeare-Abſurditätenſammlung anzulegen — zur größern Ehre des Dichters. Nichts ſchadet ja dem großen Geiſte mehr, als wenn man den guten Leuten zumuthet, ihn mit Haut und Haar zu bewundern; ihnen ſoll man ſagen: ſiehſt du, das und das iſt zu¬ gegeben als roh, als abgeſchmackt u. ſ. w., damit plage dich nicht, damit du die Seele frei bekommſt für das Große, das rein Schöne! — Es iſt nicht leicht ergründen, worin eigentlich das Abſurde beſteht. Wer vermöchte den Abgrund von Aberwitz in folgendem Prachtſtück mit Begriffen zu erſchöpfen! Romeo im Sonettenſtyl über Roſalinde, da Benvoglio ſagt, es gebe ſchönere Mädchen: „Wenn meiner Augen frommer Glaube trügt, Dann, meine Thränen, werdet Feuergluten! Durchſicht'ge Ketzer, nicht ertränkt in Fluten, Verbrennt in Flammen, weil ihr ſchnöde lügt.“ Genommen vom Hexen- und Ketzerprozeß: Waſſer- und Feuerprobe. — Das ſagt nun Romeo zwar im euphui¬ ſtiſchen Modeton, man kann ſich aber darauf verlaſſen, daß Shakeſpeare damit etwas Extrafeines in allem Ernſt zu bieten meinte und daß die Geſellſchaft ſeiner Zeit es höchlich bewunderte. Und in keinem deutſchen Kom¬ mentar auch nur ein Wort gegen den vertrakten, hirn¬ verbrannten Schwulſt! — Shakeſpeare iſt mit Einem Bein ſpäter aus dieſem Geſchling heraus, mit dem

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/365>, abgerufen am 22.11.2024.