soll man auch der Festigkeit der Grenze von oben nach unten nicht trauen. Zählst du dich zur guten Minder¬ heit: du magst Recht haben, aber zupfe dich an der eigenen Nase, besinne dich auf die Blindheit deiner Jugend, falle nicht in Sicherheit und Dünkel, ins¬ besondere prüfe dich daran, ob du aktiv bist. Hoch¬ muth kommt vor dem Fall. Eine Minderheit, die nur klagt und schilt, taugt gar nichts, verliert ihren Werth. Nicht ob moralische Uebel vorhanden sind oder nicht, ist die Frage, -- sie sind immer vorhanden, weil die Mehrheit schlecht ist, -- sondern ob sie bekämpft werden oder nicht, ob die bessere Minderheit thätig ist oder unthätig. Ist sie unthätig, so verkommt sie selbst. Das Menschenbataillon hat eben wie jedes mehr Ge¬ meine als Offiziere. Erst wenn diese faul werden, steht es schlecht.
Wer die Gemeinheit der Welt, den maschinenhaft rohen Druck der Verhältnisse in diesem stoßenden Ge¬ dräng, wo Alles vom Interesse geschoben wird und dazwischen die eiserne Schraube der Nothwendigkeit läuft, wer dieß mit grausam täuschungslosem Auge gesehen hat wie kein Anderer, das ist Shakespeare. Die Gröblichkeit der Welt nennt er's einmal, Buckingham sagt's in Richard III.: grossness of this age; this age ist aber jedes age. Alle tragische Literatur aller
ſoll man auch der Feſtigkeit der Grenze von oben nach unten nicht trauen. Zählſt du dich zur guten Minder¬ heit: du magſt Recht haben, aber zupfe dich an der eigenen Naſe, beſinne dich auf die Blindheit deiner Jugend, falle nicht in Sicherheit und Dünkel, ins¬ beſondere prüfe dich daran, ob du aktiv biſt. Hoch¬ muth kommt vor dem Fall. Eine Minderheit, die nur klagt und ſchilt, taugt gar nichts, verliert ihren Werth. Nicht ob moraliſche Uebel vorhanden ſind oder nicht, iſt die Frage, — ſie ſind immer vorhanden, weil die Mehrheit ſchlecht iſt, — ſondern ob ſie bekämpft werden oder nicht, ob die beſſere Minderheit thätig iſt oder unthätig. Iſt ſie unthätig, ſo verkommt ſie ſelbſt. Das Menſchenbataillon hat eben wie jedes mehr Ge¬ meine als Offiziere. Erſt wenn dieſe faul werden, ſteht es ſchlecht.
Wer die Gemeinheit der Welt, den maſchinenhaft rohen Druck der Verhältniſſe in dieſem ſtoßenden Ge¬ dräng, wo Alles vom Intereſſe geſchoben wird und dazwiſchen die eiſerne Schraube der Nothwendigkeit läuft, wer dieß mit grauſam täuſchungsloſem Auge geſehen hat wie kein Anderer, das iſt Shakeſpeare. Die Gröblichkeit der Welt nennt er's einmal, Buckingham ſagt's in Richard III.: grossness of this age; this age iſt aber jedes age. Alle tragiſche Literatur aller
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ſoll man auch der Feſtigkeit der Grenze von oben nach
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heit: du magſt Recht haben, aber zupfe dich an der
eigenen Naſe, beſinne dich auf die Blindheit deiner
Jugend, falle nicht in Sicherheit und Dünkel, ins¬
beſondere prüfe dich daran, ob du aktiv biſt. Hoch¬
muth kommt vor dem Fall. Eine Minderheit, die nur
klagt und ſchilt, taugt gar nichts, verliert ihren Werth.
Nicht ob moraliſche Uebel vorhanden ſind oder nicht,
iſt die Frage, — ſie ſind immer vorhanden, weil die
Mehrheit ſchlecht iſt, — ſondern ob ſie bekämpft werden
oder nicht, ob die beſſere Minderheit thätig iſt oder
unthätig. Iſt ſie unthätig, ſo verkommt ſie ſelbſt.
Das Menſchenbataillon hat eben wie jedes mehr Ge¬
meine als Offiziere. Erſt wenn dieſe faul werden,
ſteht es ſchlecht.
Wer die Gemeinheit der Welt, den maſchinenhaft
rohen Druck der Verhältniſſe in dieſem ſtoßenden Ge¬
dräng, wo Alles vom Intereſſe geſchoben wird und
dazwiſchen die eiſerne Schraube der Nothwendigkeit
läuft, wer dieß mit grauſam täuſchungsloſem Auge
geſehen hat wie kein Anderer, das iſt Shakeſpeare.
Die Gröblichkeit der Welt nennt er's einmal, Buckingham
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/362>, abgerufen am 22.11.2024.
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