Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Niemand mit, und wäre es der Busenfreund, der eigene
Bruder, der eigene Sohn -- nicht, nicht! Man hat
ungleichen Schritt, will sich gern nach dem Begleiter
einrichten, vergißt es immer wieder nach wenig Minuten,
und der Eine oder Andere zappelt sich ab, ist gehetzt;
der Eine will einkehren, der Andere nicht, der Eine
reden, der Andere schweigen, dieser gibt nach, und man
verschwatzt die herrlichsten Landschaftspunkte, die schönsten
Beleuchtungen. Es ist Entbehrung, sich nicht mittheilen
zu können, aber dieß negative Uebel viel kleiner als
jene positiven. -- Wandern, wandern, seiner Rüstigkeit
froh, Diogenes mit federleichtem Gepäck, schauen, träu¬
men, viel denken und nichts denken, bei Sennen ein¬
kehren, im ländlichen Wirthshaus übernachten, wo es
noch einen Hausknecht gibt, der mit der Innigkeit edler
Leidenschaft die Stiefel wichst, in dessen Gesicht nicht
jeder Zug Trinkgeld heißt, -- freundlich plaudern mit
Landvolk, mit Hausthieren, schlafen wie ein Sack, in
Morgenfrühe weiter, von Lerche, Fink, Amsel begrüßt
-- kurz, man lebt. -- Leider geht's in Italien,
wenigstens auf den Hauptlinien, nicht; brennende Land¬
straßen, zu wenig Feldwege, zu wenig Grün, zu wenig
reinliche und zuverlässige Landherbergen.


Warum fährt es manchmal wie ein Blitz in mir
auf: gleich wieder fort und hin!? Hast Wahnsinn

Niemand mit, und wäre es der Buſenfreund, der eigene
Bruder, der eigene Sohn — nicht, nicht! Man hat
ungleichen Schritt, will ſich gern nach dem Begleiter
einrichten, vergißt es immer wieder nach wenig Minuten,
und der Eine oder Andere zappelt ſich ab, iſt gehetzt;
der Eine will einkehren, der Andere nicht, der Eine
reden, der Andere ſchweigen, dieſer gibt nach, und man
verſchwatzt die herrlichſten Landſchaftspunkte, die ſchönſten
Beleuchtungen. Es iſt Entbehrung, ſich nicht mittheilen
zu können, aber dieß negative Uebel viel kleiner als
jene poſitiven. — Wandern, wandern, ſeiner Rüſtigkeit
froh, Diogenes mit federleichtem Gepäck, ſchauen, träu¬
men, viel denken und nichts denken, bei Sennen ein¬
kehren, im ländlichen Wirthshaus übernachten, wo es
noch einen Hausknecht gibt, der mit der Innigkeit edler
Leidenſchaft die Stiefel wichst, in deſſen Geſicht nicht
jeder Zug Trinkgeld heißt, — freundlich plaudern mit
Landvolk, mit Hausthieren, ſchlafen wie ein Sack, in
Morgenfrühe weiter, von Lerche, Fink, Amſel begrüßt
— kurz, man lebt. — Leider geht's in Italien,
wenigſtens auf den Hauptlinien, nicht; brennende Land¬
ſtraßen, zu wenig Feldwege, zu wenig Grün, zu wenig
reinliche und zuverläſſige Landherbergen.


Warum fährt es manchmal wie ein Blitz in mir
auf: gleich wieder fort und hin!? Haſt Wahnſinn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0356" n="343"/>
Niemand mit, und wäre es der Bu&#x017F;enfreund, der eigene<lb/>
Bruder, der eigene Sohn &#x2014; nicht, nicht! Man hat<lb/>
ungleichen Schritt, will &#x017F;ich gern nach dem Begleiter<lb/>
einrichten, vergißt es immer wieder nach wenig Minuten,<lb/>
und der Eine oder Andere zappelt &#x017F;ich ab, i&#x017F;t gehetzt;<lb/>
der Eine will einkehren, der Andere nicht, der Eine<lb/>
reden, der Andere &#x017F;chweigen, die&#x017F;er gibt nach, und man<lb/>
ver&#x017F;chwatzt die herrlich&#x017F;ten Land&#x017F;chaftspunkte, die &#x017F;chön&#x017F;ten<lb/>
Beleuchtungen. Es i&#x017F;t Entbehrung, &#x017F;ich nicht mittheilen<lb/>
zu können, aber dieß negative Uebel viel kleiner als<lb/>
jene po&#x017F;itiven. &#x2014; Wandern, wandern, &#x017F;einer Rü&#x017F;tigkeit<lb/>
froh, Diogenes mit federleichtem Gepäck, &#x017F;chauen, träu¬<lb/>
men, viel denken und nichts denken, bei Sennen ein¬<lb/>
kehren, im ländlichen Wirthshaus übernachten, wo es<lb/>
noch einen Hausknecht gibt, der mit der Innigkeit edler<lb/>
Leiden&#x017F;chaft die Stiefel wichst, in de&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;icht nicht<lb/>
jeder Zug Trinkgeld heißt, &#x2014; freundlich plaudern mit<lb/>
Landvolk, mit Hausthieren, &#x017F;chlafen wie ein Sack, in<lb/>
Morgenfrühe weiter, von Lerche, Fink, Am&#x017F;el begrüßt<lb/>
&#x2014; kurz, man lebt. &#x2014; Leider geht's in Italien,<lb/>
wenig&#x017F;tens auf den Hauptlinien, nicht; brennende Land¬<lb/>
&#x017F;traßen, zu wenig Feldwege, zu wenig Grün, zu wenig<lb/>
reinliche und zuverlä&#x017F;&#x017F;ige Landherbergen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Warum fährt es manchmal wie ein Blitz in mir<lb/>
auf: gleich wieder fort und hin!? Ha&#x017F;t Wahn&#x017F;inn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0356] Niemand mit, und wäre es der Buſenfreund, der eigene Bruder, der eigene Sohn — nicht, nicht! Man hat ungleichen Schritt, will ſich gern nach dem Begleiter einrichten, vergißt es immer wieder nach wenig Minuten, und der Eine oder Andere zappelt ſich ab, iſt gehetzt; der Eine will einkehren, der Andere nicht, der Eine reden, der Andere ſchweigen, dieſer gibt nach, und man verſchwatzt die herrlichſten Landſchaftspunkte, die ſchönſten Beleuchtungen. Es iſt Entbehrung, ſich nicht mittheilen zu können, aber dieß negative Uebel viel kleiner als jene poſitiven. — Wandern, wandern, ſeiner Rüſtigkeit froh, Diogenes mit federleichtem Gepäck, ſchauen, träu¬ men, viel denken und nichts denken, bei Sennen ein¬ kehren, im ländlichen Wirthshaus übernachten, wo es noch einen Hausknecht gibt, der mit der Innigkeit edler Leidenſchaft die Stiefel wichst, in deſſen Geſicht nicht jeder Zug Trinkgeld heißt, — freundlich plaudern mit Landvolk, mit Hausthieren, ſchlafen wie ein Sack, in Morgenfrühe weiter, von Lerche, Fink, Amſel begrüßt — kurz, man lebt. — Leider geht's in Italien, wenigſtens auf den Hauptlinien, nicht; brennende Land¬ ſtraßen, zu wenig Feldwege, zu wenig Grün, zu wenig reinliche und zuverläſſige Landherbergen. Warum fährt es manchmal wie ein Blitz in mir auf: gleich wieder fort und hin!? Haſt Wahnſinn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/356
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/356>, abgerufen am 03.07.2024.