Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht Einen Brief, in den mir nicht etwas Ungeschicktes
hineinkommt. Wie viele habe ich verbrannt, neu ge¬
schrieben, ein drittes Mal sogar! Aber es dauert einen
eben oft die Zeit, da bedenkt man dann nicht, daß man
besser jetzt Zeit verliert, als auf Tage, Wochen oder
länger die gute Stimmung, und man wirft den Brief
in die Postlade. Dann fängt die Reue an zu bohren,
zu graben, -- dumpfe Spannung, bis die Anwort
kommt, -- dann sieht man aus dieser, wie man wehe
gethan. -- Nun aber erst noch das glatte Postpapier
und der Racker von Feder! Wie oft habe ich mit
spröder Feder grob geschrieben, wo ich freundlich, und
mit zu weicher schlaff und breiig, wo ich mannhaft
entschieden schreiben wollte!


Verwünschte Kanzleirechnung! -- Wieder dreimal
verrechnet, da ich sie nicht zu Frau Hedwig hinüber¬
nehmen konnte, mir helfen zu lassen. Menschen, die
das arithmetische Organ haben, können sich in solche,
denen es fehlt, gar nicht genügend versetzen. Es ist
nicht bloß, daß man nothdürftig nur noch addiren
kann; nein, man hat sich so oft verrechnet, daß man
dem ganz Gewissen, dem Ausgemachten nicht traut.
Wenn ich irgend eine Amtsrechnung prüfen soll: ich
weiß wohl, daß zweimal zwei vier ist; aber könnte es
denn nicht ausnahmsweise einmal, zum Beispiel heute

nicht Einen Brief, in den mir nicht etwas Ungeſchicktes
hineinkommt. Wie viele habe ich verbrannt, neu ge¬
ſchrieben, ein drittes Mal ſogar! Aber es dauert einen
eben oft die Zeit, da bedenkt man dann nicht, daß man
beſſer jetzt Zeit verliert, als auf Tage, Wochen oder
länger die gute Stimmung, und man wirft den Brief
in die Poſtlade. Dann fängt die Reue an zu bohren,
zu graben, — dumpfe Spannung, bis die Anwort
kommt, — dann ſieht man aus dieſer, wie man wehe
gethan. — Nun aber erſt noch das glatte Poſtpapier
und der Racker von Feder! Wie oft habe ich mit
ſpröder Feder grob geſchrieben, wo ich freundlich, und
mit zu weicher ſchlaff und breiig, wo ich mannhaft
entſchieden ſchreiben wollte!


Verwünſchte Kanzleirechnung! — Wieder dreimal
verrechnet, da ich ſie nicht zu Frau Hedwig hinüber¬
nehmen konnte, mir helfen zu laſſen. Menſchen, die
das arithmetiſche Organ haben, können ſich in ſolche,
denen es fehlt, gar nicht genügend verſetzen. Es iſt
nicht bloß, daß man nothdürftig nur noch addiren
kann; nein, man hat ſich ſo oft verrechnet, daß man
dem ganz Gewiſſen, dem Ausgemachten nicht traut.
Wenn ich irgend eine Amtsrechnung prüfen ſoll: ich
weiß wohl, daß zweimal zwei vier iſt; aber könnte es
denn nicht ausnahmsweiſe einmal, zum Beiſpiel heute

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0317" n="304"/>
nicht Einen Brief, in den mir nicht etwas Unge&#x017F;chicktes<lb/>
hineinkommt. Wie viele habe ich verbrannt, neu ge¬<lb/>
&#x017F;chrieben, ein drittes Mal &#x017F;ogar! Aber es dauert einen<lb/>
eben oft die Zeit, da bedenkt man dann nicht, daß man<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er jetzt Zeit verliert, als auf Tage, Wochen oder<lb/>
länger die gute Stimmung, und man wirft den Brief<lb/>
in die Po&#x017F;tlade. Dann fängt die Reue an zu bohren,<lb/>
zu graben, &#x2014; dumpfe Spannung, bis die Anwort<lb/>
kommt, &#x2014; dann &#x017F;ieht man aus die&#x017F;er, wie man wehe<lb/>
gethan. &#x2014; Nun aber er&#x017F;t noch das glatte Po&#x017F;tpapier<lb/>
und der Racker von Feder! Wie oft habe ich mit<lb/>
&#x017F;pröder Feder grob ge&#x017F;chrieben, wo ich freundlich, und<lb/>
mit zu weicher &#x017F;chlaff und breiig, wo ich mannhaft<lb/>
ent&#x017F;chieden &#x017F;chreiben wollte!</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Verwün&#x017F;chte Kanzleirechnung! &#x2014; Wieder dreimal<lb/>
verrechnet, da ich &#x017F;ie nicht zu Frau Hedwig hinüber¬<lb/>
nehmen konnte, mir helfen zu la&#x017F;&#x017F;en. Men&#x017F;chen, die<lb/>
das arithmeti&#x017F;che Organ haben, können &#x017F;ich in &#x017F;olche,<lb/>
denen es fehlt, gar nicht genügend ver&#x017F;etzen. Es i&#x017F;t<lb/>
nicht bloß, daß man nothdürftig nur noch addiren<lb/>
kann; nein, man hat &#x017F;ich &#x017F;o oft verrechnet, daß man<lb/>
dem ganz Gewi&#x017F;&#x017F;en, dem Ausgemachten nicht traut.<lb/>
Wenn ich irgend eine Amtsrechnung prüfen &#x017F;oll: ich<lb/>
weiß wohl, daß zweimal zwei vier i&#x017F;t; aber könnte es<lb/>
denn nicht ausnahmswei&#x017F;e einmal, zum Bei&#x017F;piel heute<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0317] nicht Einen Brief, in den mir nicht etwas Ungeſchicktes hineinkommt. Wie viele habe ich verbrannt, neu ge¬ ſchrieben, ein drittes Mal ſogar! Aber es dauert einen eben oft die Zeit, da bedenkt man dann nicht, daß man beſſer jetzt Zeit verliert, als auf Tage, Wochen oder länger die gute Stimmung, und man wirft den Brief in die Poſtlade. Dann fängt die Reue an zu bohren, zu graben, — dumpfe Spannung, bis die Anwort kommt, — dann ſieht man aus dieſer, wie man wehe gethan. — Nun aber erſt noch das glatte Poſtpapier und der Racker von Feder! Wie oft habe ich mit ſpröder Feder grob geſchrieben, wo ich freundlich, und mit zu weicher ſchlaff und breiig, wo ich mannhaft entſchieden ſchreiben wollte! Verwünſchte Kanzleirechnung! — Wieder dreimal verrechnet, da ich ſie nicht zu Frau Hedwig hinüber¬ nehmen konnte, mir helfen zu laſſen. Menſchen, die das arithmetiſche Organ haben, können ſich in ſolche, denen es fehlt, gar nicht genügend verſetzen. Es iſt nicht bloß, daß man nothdürftig nur noch addiren kann; nein, man hat ſich ſo oft verrechnet, daß man dem ganz Gewiſſen, dem Ausgemachten nicht traut. Wenn ich irgend eine Amtsrechnung prüfen ſoll: ich weiß wohl, daß zweimal zwei vier iſt; aber könnte es denn nicht ausnahmsweiſe einmal, zum Beiſpiel heute

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/317
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/317>, abgerufen am 28.11.2024.