so Viele, daß die Portion von Mitthun, die auf Einen kommt, unendlich klein ist, und daher sind wir uns des Mitthuns nicht bewußt. So können wir auch nur mit Hülfe schwerer Wissenschaft und nur sehr kümmer¬ lich herausbringen, wie wir beim Bauen unseres untern Stockwerks, des sogenannten Körpers, verfahren sind oder vielmehr verfahren. Ueber der Mühe, die der Aufbau des oberen Stockwerks kostet, haben wir es vergessen oder vielmehr vergessen es jeden Augenblick. So können wir uns durchaus nicht besinnen, warum wir als winzige Theile des Ganzen, doch aber bei ihm mitbeschäftigt, öfters nicht umhin können, uns krank zu machen. Daher kommt uns dieß dann rein als fremde Gewalt vor. Aber es liegt ein großer Trost darin, es zu erkennen, daß eigentlich wir selbst als Theile des unendlichen Ganzen es eben nicht anders fügen konnten, daß also auch der Tod schließlich immer unsere eigene That ist; dieß Denken befreit, macht frei.
Die Natur ist Phantasie und zwar geregelte. Unsere menschliche Phantasie ist vorerst ungeregelt. Wenn sie sich bildet, bringt sie es dahin, der geregel¬ ten Phantasie, nemlich also der Natur, obwohl ihr absolut verpflichtet, in freiem Scheinbild nachzuhelfen. Denn die geregelte Phantasie bei aller übrigen Sicher¬ heit leidet doch an sehr großen Lücken, lapsus, setzt
ſo Viele, daß die Portion von Mitthun, die auf Einen kommt, unendlich klein iſt, und daher ſind wir uns des Mitthuns nicht bewußt. So können wir auch nur mit Hülfe ſchwerer Wiſſenſchaft und nur ſehr kümmer¬ lich herausbringen, wie wir beim Bauen unſeres untern Stockwerks, des ſogenannten Körpers, verfahren ſind oder vielmehr verfahren. Ueber der Mühe, die der Aufbau des oberen Stockwerks koſtet, haben wir es vergeſſen oder vielmehr vergeſſen es jeden Augenblick. So können wir uns durchaus nicht beſinnen, warum wir als winzige Theile des Ganzen, doch aber bei ihm mitbeſchäftigt, öfters nicht umhin können, uns krank zu machen. Daher kommt uns dieß dann rein als fremde Gewalt vor. Aber es liegt ein großer Troſt darin, es zu erkennen, daß eigentlich wir ſelbſt als Theile des unendlichen Ganzen es eben nicht anders fügen konnten, daß alſo auch der Tod ſchließlich immer unſere eigene That iſt; dieß Denken befreit, macht frei.
Die Natur iſt Phantaſie und zwar geregelte. Unſere menſchliche Phantaſie iſt vorerſt ungeregelt. Wenn ſie ſich bildet, bringt ſie es dahin, der geregel¬ ten Phantaſie, nemlich alſo der Natur, obwohl ihr abſolut verpflichtet, in freiem Scheinbild nachzuhelfen. Denn die geregelte Phantaſie bei aller übrigen Sicher¬ heit leidet doch an ſehr großen Lücken, lapsus, ſetzt
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ſo Viele, daß die Portion von Mitthun, die auf Einen
kommt, unendlich klein iſt, und daher ſind wir uns
des Mitthuns nicht bewußt. So können wir auch nur
mit Hülfe ſchwerer Wiſſenſchaft und nur ſehr kümmer¬
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Stockwerks, des ſogenannten Körpers, verfahren ſind
oder vielmehr verfahren. Ueber der Mühe, die der
Aufbau des oberen Stockwerks koſtet, haben wir es
vergeſſen oder vielmehr vergeſſen es jeden Augenblick.
So können wir uns durchaus nicht beſinnen, warum
wir als winzige Theile des Ganzen, doch aber bei ihm
mitbeſchäftigt, öfters nicht umhin können, uns krank
zu machen. Daher kommt uns dieß dann rein als
fremde Gewalt vor. Aber es liegt ein großer Troſt
darin, es zu erkennen, daß eigentlich wir ſelbſt als
Theile des unendlichen Ganzen es eben nicht anders
fügen konnten, daß alſo auch der Tod ſchließlich immer
unſere eigene That iſt; dieß Denken befreit, macht frei.
Die Natur iſt Phantaſie und zwar geregelte.
Unſere menſchliche Phantaſie iſt vorerſt ungeregelt.
Wenn ſie ſich bildet, bringt ſie es dahin, der geregel¬
ten Phantaſie, nemlich alſo der Natur, obwohl ihr
abſolut verpflichtet, in freiem Scheinbild nachzuhelfen.
Denn die geregelte Phantaſie bei aller übrigen Sicher¬
heit leidet doch an ſehr großen Lücken, lapsus, ſetzt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/309>, abgerufen am 24.11.2024.
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