schnurrt sie, aber es gab doch noch kein Spinnrad, als die Natur die Katze erfand und die Katze das Schnurren.
Nil admirari? Nein, nein: omnia admirari!
Symbolik der Thiersprache. Immer zu wenig beobachtet. Weit mehr Menschenähnlichkeit, als man glaubt. Viel gelernt aus dem trefflichen Buche von Piderit: Wissenschaftliches System der Mimik und Physiognomik. In aller natürlichen Mimik werden physisch motivirte Bewegungen unwillkürlich verwendet, um nach Analogie seelische Zustände auszudrücken. Um zum Beispiel widerlichen Geschmack zu vermindern, ent¬ fernt der Mensch den Unterkiefer vom Oberkiefer, denn das Schmecken ist schwächer, wenn die Zunge sich nicht an die Gaumenwölbung legt. Und dasselbe thut man, wenn man moralischen Eckel ausdrücken will. An solchen Uebertragungen fehlt es auch im Thierleben nicht. Der Hund leckt sich das Maul aus, wenn er was Gutes gefressen hat, er thut es auch, wenn er einen guten Bissen vor sich sieht oder ihm nur die hoffende Vorstellung davon aufsteigt; er gibt sich Vor¬ schmack. Diese Gebärde trägt er aber nun über auf Verhältnisse, die für ihn das sind, was für uns
ſchnurrt ſie, aber es gab doch noch kein Spinnrad, als die Natur die Katze erfand und die Katze das Schnurren.
Nil admirari? Nein, nein: omnia admirari!
Symbolik der Thierſprache. Immer zu wenig beobachtet. Weit mehr Menſchenähnlichkeit, als man glaubt. Viel gelernt aus dem trefflichen Buche von Piderit: Wiſſenſchaftliches Syſtem der Mimik und Phyſiognomik. In aller natürlichen Mimik werden phyſiſch motivirte Bewegungen unwillkürlich verwendet, um nach Analogie ſeeliſche Zuſtände auszudrücken. Um zum Beiſpiel widerlichen Geſchmack zu vermindern, ent¬ fernt der Menſch den Unterkiefer vom Oberkiefer, denn das Schmecken iſt ſchwächer, wenn die Zunge ſich nicht an die Gaumenwölbung legt. Und daſſelbe thut man, wenn man moraliſchen Eckel ausdrücken will. An ſolchen Uebertragungen fehlt es auch im Thierleben nicht. Der Hund leckt ſich das Maul aus, wenn er was Gutes gefreſſen hat, er thut es auch, wenn er einen guten Biſſen vor ſich ſieht oder ihm nur die hoffende Vorſtellung davon aufſteigt; er gibt ſich Vor¬ ſchmack. Dieſe Gebärde trägt er aber nun über auf Verhältniſſe, die für ihn das ſind, was für uns
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ſchnurrt ſie, aber es gab doch noch kein Spinnrad,
als die Natur die Katze erfand und die Katze das
Schnurren.
Nil admirari? Nein, nein: omnia admirari!
Symbolik der Thierſprache. Immer zu wenig
beobachtet. Weit mehr Menſchenähnlichkeit, als man
glaubt. Viel gelernt aus dem trefflichen Buche von
Piderit: Wiſſenſchaftliches Syſtem der Mimik und
Phyſiognomik. In aller natürlichen Mimik werden
phyſiſch motivirte Bewegungen unwillkürlich verwendet,
um nach Analogie ſeeliſche Zuſtände auszudrücken. Um
zum Beiſpiel widerlichen Geſchmack zu vermindern, ent¬
fernt der Menſch den Unterkiefer vom Oberkiefer, denn
das Schmecken iſt ſchwächer, wenn die Zunge ſich nicht
an die Gaumenwölbung legt. Und daſſelbe thut man,
wenn man moraliſchen Eckel ausdrücken will. An
ſolchen Uebertragungen fehlt es auch im Thierleben
nicht. Der Hund leckt ſich das Maul aus, wenn er
was Gutes gefreſſen hat, er thut es auch, wenn er
einen guten Biſſen vor ſich ſieht oder ihm nur die
hoffende Vorſtellung davon aufſteigt; er gibt ſich Vor¬
ſchmack. Dieſe Gebärde trägt er aber nun über auf
Verhältniſſe, die für ihn das ſind, was für uns
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/304>, abgerufen am 24.11.2024.
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