blick den Unsinn festzuhalten, die Justiz dürfte die An¬ kündigung der Todesstrafe unterlassen, den Verbrecher im Gefängniß überfallen, wie er sein Opfer überfiel: das müßte ja eingeführt sein, dem Verbrecher wäre also diese Methode bekannt und das Bewußtsein der ungewissen Gewißheit, dieß entsetzliche, grausige Warten stürzte ihn in denselben Höllenabgrund der Angst, wie die Ankündigung. Summa: die Todesstrafe ist keine rechtliche Strafe, aber eine wohlbegründete Sicherungs¬ maßregel gegen Bestien, vor denen das Menschen¬ leben nicht sicher ist.
Erholt und erquickt nach so viel Grassem, da mich die bildschönen Nachbarkinder besuchten. -- Man ist froh, wenn man wieder in ein gutes Kindergesicht sieht. -- Am Kindergesicht finde ich dieß das Rüh¬ rende, daß es so lieblich arm bittend zu sagen scheint: ich kann ja gewiß nichts dafür, daß ich gemacht bin. -- Eigentlich von Rechtswegen sollte man Jeden vor¬ her fragen, ob er existiren wolle. Dabei müßte man sein Lebensschicksal wissen, ihm voraussagen, und so dann fragen: willst du unter diesen Bedingungen zur Existenz gelangen? Müßte man nun dem Gefragten ein ganz unglückliches Leben in Aussicht stellen, würde der wohl Ja sagen? -- Hier hebt sich die ganze, höchst belehrende Vorstellung von selbst auf. Ja,
blick den Unſinn feſtzuhalten, die Juſtiz dürfte die An¬ kündigung der Todesſtrafe unterlaſſen, den Verbrecher im Gefängniß überfallen, wie er ſein Opfer überfiel: das müßte ja eingeführt ſein, dem Verbrecher wäre alſo dieſe Methode bekannt und das Bewußtſein der ungewiſſen Gewißheit, dieß entſetzliche, grauſige Warten ſtürzte ihn in denſelben Höllenabgrund der Angſt, wie die Ankündigung. Summa: die Todesſtrafe iſt keine rechtliche Strafe, aber eine wohlbegründete Sicherungs¬ maßregel gegen Beſtien, vor denen das Menſchen¬ leben nicht ſicher iſt.
Erholt und erquickt nach ſo viel Graſſem, da mich die bildſchönen Nachbarkinder beſuchten. — Man iſt froh, wenn man wieder in ein gutes Kindergeſicht ſieht. — Am Kindergeſicht finde ich dieß das Rüh¬ rende, daß es ſo lieblich arm bittend zu ſagen ſcheint: ich kann ja gewiß nichts dafür, daß ich gemacht bin. — Eigentlich von Rechtswegen ſollte man Jeden vor¬ her fragen, ob er exiſtiren wolle. Dabei müßte man ſein Lebensſchickſal wiſſen, ihm vorausſagen, und ſo dann fragen: willſt du unter dieſen Bedingungen zur Exiſtenz gelangen? Müßte man nun dem Gefragten ein ganz unglückliches Leben in Ausſicht ſtellen, würde der wohl Ja ſagen? — Hier hebt ſich die ganze, höchſt belehrende Vorſtellung von ſelbſt auf. Ja,
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blick den Unſinn feſtzuhalten, die Juſtiz dürfte die An¬
kündigung der Todesſtrafe unterlaſſen, den Verbrecher
im Gefängniß überfallen, wie er ſein Opfer überfiel:
das müßte ja eingeführt ſein, dem Verbrecher wäre
alſo dieſe Methode bekannt und das Bewußtſein der
ungewiſſen Gewißheit, dieß entſetzliche, grauſige Warten
ſtürzte ihn in denſelben Höllenabgrund der Angſt, wie
die Ankündigung. Summa: die Todesſtrafe iſt keine
rechtliche Strafe, aber eine wohlbegründete Sicherungs¬
maßregel gegen Beſtien, vor denen das Menſchen¬
leben nicht ſicher iſt.
Erholt und erquickt nach ſo viel Graſſem, da mich
die bildſchönen Nachbarkinder beſuchten. — Man iſt
froh, wenn man wieder in ein gutes Kindergeſicht
ſieht. — Am Kindergeſicht finde ich dieß das Rüh¬
rende, daß es ſo lieblich arm bittend zu ſagen ſcheint:
ich kann ja gewiß nichts dafür, daß ich gemacht bin.
— Eigentlich von Rechtswegen ſollte man Jeden vor¬
her fragen, ob er exiſtiren wolle. Dabei müßte man
ſein Lebensſchickſal wiſſen, ihm vorausſagen, und ſo
dann fragen: willſt du unter dieſen Bedingungen zur
Exiſtenz gelangen? Müßte man nun dem Gefragten
ein ganz unglückliches Leben in Ausſicht ſtellen, würde
der wohl Ja ſagen? — Hier hebt ſich die ganze,
höchſt belehrende Vorſtellung von ſelbſt auf. Ja,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/295>, abgerufen am 25.11.2024.
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