Gesuche um Theaterkonzessionen. Die Sache mit den städtischen Kollegien erörtert. Abgeschlagen. Weiß, was die Schufte wollen: etwas wie die jetzigen wiener Vorstadttheater, Varietes- und Cafe chantant-Schand¬ bühnen in Paris. Wollen die Jugend vergiften. Das könnten wir in unserer Zeit noch brauchen, daß das Lebens¬ alter, dem es noth thut, die Seele mit dem Hohen und Reinen und mit giftfreiem Humor zu nähren, sich ge¬ wöhnt, schamlose Weiber anzusehen und anzuhören, und zwar mit Vielen zugleich, wobei Jeder den Nachbar im Zustand der Begierde, in der Hundsbrunst weiß. Für die Deutschen gehört: sera juvenum Venus. Dem Deutschen soll das Weib bis in reife Jahre Mysterium bleiben, sonst verkommt sein Seelenleben, verlottert, fault im Kern, wird gemein.
Im Oeffentlichen noch der alte Stand: Pfaffen überall Oberwasser, Konkordate mehren sich; der Staat, der im Gefühl seiner Sünden die Kirche zu seinem Stab macht, wie wird er's büßen müssen! Einzig rechte, freilich leider nur ideale Formel lautet: der Staat muß die Kirche zerstören, um die Religion zu retten. Es können nicht zwei Arme in Einem Aermel stecken, aller modus vivendi ist nur palliativ, es gibt kein gesundes Verhältniß zwischen Staat und Kirche, denn nie wird sie auf Macht verzichten, und Macht
Vischer, Auch Einer. II. 18
Geſuche um Theaterkonzeſſionen. Die Sache mit den ſtädtiſchen Kollegien erörtert. Abgeſchlagen. Weiß, was die Schufte wollen: etwas wie die jetzigen wiener Vorſtadttheater, Variétés- und Café chantant-Schand¬ bühnen in Paris. Wollen die Jugend vergiften. Das könnten wir in unſerer Zeit noch brauchen, daß das Lebens¬ alter, dem es noth thut, die Seele mit dem Hohen und Reinen und mit giftfreiem Humor zu nähren, ſich ge¬ wöhnt, ſchamloſe Weiber anzuſehen und anzuhören, und zwar mit Vielen zugleich, wobei Jeder den Nachbar im Zuſtand der Begierde, in der Hundsbrunſt weiß. Für die Deutſchen gehört: sera juvenum Venus. Dem Deutſchen ſoll das Weib bis in reife Jahre Myſterium bleiben, ſonſt verkommt ſein Seelenleben, verlottert, fault im Kern, wird gemein.
Im Oeffentlichen noch der alte Stand: Pfaffen überall Oberwaſſer, Konkordate mehren ſich; der Staat, der im Gefühl ſeiner Sünden die Kirche zu ſeinem Stab macht, wie wird er's büßen müſſen! Einzig rechte, freilich leider nur ideale Formel lautet: der Staat muß die Kirche zerſtören, um die Religion zu retten. Es können nicht zwei Arme in Einem Aermel ſtecken, aller modus vivendi iſt nur palliativ, es gibt kein geſundes Verhältniß zwiſchen Staat und Kirche, denn nie wird ſie auf Macht verzichten, und Macht
Viſcher, Auch Einer. II. 18
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Geſuche um Theaterkonzeſſionen. Die Sache mit
den ſtädtiſchen Kollegien erörtert. Abgeſchlagen. Weiß,
was die Schufte wollen: etwas wie die jetzigen wiener
Vorſtadttheater, Variétés- und Café chantant-Schand¬
bühnen in Paris. Wollen die Jugend vergiften. Das
könnten wir in unſerer Zeit noch brauchen, daß das Lebens¬
alter, dem es noth thut, die Seele mit dem Hohen und
Reinen und mit giftfreiem Humor zu nähren, ſich ge¬
wöhnt, ſchamloſe Weiber anzuſehen und anzuhören, und
zwar mit Vielen zugleich, wobei Jeder den Nachbar im
Zuſtand der Begierde, in der Hundsbrunſt weiß. Für
die Deutſchen gehört: sera juvenum Venus. Dem
Deutſchen ſoll das Weib bis in reife Jahre Myſterium
bleiben, ſonſt verkommt ſein Seelenleben, verlottert,
fault im Kern, wird gemein.
Im Oeffentlichen noch der alte Stand: Pfaffen
überall Oberwaſſer, Konkordate mehren ſich; der Staat,
der im Gefühl ſeiner Sünden die Kirche zu ſeinem
Stab macht, wie wird er's büßen müſſen! Einzig
rechte, freilich leider nur ideale Formel lautet: der
Staat muß die Kirche zerſtören, um die Religion zu
retten. Es können nicht zwei Arme in Einem Aermel
ſtecken, aller modus vivendi iſt nur palliativ, es gibt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/286>, abgerufen am 25.11.2024.
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