Gemüth ist warmes, inniges Eingehen in Zu¬ stände, Thiere, Menschen, Scharfer Gegensatz gegen die Sinnesart, die mit Begriffen oder Zwecken sich nur von außen über die Dinge herspannt, daher humorlos ist und zum Beispiel nicht begreifen kann, warum ich auf der Straße stehen bleibe, dem Spiel junger Hunde zuzusehen. Ist sehr arm an Sinn für's Naive, versteht vom Komischen fast nur das Ironische. Hierin nun sind die Schwaben sehr gut organisirt, auch die Bajuwaren; die Franken, zu denen ich mich rechne, obwohl nahe der alten Sachsengrenze, bin ich noch so eitel zu nennen. Das Niederdeutsche ist laugiger, neigt mehr zum schelmischen Aufziehen (Reineke Vos). -- Zum Finden oder Erzeugen des Komischen gehören zwei Dinge: jenes Eingehen, Mit¬ sein, sich Mitfühlen im Andern, also selbst noch naiv sein; gleichzeitig aber darüber schweben mit Blick der Geistesschärfe. Wem das Erste fehlt, der mag lieber gar keinen Versuch machen, echt Komisches zu genießen, mag sich mit der sauern Dünnkost des Spottes begnügen. -- Gut, also Gemüth. Etwas Anderes ist Gemüth¬ lichkeit, sie ist verbreiteter Gemüthston, ist Gemüths¬ ton als Lokal- oder Provinzialkostüm, namentlich im Dialekt (zum Beispiel starker Gebrauch von Diminu¬ tiven). Nun aber, wenn dieß Ton, Kostüm geworden, so spricht und thut auch der Spitzbube, der Betrüger, ja der Mörder gemüthlich. Damit verliert es allen
Gemüth iſt warmes, inniges Eingehen in Zu¬ ſtände, Thiere, Menſchen, Scharfer Gegenſatz gegen die Sinnesart, die mit Begriffen oder Zwecken ſich nur von außen über die Dinge herſpannt, daher humorlos iſt und zum Beiſpiel nicht begreifen kann, warum ich auf der Straße ſtehen bleibe, dem Spiel junger Hunde zuzuſehen. Iſt ſehr arm an Sinn für's Naive, verſteht vom Komiſchen faſt nur das Ironiſche. Hierin nun ſind die Schwaben ſehr gut organiſirt, auch die Bajuwaren; die Franken, zu denen ich mich rechne, obwohl nahe der alten Sachſengrenze, bin ich noch ſo eitel zu nennen. Das Niederdeutſche iſt laugiger, neigt mehr zum ſchelmiſchen Aufziehen (Reineke Vos). — Zum Finden oder Erzeugen des Komiſchen gehören zwei Dinge: jenes Eingehen, Mit¬ ſein, ſich Mitfühlen im Andern, alſo ſelbſt noch naiv ſein; gleichzeitig aber darüber ſchweben mit Blick der Geiſtesſchärfe. Wem das Erſte fehlt, der mag lieber gar keinen Verſuch machen, echt Komiſches zu genießen, mag ſich mit der ſauern Dünnkoſt des Spottes begnügen. — Gut, alſo Gemüth. Etwas Anderes iſt Gemüth¬ lichkeit, ſie iſt verbreiteter Gemüthston, iſt Gemüths¬ ton als Lokal- oder Provinzialkoſtüm, namentlich im Dialekt (zum Beiſpiel ſtarker Gebrauch von Diminu¬ tiven). Nun aber, wenn dieß Ton, Koſtüm geworden, ſo ſpricht und thut auch der Spitzbube, der Betrüger, ja der Mörder gemüthlich. Damit verliert es allen
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die Sinnesart, die mit Begriffen oder Zwecken ſich
nur von außen über die Dinge herſpannt, daher
humorlos iſt und zum Beiſpiel nicht begreifen kann,
warum ich auf der Straße ſtehen bleibe, dem Spiel
junger Hunde zuzuſehen. Iſt ſehr arm an Sinn für's
Naive, verſteht vom Komiſchen faſt nur das Ironiſche.
Hierin nun ſind die Schwaben ſehr gut organiſirt,
auch die Bajuwaren; die Franken, zu denen ich mich
rechne, obwohl nahe der alten Sachſengrenze, bin ich
noch ſo eitel zu nennen. Das Niederdeutſche iſt
laugiger, neigt mehr zum ſchelmiſchen Aufziehen
(Reineke Vos). — Zum Finden oder Erzeugen des
Komiſchen gehören zwei Dinge: jenes Eingehen, Mit¬
ſein, ſich Mitfühlen im Andern, alſo ſelbſt noch naiv
ſein; gleichzeitig aber darüber ſchweben mit Blick der
Geiſtesſchärfe. Wem das Erſte fehlt, der mag lieber
gar keinen Verſuch machen, echt Komiſches zu genießen,
mag ſich mit der ſauern Dünnkoſt des Spottes begnügen.
— Gut, alſo Gemüth. Etwas Anderes iſt Gemüth¬
lichkeit, ſie iſt verbreiteter Gemüthston, iſt Gemüths¬
ton als Lokal- oder Provinzialkoſtüm, namentlich im
Dialekt (zum Beiſpiel ſtarker Gebrauch von Diminu¬
tiven). Nun aber, wenn dieß Ton, Koſtüm geworden,
ſo ſpricht und thut auch der Spitzbube, der Betrüger,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/259>, abgerufen am 24.11.2024.
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