Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Abschleifung, naturloser Sprachkultur. Habe zum Bei¬
spiel niemals den Akkusativ und Ablativ, nie das Her
und Hin, Hier und Dort verwechseln hören.


Beamtenstand habe ich in Mehrheit sehr gewissen¬
haft gefunden. -- Auch die Sitte im Ganzen und
Großen noch etwas intakter, als anderswo. Verkehrs¬
anstalten exakter Dienst. -- Viel Tüchtigkeit. -- Schul¬
wesen höchst solid.


Summa: Völklein schwer zu begreifen; Gutes und
Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo. Ueberrascht
aus seiner engen Existenz die Welt auf einmal mit
einem Schiller, Schelling, Hegel. Vielleicht kann man
sagen: unter dem dichten, knorpligen Schildkrötenschild
ein stets gesparter, obwohl auch viel zu sehr gesparter
Schatz von Talent und Kraft. Dieß die mildeste
Ansicht und billigste Entschuldigung. -- Nur der Leb¬
tag von der Gemüthlichkeit sehr verdammenswerth,
erregt Ueberdruß.


Das ist übrigens auch wahr: keinen einzigen bla¬
sirten Menschen habe ich gefunden, und bin doch mit
Vielen umgegangen. Dieß besagt nicht wenig.


Abſchleifung, naturloſer Sprachkultur. Habe zum Bei¬
ſpiel niemals den Akkuſativ und Ablativ, nie das Her
und Hin, Hier und Dort verwechſeln hören.


Beamtenſtand habe ich in Mehrheit ſehr gewiſſen¬
haft gefunden. — Auch die Sitte im Ganzen und
Großen noch etwas intakter, als anderswo. Verkehrs¬
anſtalten exakter Dienſt. — Viel Tüchtigkeit. — Schul¬
weſen höchſt ſolid.


Summa: Völklein ſchwer zu begreifen; Gutes und
Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo. Ueberraſcht
aus ſeiner engen Exiſtenz die Welt auf einmal mit
einem Schiller, Schelling, Hegel. Vielleicht kann man
ſagen: unter dem dichten, knorpligen Schildkrötenſchild
ein ſtets geſparter, obwohl auch viel zu ſehr geſparter
Schatz von Talent und Kraft. Dieß die mildeſte
Anſicht und billigſte Entſchuldigung. — Nur der Leb¬
tag von der Gemüthlichkeit ſehr verdammenswerth,
erregt Ueberdruß.


Das iſt übrigens auch wahr: keinen einzigen bla¬
ſirten Menſchen habe ich gefunden, und bin doch mit
Vielen umgegangen. Dieß beſagt nicht wenig.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0258" n="245"/>
Ab&#x017F;chleifung, naturlo&#x017F;er Sprachkultur. Habe zum Bei¬<lb/>
&#x017F;piel niemals den Akku&#x017F;ativ und Ablativ, nie das Her<lb/>
und Hin, Hier und Dort verwech&#x017F;eln hören.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Beamten&#x017F;tand habe ich in Mehrheit &#x017F;ehr gewi&#x017F;&#x017F;en¬<lb/>
haft gefunden. &#x2014; Auch die Sitte im Ganzen und<lb/>
Großen noch etwas intakter, als anderswo. Verkehrs¬<lb/>
an&#x017F;talten exakter Dien&#x017F;t. &#x2014; Viel Tüchtigkeit. &#x2014; Schul¬<lb/>
we&#x017F;en höch&#x017F;t &#x017F;olid.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Summa: Völklein &#x017F;chwer zu begreifen; Gutes und<lb/>
Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo. Ueberra&#x017F;cht<lb/>
aus &#x017F;einer engen Exi&#x017F;tenz die Welt auf einmal mit<lb/>
einem Schiller, Schelling, Hegel. Vielleicht kann man<lb/>
&#x017F;agen: unter dem dichten, knorpligen Schildkröten&#x017F;child<lb/>
ein &#x017F;tets ge&#x017F;parter, obwohl auch viel zu &#x017F;ehr ge&#x017F;parter<lb/>
Schatz von Talent und Kraft. Dieß die milde&#x017F;te<lb/>
An&#x017F;icht und billig&#x017F;te Ent&#x017F;chuldigung. &#x2014; Nur der Leb¬<lb/>
tag von der Gemüthlichkeit &#x017F;ehr verdammenswerth,<lb/>
erregt Ueberdruß.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Das i&#x017F;t übrigens auch wahr: keinen einzigen bla¬<lb/>
&#x017F;irten Men&#x017F;chen habe ich gefunden, und bin doch mit<lb/>
Vielen umgegangen. Dieß be&#x017F;agt nicht wenig.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0258] Abſchleifung, naturloſer Sprachkultur. Habe zum Bei¬ ſpiel niemals den Akkuſativ und Ablativ, nie das Her und Hin, Hier und Dort verwechſeln hören. Beamtenſtand habe ich in Mehrheit ſehr gewiſſen¬ haft gefunden. — Auch die Sitte im Ganzen und Großen noch etwas intakter, als anderswo. Verkehrs¬ anſtalten exakter Dienſt. — Viel Tüchtigkeit. — Schul¬ weſen höchſt ſolid. Summa: Völklein ſchwer zu begreifen; Gutes und Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo. Ueberraſcht aus ſeiner engen Exiſtenz die Welt auf einmal mit einem Schiller, Schelling, Hegel. Vielleicht kann man ſagen: unter dem dichten, knorpligen Schildkrötenſchild ein ſtets geſparter, obwohl auch viel zu ſehr geſparter Schatz von Talent und Kraft. Dieß die mildeſte Anſicht und billigſte Entſchuldigung. — Nur der Leb¬ tag von der Gemüthlichkeit ſehr verdammenswerth, erregt Ueberdruß. Das iſt übrigens auch wahr: keinen einzigen bla¬ ſirten Menſchen habe ich gefunden, und bin doch mit Vielen umgegangen. Dieß beſagt nicht wenig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/258
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/258>, abgerufen am 24.11.2024.