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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Stille Tage. Gesammelte Abende. Dieser Dyring
ist doch dem wilden Wesen ein Halt. Wie sanft ist
sie, wenn sie an seinen Blicken hängt, auf seine Worte
lauscht! Seine hohe Stirn, sein tiefes Auge breitet
Meeresstille aus. Arnhelm in einer wahren Andacht,
oft wie verzückt. Das Griechische fließt wie Honig
des Hymettus von ihren Lippen; wie ertönt da das
klangvolle ost der Endungen!


Merkwürdig, wie der Tod Leben entzünden kann!
Ueber dem Phädon, dem sterbenden Sokrates gibt's
viel zu denken an ihn. Der Tod ist pures Nichts,
sage ich, der Tod ist, wobei man überhaupt nichts
denken kann. Entweder ich lebe, dann bin ich nicht
todt, oder ich bin todt und dann lebt Keiner, der es
bedauerte, daß er todt ist. Man hat Angst davor,
sich einmal todt vorzufinden, aber der Todte sucht und
sieht sich ja nicht. Daher ist es purer Unsinn, an den
Tod zu denken. Wenn nur die Phantasie nicht wäre,
die uns zwingen will, uns vorzustellen als im Tode
lebend und uns todt wissend! Eine Wittwe hat mir
erzählt, sie habe den plötzlichen Tod des Vaters dem
kleinen Töchterchen einen Tag lang verheimlicht, dann
aber das nicht länger gekonnt. Das Kind schweigt
eine Weile und sagt dann: aber da wird der Vater
traurig sein, daß er todt ist! -- Genau wie die alten

Stille Tage. Geſammelte Abende. Dieſer Dyring
iſt doch dem wilden Weſen ein Halt. Wie ſanft iſt
ſie, wenn ſie an ſeinen Blicken hängt, auf ſeine Worte
lauſcht! Seine hohe Stirn, ſein tiefes Auge breitet
Meeresſtille aus. Arnhelm in einer wahren Andacht,
oft wie verzückt. Das Griechiſche fließt wie Honig
des Hymettus von ihren Lippen; wie ertönt da das
klangvolle oϛ der Endungen!


Merkwürdig, wie der Tod Leben entzünden kann!
Ueber dem Phädon, dem ſterbenden Sokrates gibt's
viel zu denken an ihn. Der Tod iſt pures Nichts,
ſage ich, der Tod iſt, wobei man überhaupt nichts
denken kann. Entweder ich lebe, dann bin ich nicht
todt, oder ich bin todt und dann lebt Keiner, der es
bedauerte, daß er todt iſt. Man hat Angſt davor,
ſich einmal todt vorzufinden, aber der Todte ſucht und
ſieht ſich ja nicht. Daher iſt es purer Unſinn, an den
Tod zu denken. Wenn nur die Phantaſie nicht wäre,
die uns zwingen will, uns vorzuſtellen als im Tode
lebend und uns todt wiſſend! Eine Wittwe hat mir
erzählt, ſie habe den plötzlichen Tod des Vaters dem
kleinen Töchterchen einen Tag lang verheimlicht, dann
aber das nicht länger gekonnt. Das Kind ſchweigt
eine Weile und ſagt dann: aber da wird der Vater
traurig ſein, daß er todt iſt! — Genau wie die alten

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[162/0175] Stille Tage. Geſammelte Abende. Dieſer Dyring iſt doch dem wilden Weſen ein Halt. Wie ſanft iſt ſie, wenn ſie an ſeinen Blicken hängt, auf ſeine Worte lauſcht! Seine hohe Stirn, ſein tiefes Auge breitet Meeresſtille aus. Arnhelm in einer wahren Andacht, oft wie verzückt. Das Griechiſche fließt wie Honig des Hymettus von ihren Lippen; wie ertönt da das klangvolle oϛ der Endungen! Merkwürdig, wie der Tod Leben entzünden kann! Ueber dem Phädon, dem ſterbenden Sokrates gibt's viel zu denken an ihn. Der Tod iſt pures Nichts, ſage ich, der Tod iſt, wobei man überhaupt nichts denken kann. Entweder ich lebe, dann bin ich nicht todt, oder ich bin todt und dann lebt Keiner, der es bedauerte, daß er todt iſt. Man hat Angſt davor, ſich einmal todt vorzufinden, aber der Todte ſucht und ſieht ſich ja nicht. Daher iſt es purer Unſinn, an den Tod zu denken. Wenn nur die Phantaſie nicht wäre, die uns zwingen will, uns vorzuſtellen als im Tode lebend und uns todt wiſſend! Eine Wittwe hat mir erzählt, ſie habe den plötzlichen Tod des Vaters dem kleinen Töchterchen einen Tag lang verheimlicht, dann aber das nicht länger gekonnt. Das Kind ſchweigt eine Weile und ſagt dann: aber da wird der Vater traurig ſein, daß er todt iſt! — Genau wie die alten

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/175>, abgerufen am 24.11.2024.