Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

auf immer neuen Planeten ewig ein neues Zeitleben
lebst, so kommt es in jedem derselben immer nur dar¬
auf an, ob du vermagst, in's Zeitlose emporzusteigen.
Von der endlosen Zeit, mein Lieber, hast du gar
nichts, nicht den geringsten Spaß, sie gähnt dich nur
an, ihr gehören ist nicht besser, als ewige Höllenstrafe.

Wir sind nur Bilder; wirklich, buchstäblich nur
Bilder. Wir werden ja in jedem Moment erst ge¬
woben, gemalt und auch wieder aufgetrennt, ausge¬
wischt. Was jeden Augenblick erst wird, ist doch kein
wahrhaft Seiendes. Wir stehen ja nicht fest, wir
schweben ja nur wie ein Traumbild. Wir scheinen
so solid wie Bein und Eisen, und sind doch so porös,
nur wandelnde Auflösung und Wiederknüpfung.

Wie hoch die Welt sich bäumet,
Wie laut auf breiter Spur
Das Leben schäumet,
Und alle träumet
Der Weltgeist nur.

Das braucht aber Niemand bange zu machen.
Sorge du nur dafür, daß du Bild wirst in einem
zweiten und besseren Sinn. Laß dich nicht bloß von
der Natur hingepinselt, hingestickt sein! Sorge dafür,
daß du Bild wirst, aufbewahrt im Geiste der Menschen.
Sein ist Schein. Das wahre Sein verdient man sich
durch nicht mehr Sein, -- wer nemlich gut vorge¬

auf immer neuen Planeten ewig ein neues Zeitleben
lebſt, ſo kommt es in jedem derſelben immer nur dar¬
auf an, ob du vermagſt, in's Zeitloſe emporzuſteigen.
Von der endloſen Zeit, mein Lieber, haſt du gar
nichts, nicht den geringſten Spaß, ſie gähnt dich nur
an, ihr gehören iſt nicht beſſer, als ewige Höllenſtrafe.

Wir ſind nur Bilder; wirklich, buchſtäblich nur
Bilder. Wir werden ja in jedem Moment erſt ge¬
woben, gemalt und auch wieder aufgetrennt, ausge¬
wiſcht. Was jeden Augenblick erſt wird, iſt doch kein
wahrhaft Seiendes. Wir ſtehen ja nicht feſt, wir
ſchweben ja nur wie ein Traumbild. Wir ſcheinen
ſo ſolid wie Bein und Eiſen, und ſind doch ſo porös,
nur wandelnde Auflöſung und Wiederknüpfung.

Wie hoch die Welt ſich bäumet,
Wie laut auf breiter Spur
Das Leben ſchäumet,
Und alle träumet
Der Weltgeiſt nur.

Das braucht aber Niemand bange zu machen.
Sorge du nur dafür, daß du Bild wirſt in einem
zweiten und beſſeren Sinn. Laß dich nicht bloß von
der Natur hingepinſelt, hingeſtickt ſein! Sorge dafür,
daß du Bild wirſt, aufbewahrt im Geiſte der Menſchen.
Sein iſt Schein. Das wahre Sein verdient man ſich
durch nicht mehr Sein, — wer nemlich gut vorge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0170" n="157"/>
auf immer neuen Planeten ewig ein neues Zeitleben<lb/>
leb&#x017F;t, &#x017F;o kommt es in jedem der&#x017F;elben immer nur dar¬<lb/>
auf an, ob du vermag&#x017F;t, in's Zeitlo&#x017F;e emporzu&#x017F;teigen.<lb/>
Von der endlo&#x017F;en Zeit, mein Lieber, ha&#x017F;t du gar<lb/>
nichts, nicht den gering&#x017F;ten Spaß, &#x017F;ie gähnt dich nur<lb/>
an, ihr gehören i&#x017F;t nicht be&#x017F;&#x017F;er, als ewige Höllen&#x017F;trafe.</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;ind nur Bilder; wirklich, buch&#x017F;täblich nur<lb/>
Bilder. Wir werden ja in jedem Moment er&#x017F;t ge¬<lb/>
woben, gemalt und auch wieder aufgetrennt, ausge¬<lb/>
wi&#x017F;cht. Was jeden Augenblick er&#x017F;t wird, i&#x017F;t doch kein<lb/>
wahrhaft Seiendes. Wir &#x017F;tehen ja nicht fe&#x017F;t, wir<lb/>
&#x017F;chweben ja nur wie ein Traumbild. Wir &#x017F;cheinen<lb/>
&#x017F;o &#x017F;olid wie Bein und Ei&#x017F;en, und &#x017F;ind doch &#x017F;o porös,<lb/>
nur wandelnde Auflö&#x017F;ung und Wiederknüpfung.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Wie hoch die Welt &#x017F;ich bäumet,</l><lb/>
          <l>Wie laut auf breiter Spur</l><lb/>
          <l>Das Leben &#x017F;chäumet,</l><lb/>
          <l>Und alle träumet</l><lb/>
          <l>Der Weltgei&#x017F;t nur.</l><lb/>
        </lg>
        <p>Das braucht aber Niemand bange zu machen.<lb/>
Sorge du nur dafür, daß du Bild wir&#x017F;t in einem<lb/>
zweiten und be&#x017F;&#x017F;eren Sinn. Laß dich nicht bloß von<lb/>
der Natur hingepin&#x017F;elt, hinge&#x017F;tickt &#x017F;ein! Sorge dafür,<lb/>
daß du Bild wir&#x017F;t, aufbewahrt im Gei&#x017F;te der Men&#x017F;chen.<lb/>
Sein i&#x017F;t Schein. Das wahre Sein verdient man &#x017F;ich<lb/>
durch nicht mehr Sein, &#x2014; wer nemlich gut vorge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0170] auf immer neuen Planeten ewig ein neues Zeitleben lebſt, ſo kommt es in jedem derſelben immer nur dar¬ auf an, ob du vermagſt, in's Zeitloſe emporzuſteigen. Von der endloſen Zeit, mein Lieber, haſt du gar nichts, nicht den geringſten Spaß, ſie gähnt dich nur an, ihr gehören iſt nicht beſſer, als ewige Höllenſtrafe. Wir ſind nur Bilder; wirklich, buchſtäblich nur Bilder. Wir werden ja in jedem Moment erſt ge¬ woben, gemalt und auch wieder aufgetrennt, ausge¬ wiſcht. Was jeden Augenblick erſt wird, iſt doch kein wahrhaft Seiendes. Wir ſtehen ja nicht feſt, wir ſchweben ja nur wie ein Traumbild. Wir ſcheinen ſo ſolid wie Bein und Eiſen, und ſind doch ſo porös, nur wandelnde Auflöſung und Wiederknüpfung. Wie hoch die Welt ſich bäumet, Wie laut auf breiter Spur Das Leben ſchäumet, Und alle träumet Der Weltgeiſt nur. Das braucht aber Niemand bange zu machen. Sorge du nur dafür, daß du Bild wirſt in einem zweiten und beſſeren Sinn. Laß dich nicht bloß von der Natur hingepinſelt, hingeſtickt ſein! Sorge dafür, daß du Bild wirſt, aufbewahrt im Geiſte der Menſchen. Sein iſt Schein. Das wahre Sein verdient man ſich durch nicht mehr Sein, — wer nemlich gut vorge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/170
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/170>, abgerufen am 25.11.2024.