scheint für Roth gestimmt. Reines Profil, markiges Kinn, Unterlippe um's Merken voller, als Oberlippe. Auge zeigt sich noch wenig, läßt einen raschen Blick aus weiter, freier Wölbung über mich hinschießen, senkt dann die Lider wie vorher und sie schaut still vor sich hin; Gestalt groß, zwar noch verborgen unter faltenreichem Ueberwurf.
Vorderer Arm des Sees in furchtbarer Felsschlucht; die Gipfel scheinen sich oben zusammenzuneigen. Dunkel, unterweltlich, dann eine so schmale Spalte, daß eben nur Raum für die Ruder bleibt, dann in's Offene, Breite, rechts leuchten die fernen Schneekuppen des Bleefjelds herein, links stürzt der Gigantenleib des Gousta herab. Alles Ufer steile, nackte Felswand. "Rudre du, Goldrun," sagt Herr Dyring, "zeig' jetzt, was du kannst." Sie legt den Ueberwurf ab, einer der Schiffer gibt ihr sein Ruder. Welche Gestalt ent¬ wickelt sich, welche Kraft und Gewandtheit in der Bewegung und wie mächtig schön treten diese großen Formen, tritt diese energische Schwellung der Hüfte heraus, wenn sie, das eine Bein kräftig vorgesetzt, das Ruder zuckt, eintaucht und drehend nachdrückt! -- Wolken, Wind. Schaumbüsche fahren auf an den unnahbaren, unerbittlichen Schroffen der Ufer. "Und nicht wahr, jetzt singen Sie uns etwas?" sagt Arn¬ helm, der junge Mann. Sie schaut zurück, sieht mit leuchtendem Blick bejahend den Jüngling an, ein zweiter
ſcheint für Roth geſtimmt. Reines Profil, markiges Kinn, Unterlippe um's Merken voller, als Oberlippe. Auge zeigt ſich noch wenig, läßt einen raſchen Blick aus weiter, freier Wölbung über mich hinſchießen, ſenkt dann die Lider wie vorher und ſie ſchaut ſtill vor ſich hin; Geſtalt groß, zwar noch verborgen unter faltenreichem Ueberwurf.
Vorderer Arm des Sees in furchtbarer Felsſchlucht; die Gipfel ſcheinen ſich oben zuſammenzuneigen. Dunkel, unterweltlich, dann eine ſo ſchmale Spalte, daß eben nur Raum für die Ruder bleibt, dann in's Offene, Breite, rechts leuchten die fernen Schneekuppen des Bleefjelds herein, links ſtürzt der Gigantenleib des Gouſta herab. Alles Ufer ſteile, nackte Felswand. „Rudre du, Goldrun,“ ſagt Herr Dyring, „zeig' jetzt, was du kannſt.“ Sie legt den Ueberwurf ab, einer der Schiffer gibt ihr ſein Ruder. Welche Geſtalt ent¬ wickelt ſich, welche Kraft und Gewandtheit in der Bewegung und wie mächtig ſchön treten dieſe großen Formen, tritt dieſe energiſche Schwellung der Hüfte heraus, wenn ſie, das eine Bein kräftig vorgeſetzt, das Ruder zuckt, eintaucht und drehend nachdrückt! — Wolken, Wind. Schaumbüſche fahren auf an den unnahbaren, unerbittlichen Schroffen der Ufer. „Und nicht wahr, jetzt ſingen Sie uns etwas?“ ſagt Arn¬ helm, der junge Mann. Sie ſchaut zurück, ſieht mit leuchtendem Blick bejahend den Jüngling an, ein zweiter
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0157"n="144"/>ſcheint für Roth geſtimmt. Reines Profil, markiges<lb/>
Kinn, Unterlippe um's Merken voller, als Oberlippe.<lb/>
Auge zeigt ſich noch wenig, läßt einen raſchen Blick<lb/>
aus weiter, freier Wölbung über mich hinſchießen,<lb/>ſenkt dann die Lider wie vorher und ſie ſchaut ſtill<lb/>
vor ſich hin; Geſtalt groß, zwar noch verborgen unter<lb/>
faltenreichem Ueberwurf.</p><lb/><p>Vorderer Arm des Sees in furchtbarer Felsſchlucht;<lb/>
die Gipfel ſcheinen ſich oben zuſammenzuneigen. Dunkel,<lb/>
unterweltlich, dann eine ſo ſchmale Spalte, daß eben<lb/>
nur Raum für die Ruder bleibt, dann in's Offene,<lb/>
Breite, rechts leuchten die fernen Schneekuppen des<lb/>
Bleefjelds herein, links ſtürzt der Gigantenleib des<lb/>
Gouſta herab. Alles Ufer ſteile, nackte Felswand.<lb/>„Rudre du, Goldrun,“ſagt Herr Dyring, „zeig' jetzt,<lb/>
was du kannſt.“ Sie legt den Ueberwurf ab, einer<lb/>
der Schiffer gibt ihr ſein Ruder. Welche Geſtalt ent¬<lb/>
wickelt ſich, welche Kraft und Gewandtheit in der<lb/>
Bewegung und wie mächtig ſchön treten dieſe großen<lb/>
Formen, tritt dieſe energiſche Schwellung der Hüfte<lb/>
heraus, wenn ſie, das eine Bein kräftig vorgeſetzt, das<lb/>
Ruder zuckt, eintaucht und drehend nachdrückt! —<lb/>
Wolken, Wind. Schaumbüſche fahren auf an den<lb/>
unnahbaren, unerbittlichen Schroffen der Ufer. „Und<lb/>
nicht wahr, jetzt ſingen Sie uns etwas?“ſagt Arn¬<lb/>
helm, der junge Mann. Sie ſchaut zurück, ſieht mit<lb/>
leuchtendem Blick bejahend den Jüngling an, ein zweiter<lb/></p></div></body></text></TEI>
[144/0157]
ſcheint für Roth geſtimmt. Reines Profil, markiges
Kinn, Unterlippe um's Merken voller, als Oberlippe.
Auge zeigt ſich noch wenig, läßt einen raſchen Blick
aus weiter, freier Wölbung über mich hinſchießen,
ſenkt dann die Lider wie vorher und ſie ſchaut ſtill
vor ſich hin; Geſtalt groß, zwar noch verborgen unter
faltenreichem Ueberwurf.
Vorderer Arm des Sees in furchtbarer Felsſchlucht;
die Gipfel ſcheinen ſich oben zuſammenzuneigen. Dunkel,
unterweltlich, dann eine ſo ſchmale Spalte, daß eben
nur Raum für die Ruder bleibt, dann in's Offene,
Breite, rechts leuchten die fernen Schneekuppen des
Bleefjelds herein, links ſtürzt der Gigantenleib des
Gouſta herab. Alles Ufer ſteile, nackte Felswand.
„Rudre du, Goldrun,“ ſagt Herr Dyring, „zeig' jetzt,
was du kannſt.“ Sie legt den Ueberwurf ab, einer
der Schiffer gibt ihr ſein Ruder. Welche Geſtalt ent¬
wickelt ſich, welche Kraft und Gewandtheit in der
Bewegung und wie mächtig ſchön treten dieſe großen
Formen, tritt dieſe energiſche Schwellung der Hüfte
heraus, wenn ſie, das eine Bein kräftig vorgeſetzt, das
Ruder zuckt, eintaucht und drehend nachdrückt! —
Wolken, Wind. Schaumbüſche fahren auf an den
unnahbaren, unerbittlichen Schroffen der Ufer. „Und
nicht wahr, jetzt ſingen Sie uns etwas?“ ſagt Arn¬
helm, der junge Mann. Sie ſchaut zurück, ſieht mit
leuchtendem Blick bejahend den Jüngling an, ein zweiter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/157>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.