Noch so jung, ein Eichbaum in Kraft, und diese Schmarotzerpflanze an ihn angesogen, die ihn um¬ schlingt, umgarnt und schmachvoll, langsam tödten wird!
Igelmeyer schon sehr anhänglich. Begrüßt mich sehr, wenn ich vom Amt komme, geräth dann öfters in einen bacchischen Wahnsinn vor Freude, umkreist mich in rasendem Laufe, springt auf Tische, Schränke in tollen Sätzen. In einer italienischen Reisebeschrei¬ bung habe ich auch so etwas Dionysisches gelesen. Der Verfasser reist mit einem deutschen Grafen, einem bildschönen jungen Manne, kommt nach Ischia, eine Alte sieht den Jüngling, geräth in Rausch des Ent¬ zückens, holt ihr Tamburin und umtanzt ihn trommelnd und singend: quanto e bello! quanto e bello! Er war ihr ein Gott. -- So der wieder erscheinende Herr dem Hund. Ja, Thiere und Völker, die noch halbe Heiden sind, die wissen's anders, als wir ver¬ nunftlederne Aufklärungschriften.
Komisch sind gar nicht bloß die starken Irrungen der Thiere, wie gestern, da man den Igelmeyer in der Küche allein fand, vor dem Speiseschrank auf¬ wartend. Ein Thier ist überhaupt den ganzen Tag
Noch ſo jung, ein Eichbaum in Kraft, und dieſe Schmarotzerpflanze an ihn angeſogen, die ihn um¬ ſchlingt, umgarnt und ſchmachvoll, langſam tödten wird!
Igelmeyer ſchon ſehr anhänglich. Begrüßt mich ſehr, wenn ich vom Amt komme, geräth dann öfters in einen bacchiſchen Wahnſinn vor Freude, umkreiſt mich in raſendem Laufe, ſpringt auf Tiſche, Schränke in tollen Sätzen. In einer italieniſchen Reiſebeſchrei¬ bung habe ich auch ſo etwas Dionyſiſches geleſen. Der Verfaſſer reiſt mit einem deutſchen Grafen, einem bildſchönen jungen Manne, kommt nach Iſchia, eine Alte ſieht den Jüngling, geräth in Rauſch des Ent¬ zückens, holt ihr Tamburin und umtanzt ihn trommelnd und ſingend: quanto è bello! quanto è bello! Er war ihr ein Gott. — So der wieder erſcheinende Herr dem Hund. Ja, Thiere und Völker, die noch halbe Heiden ſind, die wiſſen's anders, als wir ver¬ nunftlederne Aufklärungschriften.
Komiſch ſind gar nicht bloß die ſtarken Irrungen der Thiere, wie geſtern, da man den Igelmeyer in der Küche allein fand, vor dem Speiſeſchrank auf¬ wartend. Ein Thier iſt überhaupt den ganzen Tag
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Noch ſo jung, ein Eichbaum in Kraft, und dieſe
Schmarotzerpflanze an ihn angeſogen, die ihn um¬
ſchlingt, umgarnt und ſchmachvoll, langſam tödten
wird!
Igelmeyer ſchon ſehr anhänglich. Begrüßt mich
ſehr, wenn ich vom Amt komme, geräth dann öfters
in einen bacchiſchen Wahnſinn vor Freude, umkreiſt
mich in raſendem Laufe, ſpringt auf Tiſche, Schränke
in tollen Sätzen. In einer italieniſchen Reiſebeſchrei¬
bung habe ich auch ſo etwas Dionyſiſches geleſen. Der
Verfaſſer reiſt mit einem deutſchen Grafen, einem
bildſchönen jungen Manne, kommt nach Iſchia, eine
Alte ſieht den Jüngling, geräth in Rauſch des Ent¬
zückens, holt ihr Tamburin und umtanzt ihn trommelnd
und ſingend: quanto è bello! quanto è bello!
Er war ihr ein Gott. — So der wieder erſcheinende
Herr dem Hund. Ja, Thiere und Völker, die noch
halbe Heiden ſind, die wiſſen's anders, als wir ver¬
nunftlederne Aufklärungschriften.
Komiſch ſind gar nicht bloß die ſtarken Irrungen
der Thiere, wie geſtern, da man den Igelmeyer in
der Küche allein fand, vor dem Speiſeſchrank auf¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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