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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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weiter gegangen seien, als zulässig, als mit Vernunft,
Würde und Normalstand der Menschennatur vereinbar
sei. Die ganze Zeit über hatte der pensionirte Kameral¬
verwalter, der unten am Tisch saß, beharrlich geschwiegen.
Ich hatte mir ihn öfters betrachtet. Er gehörte zu jenen
bequemlichen alten Herren, die einen ganzen Abend stock¬
still in einer Gesellschaft sitzen; die einzige dramatische
Belebung, wodurch sie etwas Wechsel in die absolute
Gleichheit dieses Daseins bringen, besteht darin, daß sie
von Zeit zu Zeit bedächtig die Cigarre aus dem Mund
nehmen, die Meerschaumspitze betrachten, wie weit sie
braun geraucht sei, und sie ebenso bedächtig, ja feier¬
lich wieder in den Mund stecken. So hielt es auch
dieser stumme Herr, mit der einzigen Zuthat, daß er
bisweilen die Hand langsam über seinen Kahlkopf
gleiten ließ, wie um zu prüfen, ob die sorgsam von
hinten herübergekämmten grauen Härchen noch ordent¬
lich liegen. Der Assessor hatte mir, bemerkend, daß
mein Blick öfters mit Behagen auf dem behaglichen
Schweiger verweilte, einmal zugeflüstert: "Ueber diesen
hat der Selige einst zu mir gesagt: ,der ist so trocken,
ich muß in die Hand spucken, wenn ich nur an ihn
denke; der Mensch feiert ja ordentliche Bacchanalien,
Orgien der langen Weile'; dennoch hat er ihn gern
gehabt." Nun, dieser Herr begann jetzt unter allge¬
meinem Erstaunen über das Wunder, daß man ihn
zu mehr als ein paar Worten ausholen hörte: "Ich

weiter gegangen ſeien, als zuläſſig, als mit Vernunft,
Würde und Normalſtand der Menſchennatur vereinbar
ſei. Die ganze Zeit über hatte der penſionirte Kameral¬
verwalter, der unten am Tiſch ſaß, beharrlich geſchwiegen.
Ich hatte mir ihn öfters betrachtet. Er gehörte zu jenen
bequemlichen alten Herren, die einen ganzen Abend ſtock¬
ſtill in einer Geſellſchaft ſitzen; die einzige dramatiſche
Belebung, wodurch ſie etwas Wechſel in die abſolute
Gleichheit dieſes Daſeins bringen, beſteht darin, daß ſie
von Zeit zu Zeit bedächtig die Cigarre aus dem Mund
nehmen, die Meerſchaumſpitze betrachten, wie weit ſie
braun geraucht ſei, und ſie ebenſo bedächtig, ja feier¬
lich wieder in den Mund ſtecken. So hielt es auch
dieſer ſtumme Herr, mit der einzigen Zuthat, daß er
bisweilen die Hand langſam über ſeinen Kahlkopf
gleiten ließ, wie um zu prüfen, ob die ſorgſam von
hinten herübergekämmten grauen Härchen noch ordent¬
lich liegen. Der Aſſeſſor hatte mir, bemerkend, daß
mein Blick öfters mit Behagen auf dem behaglichen
Schweiger verweilte, einmal zugeflüſtert: „Ueber dieſen
hat der Selige einſt zu mir geſagt: ‚der iſt ſo trocken,
ich muß in die Hand ſpucken, wenn ich nur an ihn
denke; der Menſch feiert ja ordentliche Bacchanalien,
Orgien der langen Weile'; dennoch hat er ihn gern
gehabt.“ Nun, dieſer Herr begann jetzt unter allge¬
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[99/0112] weiter gegangen ſeien, als zuläſſig, als mit Vernunft, Würde und Normalſtand der Menſchennatur vereinbar ſei. Die ganze Zeit über hatte der penſionirte Kameral¬ verwalter, der unten am Tiſch ſaß, beharrlich geſchwiegen. Ich hatte mir ihn öfters betrachtet. Er gehörte zu jenen bequemlichen alten Herren, die einen ganzen Abend ſtock¬ ſtill in einer Geſellſchaft ſitzen; die einzige dramatiſche Belebung, wodurch ſie etwas Wechſel in die abſolute Gleichheit dieſes Daſeins bringen, beſteht darin, daß ſie von Zeit zu Zeit bedächtig die Cigarre aus dem Mund nehmen, die Meerſchaumſpitze betrachten, wie weit ſie braun geraucht ſei, und ſie ebenſo bedächtig, ja feier¬ lich wieder in den Mund ſtecken. So hielt es auch dieſer ſtumme Herr, mit der einzigen Zuthat, daß er bisweilen die Hand langſam über ſeinen Kahlkopf gleiten ließ, wie um zu prüfen, ob die ſorgſam von hinten herübergekämmten grauen Härchen noch ordent¬ lich liegen. Der Aſſeſſor hatte mir, bemerkend, daß mein Blick öfters mit Behagen auf dem behaglichen Schweiger verweilte, einmal zugeflüſtert: „Ueber dieſen hat der Selige einſt zu mir geſagt: ‚der iſt ſo trocken, ich muß in die Hand ſpucken, wenn ich nur an ihn denke; der Menſch feiert ja ordentliche Bacchanalien, Orgien der langen Weile'; dennoch hat er ihn gern gehabt.“ Nun, dieſer Herr begann jetzt unter allge¬ meinem Erſtaunen über das Wunder, daß man ihn zu mehr als ein paar Worten ausholen hörte: „Ich

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/112>, abgerufen am 24.11.2024.