"Im Krieg schießt man mit Fleiß auf die Leute," sagte jetzt ruhig der Assessor.
"Wie? Was? Wie?"
"Ich meine es nur formal logisch," versetzte mild der junge Mann. "Wenn Jemand aus allerlei Gründen, zum Beispiel wegen der großen und allgemeinen Grausam¬ keit in der Natur, namentlich aber aus sehr scharfer Erkenntniß der unendlichen Durchkreuzungen in der Welt dahin gelangt, daß er dem Einen, das Allem zu Grunde liegt, die Persönlichkeit absprechen zu müssen glaubt, so kann man doch nicht sagen, das komme eben daher, daß er sie ihm abspreche."
"Und an eine sittliche Weltordnung hat er doch geglaubt," fiel Doktor Volkart so rasch ein, als befürchtete er von den sprechbereiten Lippen des Kanzelredners einen längeren Vortrag.
"Ohne Gründer und Hüter!" rief der eifrig Mann.
"Ohne Einen, aber mit vielen, sehr vielen!" er¬ widerte für den Arzt der Assessor.
"Ja, das ist auch wahr, beim Moralischen war er streng fest, sagte ja auch so oft: das Moralische ver¬ steht sich immer von selbst," so unterstützte nun der ehrsame Oberförster.
Das Gespräch verstrickte sich wieder zu einem Wirrwarr, worin es stets auf's Neue sich um den Punkt der einen Frage drehte, ob die Grillen des Verewigten nicht viel
„Im Krieg ſchießt man mit Fleiß auf die Leute,“ ſagte jetzt ruhig der Aſſeſſor.
„Wie? Was? Wie?“
„Ich meine es nur formal logiſch,“ verſetzte mild der junge Mann. „Wenn Jemand aus allerlei Gründen, zum Beiſpiel wegen der großen und allgemeinen Grauſam¬ keit in der Natur, namentlich aber aus ſehr ſcharfer Erkenntniß der unendlichen Durchkreuzungen in der Welt dahin gelangt, daß er dem Einen, das Allem zu Grunde liegt, die Perſönlichkeit abſprechen zu müſſen glaubt, ſo kann man doch nicht ſagen, das komme eben daher, daß er ſie ihm abſpreche.“
„Und an eine ſittliche Weltordnung hat er doch geglaubt,“ fiel Doktor Volkart ſo raſch ein, als befürchtete er von den ſprechbereiten Lippen des Kanzelredners einen längeren Vortrag.
„Ohne Gründer und Hüter!“ rief der eifrig Mann.
„Ohne Einen, aber mit vielen, ſehr vielen!“ er¬ widerte für den Arzt der Aſſeſſor.
„Ja, das iſt auch wahr, beim Moraliſchen war er ſtreng feſt, ſagte ja auch ſo oft: das Moraliſche ver¬ ſteht ſich immer von ſelbſt,“ ſo unterſtützte nun der ehrſame Oberförſter.
Das Geſpräch verſtrickte ſich wieder zu einem Wirrwarr, worin es ſtets auf's Neue ſich um den Punkt der einen Frage drehte, ob die Grillen des Verewigten nicht viel
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„Im Krieg ſchießt man mit Fleiß auf die Leute,“
ſagte jetzt ruhig der Aſſeſſor.
„Wie? Was? Wie?“
„Ich meine es nur formal logiſch,“ verſetzte mild der
junge Mann. „Wenn Jemand aus allerlei Gründen,
zum Beiſpiel wegen der großen und allgemeinen Grauſam¬
keit in der Natur, namentlich aber aus ſehr ſcharfer
Erkenntniß der unendlichen Durchkreuzungen in der Welt
dahin gelangt, daß er dem Einen, das Allem zu Grunde
liegt, die Perſönlichkeit abſprechen zu müſſen glaubt,
ſo kann man doch nicht ſagen, das komme eben daher,
daß er ſie ihm abſpreche.“
„Und an eine ſittliche Weltordnung hat er doch
geglaubt,“ fiel Doktor Volkart ſo raſch ein, als befürchtete
er von den ſprechbereiten Lippen des Kanzelredners
einen längeren Vortrag.
„Ohne Gründer und Hüter!“ rief der eifrig
Mann.
„Ohne Einen, aber mit vielen, ſehr vielen!“ er¬
widerte für den Arzt der Aſſeſſor.
„Ja, das iſt auch wahr, beim Moraliſchen war er
ſtreng feſt, ſagte ja auch ſo oft: das Moraliſche ver¬
ſteht ſich immer von ſelbſt,“ ſo unterſtützte nun der
ehrſame Oberförſter.
Das Geſpräch verſtrickte ſich wieder zu einem Wirrwarr,
worin es ſtets auf's Neue ſich um den Punkt der einen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/111>, abgerufen am 24.11.2024.
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