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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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verharrte in seinem Phlegma und sagte zu mir: "Schad't
nichts, der Herr ist immer naseweiß gewesen, gehört
ihm schon lang eins hinter die Ohren." So konnte ich
denn ohne weitere Fährlichkeit abziehen und fragte nicht
nach den Schimpfworten, die mir der Bestrafte nachrief.

So war ich denn wieder allein. Wohl sagte mir
nun mein Gefühl, daß hier im Grunde etwas Trau¬
riges vorgegangen sei; mußte an sich schon ein so
peinlicher Zufall einen Mann, wie ich A. E. kannte,
höchst empfindlich treffen, so waren hier überdieß offen¬
bar Beziehungen zerrissen, deren Tiefe und Zartheit
ich gar wohl ahnen konnte. Allein das Mitleid blieb
ganz im Hintergrund, ich verspürte zunächst keine Nach¬
wirkung in mir, als eine unbezwingliche Lachlust,
mehr allerdings über die Prügelßene am Schluß, als
über die Katastrophe bei Tisch. Ja es wollte mir
kaum gelingen, angesichts der Begegnenden auf der
Straße die Erscheinung der Menschenwürde nothdürftig
aufrecht zu erhalten; einmal, als eben ein paar roth¬
backige Bauernmädchen vorübergiengen, konnte ich mich
so wenig beherrschen, lachte so laut auf, daß ich die
eine hinter mir sagen hörte: "Was hat auch der Herr,
es ist ja noh niht Suserzit." Der trotzige Ernst
der furchtbaren Steinpyramiden, Stöcke, Kuppen, der
schroffen Wände, die mir näher und näher entgegen¬
starrten, als ich wieder in das Thal der Reuß einge¬
treten war, sie vermochten nicht, mein muthwilliges

verharrte in ſeinem Phlegma und ſagte zu mir: „Schad't
nichts, der Herr iſt immer naſeweiß geweſen, gehört
ihm ſchon lang eins hinter die Ohren.“ So konnte ich
denn ohne weitere Fährlichkeit abziehen und fragte nicht
nach den Schimpfworten, die mir der Beſtrafte nachrief.

So war ich denn wieder allein. Wohl ſagte mir
nun mein Gefühl, daß hier im Grunde etwas Trau¬
riges vorgegangen ſei; mußte an ſich ſchon ein ſo
peinlicher Zufall einen Mann, wie ich A. E. kannte,
höchſt empfindlich treffen, ſo waren hier überdieß offen¬
bar Beziehungen zerriſſen, deren Tiefe und Zartheit
ich gar wohl ahnen konnte. Allein das Mitleid blieb
ganz im Hintergrund, ich verſpürte zunächſt keine Nach¬
wirkung in mir, als eine unbezwingliche Lachluſt,
mehr allerdings über die Prügelſzene am Schluß, als
über die Kataſtrophe bei Tiſch. Ja es wollte mir
kaum gelingen, angeſichts der Begegnenden auf der
Straße die Erſcheinung der Menſchenwürde nothdürftig
aufrecht zu erhalten; einmal, als eben ein paar roth¬
backige Bauernmädchen vorübergiengen, konnte ich mich
ſo wenig beherrſchen, lachte ſo laut auf, daß ich die
eine hinter mir ſagen hörte: „Was hat auch der Herr,
es iſt ja noh niht Suſerzit.“ Der trotzige Ernſt
der furchtbaren Steinpyramiden, Stöcke, Kuppen, der
ſchroffen Wände, die mir näher und näher entgegen¬
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[66/0079] verharrte in ſeinem Phlegma und ſagte zu mir: „Schad't nichts, der Herr iſt immer naſeweiß geweſen, gehört ihm ſchon lang eins hinter die Ohren.“ So konnte ich denn ohne weitere Fährlichkeit abziehen und fragte nicht nach den Schimpfworten, die mir der Beſtrafte nachrief. So war ich denn wieder allein. Wohl ſagte mir nun mein Gefühl, daß hier im Grunde etwas Trau¬ riges vorgegangen ſei; mußte an ſich ſchon ein ſo peinlicher Zufall einen Mann, wie ich A. E. kannte, höchſt empfindlich treffen, ſo waren hier überdieß offen¬ bar Beziehungen zerriſſen, deren Tiefe und Zartheit ich gar wohl ahnen konnte. Allein das Mitleid blieb ganz im Hintergrund, ich verſpürte zunächſt keine Nach¬ wirkung in mir, als eine unbezwingliche Lachluſt, mehr allerdings über die Prügelſzene am Schluß, als über die Kataſtrophe bei Tiſch. Ja es wollte mir kaum gelingen, angeſichts der Begegnenden auf der Straße die Erſcheinung der Menſchenwürde nothdürftig aufrecht zu erhalten; einmal, als eben ein paar roth¬ backige Bauernmädchen vorübergiengen, konnte ich mich ſo wenig beherrſchen, lachte ſo laut auf, daß ich die eine hinter mir ſagen hörte: „Was hat auch der Herr, es iſt ja noh niht Suſerzit.“ Der trotzige Ernſt der furchtbaren Steinpyramiden, Stöcke, Kuppen, der ſchroffen Wände, die mir näher und näher entgegen¬ ſtarrten, als ich wieder in das Thal der Reuß einge¬ treten war, ſie vermochten nicht, mein muthwilliges

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/79>, abgerufen am 04.12.2024.