Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

die Treppe herabgerasselt kam, hinter ihm der Kellner,
der ihm nachrief, er bekomme noch heraus. A. E.
hörte nicht, wollte an mir vorüberstürzen, blieb aber
plötzlich stehen, faßte mich am Arm und zeigte auf
eine Katze, die mit ihrem Jungen auf einem Stroh¬
stuhl schlief. Es war ein schönes Thier, von dem
seltenen dreifarbigen Schlage, schwarz, rothgelb, weiß,
und sie hatte beide Vorderfüße um ihr gleichfarbiges
Junges gelegt: eine wirklich rührende Gruppe. "O,
sehen Sie," rief A. E., "aber auch wie eine Raphae¬
lische Madonna!" -- Das war Sache eines Moments;
im nächsten sieht A. E. den Kellner vor sich stehen,
der ihm, noch dasselbe Grinsen auf dem Gesicht, wo¬
mit er vorhin den Teller der Gouvernante gewechselt
und dadurch die leidige Ungeschicklichkeit markirt hatte,
nun das übrige Geld hinhält. Ihm versetzt A. E., die
Faust ballend, mit dem Gelenk des Mittelfingers einen
Stoß unter das Kinn und stürmt aus dem Hause.

Der Kellner war rücktaumelnd auf die Treppe hin¬
gestürzt, richtete sich auf, stand zuerst sprachlos und
brach dann in heftiges Schelten aus. Ich konnte
mich nicht enthalten, dem Menschen zu sagen, ihm
geschehe recht; jetzt fährt er wild gegen mich auf, in
verspäteter, fehlgehender Rache hebt er die Faust und
ich versetze ihm eine Ohrfeige. Es stand nun bedenk¬
lich, denn am Thürpfosten lehnte der Hausknecht und
der doppelt Geschlagene rief ihn zu Hülfe; dieser jedoch

Vischer, Auch Einer. I. 5

die Treppe herabgeraſſelt kam, hinter ihm der Kellner,
der ihm nachrief, er bekomme noch heraus. A. E.
hörte nicht, wollte an mir vorüberſtürzen, blieb aber
plötzlich ſtehen, faßte mich am Arm und zeigte auf
eine Katze, die mit ihrem Jungen auf einem Stroh¬
ſtuhl ſchlief. Es war ein ſchönes Thier, von dem
ſeltenen dreifarbigen Schlage, ſchwarz, rothgelb, weiß,
und ſie hatte beide Vorderfüße um ihr gleichfarbiges
Junges gelegt: eine wirklich rührende Gruppe. „O,
ſehen Sie,“ rief A. E., „aber auch wie eine Raphae¬
liſche Madonna!“ — Das war Sache eines Moments;
im nächſten ſieht A. E. den Kellner vor ſich ſtehen,
der ihm, noch daſſelbe Grinſen auf dem Geſicht, wo¬
mit er vorhin den Teller der Gouvernante gewechſelt
und dadurch die leidige Ungeſchicklichkeit markirt hatte,
nun das übrige Geld hinhält. Ihm verſetzt A. E., die
Fauſt ballend, mit dem Gelenk des Mittelfingers einen
Stoß unter das Kinn und ſtürmt aus dem Hauſe.

Der Kellner war rücktaumelnd auf die Treppe hin¬
geſtürzt, richtete ſich auf, ſtand zuerſt ſprachlos und
brach dann in heftiges Schelten aus. Ich konnte
mich nicht enthalten, dem Menſchen zu ſagen, ihm
geſchehe recht; jetzt fährt er wild gegen mich auf, in
verſpäteter, fehlgehender Rache hebt er die Fauſt und
ich verſetze ihm eine Ohrfeige. Es ſtand nun bedenk¬
lich, denn am Thürpfoſten lehnte der Hausknecht und
der doppelt Geſchlagene rief ihn zu Hülfe; dieſer jedoch

Viſcher, Auch Einer. I. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="65"/>
die Treppe herabgera&#x017F;&#x017F;elt kam, hinter ihm der Kellner,<lb/>
der ihm nachrief, er bekomme noch heraus. A. E.<lb/>
hörte nicht, wollte an mir vorüber&#x017F;türzen, blieb aber<lb/>
plötzlich &#x017F;tehen, faßte mich am Arm und zeigte auf<lb/>
eine Katze, die mit ihrem Jungen auf einem Stroh¬<lb/>
&#x017F;tuhl &#x017F;chlief. Es war ein &#x017F;chönes Thier, von dem<lb/>
&#x017F;eltenen dreifarbigen Schlage, &#x017F;chwarz, rothgelb, weiß,<lb/>
und &#x017F;ie hatte beide Vorderfüße um ihr gleichfarbiges<lb/>
Junges gelegt: eine wirklich rührende Gruppe. &#x201E;O,<lb/>
&#x017F;ehen Sie,&#x201C; rief A. E., &#x201E;aber auch wie eine Raphae¬<lb/>
li&#x017F;che Madonna!&#x201C; &#x2014; Das war Sache eines Moments;<lb/>
im näch&#x017F;ten &#x017F;ieht A. E. den Kellner vor &#x017F;ich &#x017F;tehen,<lb/>
der ihm, noch da&#x017F;&#x017F;elbe Grin&#x017F;en auf dem Ge&#x017F;icht, wo¬<lb/>
mit er vorhin den Teller der Gouvernante gewech&#x017F;elt<lb/>
und dadurch die leidige Unge&#x017F;chicklichkeit markirt hatte,<lb/>
nun das übrige Geld hinhält. Ihm ver&#x017F;etzt A. E., die<lb/>
Fau&#x017F;t ballend, mit dem Gelenk des Mittelfingers einen<lb/>
Stoß unter das Kinn und &#x017F;türmt aus dem Hau&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Der Kellner war rücktaumelnd auf die Treppe hin¬<lb/>
ge&#x017F;türzt, richtete &#x017F;ich auf, &#x017F;tand zuer&#x017F;t &#x017F;prachlos und<lb/>
brach dann in heftiges Schelten aus. Ich konnte<lb/>
mich nicht enthalten, dem Men&#x017F;chen zu &#x017F;agen, ihm<lb/>
ge&#x017F;chehe recht; jetzt fährt er wild gegen mich auf, in<lb/>
ver&#x017F;päteter, fehlgehender Rache hebt er die Fau&#x017F;t und<lb/>
ich ver&#x017F;etze ihm eine Ohrfeige. Es &#x017F;tand nun bedenk¬<lb/>
lich, denn am Thürpfo&#x017F;ten lehnte der Hausknecht und<lb/>
der doppelt Ge&#x017F;chlagene rief ihn zu Hülfe; die&#x017F;er jedoch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Vi&#x017F;cher</hi>, Auch Einer. <hi rendition="#aq">I</hi>. 5<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0078] die Treppe herabgeraſſelt kam, hinter ihm der Kellner, der ihm nachrief, er bekomme noch heraus. A. E. hörte nicht, wollte an mir vorüberſtürzen, blieb aber plötzlich ſtehen, faßte mich am Arm und zeigte auf eine Katze, die mit ihrem Jungen auf einem Stroh¬ ſtuhl ſchlief. Es war ein ſchönes Thier, von dem ſeltenen dreifarbigen Schlage, ſchwarz, rothgelb, weiß, und ſie hatte beide Vorderfüße um ihr gleichfarbiges Junges gelegt: eine wirklich rührende Gruppe. „O, ſehen Sie,“ rief A. E., „aber auch wie eine Raphae¬ liſche Madonna!“ — Das war Sache eines Moments; im nächſten ſieht A. E. den Kellner vor ſich ſtehen, der ihm, noch daſſelbe Grinſen auf dem Geſicht, wo¬ mit er vorhin den Teller der Gouvernante gewechſelt und dadurch die leidige Ungeſchicklichkeit markirt hatte, nun das übrige Geld hinhält. Ihm verſetzt A. E., die Fauſt ballend, mit dem Gelenk des Mittelfingers einen Stoß unter das Kinn und ſtürmt aus dem Hauſe. Der Kellner war rücktaumelnd auf die Treppe hin¬ geſtürzt, richtete ſich auf, ſtand zuerſt ſprachlos und brach dann in heftiges Schelten aus. Ich konnte mich nicht enthalten, dem Menſchen zu ſagen, ihm geſchehe recht; jetzt fährt er wild gegen mich auf, in verſpäteter, fehlgehender Rache hebt er die Fauſt und ich verſetze ihm eine Ohrfeige. Es ſtand nun bedenk¬ lich, denn am Thürpfoſten lehnte der Hausknecht und der doppelt Geſchlagene rief ihn zu Hülfe; dieſer jedoch Viſcher, Auch Einer. I. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/78
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/78>, abgerufen am 04.12.2024.