am Ende ein Kapitalschelm sein, der dich zum Narren hat, wie er ja wohl auch den guten Professor der Physik zum Narren gehabt hat? Dem widersprach nun freilich so Vieles, daß der Verdacht, kaum geboren, wieder erstickt wurde; stellte ich mich aber auf diese andere Seite, so meldete sich in mir ein Aerger, ein Verdruß über solches Pflegen und Hegen des Pein¬ lichen, das am Ende doch krankhaft, weichlich, wohl auch selbstgefällig zu nennen war. Da nun mein Begleiter durch seinen Idealentwurf für eine bessere Tragödie Wilhelm Tell wieder auf das leidige Katarrh¬ thema kam und daran fortnörgelte, so steigerte sich dieses zweite Gefühl allgemach zur Entrüstung. In der That wurde er nun entsetzlich langweilig, unleidlich ermüdend. Er klagte die Geschichtsschreibung an, daß sie, die doch nichts Großes und nichts Kleines im Gang der Weltgeschichte zu verstehen, zu würdigen vermöge, ohne die Katarrhe, die dabei mitgespielt haben, in ihrem Wesen, Verlauf und ihrer Individua¬ lität gründlich zu kennen, ihre Pflicht versäume, er fragte mit Pathos: "Ist auch je Einer in seiner Genesis, Verwicklung, Ablauf exakt -- was doch allein historisch -- zur Darstellung gelangt? Mein vorletzter zum Beispiel domizilirte zuerst acht Tage lang im linken Nasenloch, ich hoffte bereits --"
Ich bat ihn um Gottes willen, abzustehen, ich wolle ja gern Alles glauben, aber er verzichtete nur, um
am Ende ein Kapitalſchelm ſein, der dich zum Narren hat, wie er ja wohl auch den guten Profeſſor der Phyſik zum Narren gehabt hat? Dem widerſprach nun freilich ſo Vieles, daß der Verdacht, kaum geboren, wieder erſtickt wurde; ſtellte ich mich aber auf dieſe andere Seite, ſo meldete ſich in mir ein Aerger, ein Verdruß über ſolches Pflegen und Hegen des Pein¬ lichen, das am Ende doch krankhaft, weichlich, wohl auch ſelbſtgefällig zu nennen war. Da nun mein Begleiter durch ſeinen Idealentwurf für eine beſſere Tragödie Wilhelm Tell wieder auf das leidige Katarrh¬ thema kam und daran fortnörgelte, ſo ſteigerte ſich dieſes zweite Gefühl allgemach zur Entrüſtung. In der That wurde er nun entſetzlich langweilig, unleidlich ermüdend. Er klagte die Geſchichtsſchreibung an, daß ſie, die doch nichts Großes und nichts Kleines im Gang der Weltgeſchichte zu verſtehen, zu würdigen vermöge, ohne die Katarrhe, die dabei mitgeſpielt haben, in ihrem Weſen, Verlauf und ihrer Individua¬ lität gründlich zu kennen, ihre Pflicht verſäume, er fragte mit Pathos: „Iſt auch je Einer in ſeiner Geneſis, Verwicklung, Ablauf exakt — was doch allein hiſtoriſch — zur Darſtellung gelangt? Mein vorletzter zum Beiſpiel domizilirte zuerſt acht Tage lang im linken Naſenloch, ich hoffte bereits —“
Ich bat ihn um Gottes willen, abzuſtehen, ich wolle ja gern Alles glauben, aber er verzichtete nur, um
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am Ende ein Kapitalſchelm ſein, der dich zum Narren
hat, wie er ja wohl auch den guten Profeſſor der
Phyſik zum Narren gehabt hat? Dem widerſprach nun
freilich ſo Vieles, daß der Verdacht, kaum geboren,
wieder erſtickt wurde; ſtellte ich mich aber auf dieſe
andere Seite, ſo meldete ſich in mir ein Aerger, ein
Verdruß über ſolches Pflegen und Hegen des Pein¬
lichen, das am Ende doch krankhaft, weichlich, wohl
auch ſelbſtgefällig zu nennen war. Da nun mein
Begleiter durch ſeinen Idealentwurf für eine beſſere
Tragödie Wilhelm Tell wieder auf das leidige Katarrh¬
thema kam und daran fortnörgelte, ſo ſteigerte ſich
dieſes zweite Gefühl allgemach zur Entrüſtung. In
der That wurde er nun entſetzlich langweilig, unleidlich
ermüdend. Er klagte die Geſchichtsſchreibung an, daß
ſie, die doch nichts Großes und nichts Kleines im
Gang der Weltgeſchichte zu verſtehen, zu würdigen
vermöge, ohne die Katarrhe, die dabei mitgeſpielt
haben, in ihrem Weſen, Verlauf und ihrer Individua¬
lität gründlich zu kennen, ihre Pflicht verſäume, er
fragte mit Pathos: „Iſt auch je Einer in ſeiner
Geneſis, Verwicklung, Ablauf exakt — was doch allein
hiſtoriſch — zur Darſtellung gelangt? Mein vorletzter
zum Beiſpiel domizilirte zuerſt acht Tage lang im
linken Naſenloch, ich hoffte bereits —“
Ich bat ihn um Gottes willen, abzuſtehen, ich wolle
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/64>, abgerufen am 04.12.2024.
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