er an der argen Verkältung mit seiner Alten so hin¬ starb und ich die Beiden eben doch pflegen mußte; er richtete sich im Fieber einmal auf, blickte starr nach oben und stöhnte: ,Schau' nicht so schwer auf mich her¬ nieder, Geist! vergieb mir.' Die Alte aber starb unter Flüchen, die hat mich nicht gedauert."
"Mich Beide nicht."
"Du bist im Herzen doch eigentlich auch für's Neue."
"Weißt, ich kann freilich die Steckköpfe und Mucker nicht leiden. Was Arthur gemeint, hat mir stückweis wollen einleuchten, ja sind mir auch schon fast ähnliche Gedanken gekommen, wenn ich so auf meine Schippe ge¬ stützt in's Weite hinaus schaue oder wenn ich im Regen unterstehe dort in der Höhle, wo Arthur sich verbarg. Da fällt mir immer ein, was er gesagt hat in der Nacht, als ich ihn über den See setzte. ,Warum bist du denn eigentlich aus deinem Versteck heraus?' frag' ich ihn. ,Ich weiß selbst nicht recht,' sagt er, ,und doch, ich weiß. Als ich in der hohen dunklen Höhle so da¬ saß, da kam es über mich; es wehte mich an; es rief etwas über mir hoch herab vom grauen Felsgewölbe und doch in mir: drüben am Dolmen reden sie jetzt, rief es, gehe hin, zeuge vom neuen Gott, den du nicht kennst und doch kennst, sprich, zeuge laut vor allem Volk! Da ließ es mich nicht; ich brach aus' Sieh'," fuhr Alpin fort, "wenn ich nun in der Höhle sitze, da muß ich dieser Worte gedenken, da meine
er an der argen Verkältung mit ſeiner Alten ſo hin¬ ſtarb und ich die Beiden eben doch pflegen mußte; er richtete ſich im Fieber einmal auf, blickte ſtarr nach oben und ſtöhnte: ‚Schau' nicht ſo ſchwer auf mich her¬ nieder, Geiſt! vergieb mir.’ Die Alte aber ſtarb unter Flüchen, die hat mich nicht gedauert.“
„Mich Beide nicht.“
„Du biſt im Herzen doch eigentlich auch für's Neue.“
„Weißt, ich kann freilich die Steckköpfe und Mucker nicht leiden. Was Arthur gemeint, hat mir ſtückweis wollen einleuchten, ja ſind mir auch ſchon faſt ähnliche Gedanken gekommen, wenn ich ſo auf meine Schippe ge¬ ſtützt in's Weite hinaus ſchaue oder wenn ich im Regen unterſtehe dort in der Höhle, wo Arthur ſich verbarg. Da fällt mir immer ein, was er geſagt hat in der Nacht, als ich ihn über den See ſetzte. ‚Warum biſt du denn eigentlich aus deinem Verſteck heraus?’ frag' ich ihn. ‚Ich weiß ſelbſt nicht recht,’ ſagt er, ‚und doch, ich weiß. Als ich in der hohen dunklen Höhle ſo da¬ ſaß, da kam es über mich; es wehte mich an; es rief etwas über mir hoch herab vom grauen Felsgewölbe und doch in mir: drüben am Dolmen reden ſie jetzt, rief es, gehe hin, zeuge vom neuen Gott, den du nicht kennſt und doch kennſt, ſprich, zeuge laut vor allem Volk! Da ließ es mich nicht; ich brach aus’ Sieh',“ fuhr Alpin fort, „wenn ich nun in der Höhle ſitze, da muß ich dieſer Worte gedenken, da meine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0410"n="395"/>
er an der argen Verkältung mit ſeiner Alten ſo hin¬<lb/>ſtarb und ich die Beiden eben doch pflegen mußte; er<lb/>
richtete ſich im Fieber einmal auf, blickte ſtarr nach<lb/>
oben und ſtöhnte: ‚Schau' nicht ſo ſchwer auf mich her¬<lb/>
nieder, Geiſt! vergieb mir.’ Die Alte aber ſtarb unter<lb/>
Flüchen, die hat mich nicht gedauert.“</p><lb/><p>„Mich Beide nicht.“</p><lb/><p>„Du biſt im Herzen doch eigentlich auch für's Neue.“</p><lb/><p>„Weißt, ich kann freilich die Steckköpfe und Mucker<lb/>
nicht leiden. Was Arthur gemeint, hat mir ſtückweis<lb/>
wollen einleuchten, ja ſind mir auch ſchon faſt ähnliche<lb/>
Gedanken gekommen, wenn ich ſo auf meine Schippe ge¬<lb/>ſtützt in's Weite hinaus ſchaue oder wenn ich im Regen<lb/>
unterſtehe dort in der Höhle, wo Arthur ſich verbarg.<lb/>
Da fällt mir immer ein, was er geſagt hat in der<lb/>
Nacht, als ich ihn über den See ſetzte. ‚Warum biſt<lb/>
du denn eigentlich aus deinem Verſteck heraus?’ frag'<lb/>
ich ihn. ‚Ich weiß ſelbſt nicht recht,’ſagt er, ‚und doch,<lb/>
ich weiß. Als ich in der hohen dunklen Höhle ſo da¬<lb/>ſaß, da kam es über mich; es wehte mich an; es rief<lb/>
etwas über mir hoch herab vom grauen Felsgewölbe<lb/>
und doch in mir: drüben am Dolmen reden ſie jetzt,<lb/>
rief es, gehe hin, zeuge vom neuen Gott, den du<lb/>
nicht kennſt und doch kennſt, ſprich, zeuge laut vor<lb/>
allem Volk! Da ließ es mich nicht; ich brach aus’<lb/>
Sieh',“ fuhr Alpin fort, „wenn ich nun in der Höhle<lb/>ſitze, da muß ich dieſer Worte gedenken, da meine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[395/0410]
er an der argen Verkältung mit ſeiner Alten ſo hin¬
ſtarb und ich die Beiden eben doch pflegen mußte; er
richtete ſich im Fieber einmal auf, blickte ſtarr nach
oben und ſtöhnte: ‚Schau' nicht ſo ſchwer auf mich her¬
nieder, Geiſt! vergieb mir.’ Die Alte aber ſtarb unter
Flüchen, die hat mich nicht gedauert.“
„Mich Beide nicht.“
„Du biſt im Herzen doch eigentlich auch für's Neue.“
„Weißt, ich kann freilich die Steckköpfe und Mucker
nicht leiden. Was Arthur gemeint, hat mir ſtückweis
wollen einleuchten, ja ſind mir auch ſchon faſt ähnliche
Gedanken gekommen, wenn ich ſo auf meine Schippe ge¬
ſtützt in's Weite hinaus ſchaue oder wenn ich im Regen
unterſtehe dort in der Höhle, wo Arthur ſich verbarg.
Da fällt mir immer ein, was er geſagt hat in der
Nacht, als ich ihn über den See ſetzte. ‚Warum biſt
du denn eigentlich aus deinem Verſteck heraus?’ frag'
ich ihn. ‚Ich weiß ſelbſt nicht recht,’ ſagt er, ‚und doch,
ich weiß. Als ich in der hohen dunklen Höhle ſo da¬
ſaß, da kam es über mich; es wehte mich an; es rief
etwas über mir hoch herab vom grauen Felsgewölbe
und doch in mir: drüben am Dolmen reden ſie jetzt,
rief es, gehe hin, zeuge vom neuen Gott, den du
nicht kennſt und doch kennſt, ſprich, zeuge laut vor
allem Volk! Da ließ es mich nicht; ich brach aus’
Sieh',“ fuhr Alpin fort, „wenn ich nun in der Höhle
ſitze, da muß ich dieſer Worte gedenken, da meine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/410>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.