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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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In diesem Augenblick führte die Mutter das ge¬
heilte Kind hervor.

"Tanze und springe, du beglücktes Wesen!" rief
der Priester und das Mädchen umtanzte in rhythmischen
Galoppsprüngen den Altar.

Er vollendete sein Gebet und jetzt führte Urhixidur
das Lamm vor, es wurde am Altare festgebunden und
fiel unter dem sicheren Hiebe des Schlächters. Das
abfließende Blut wurde in dem Coridwentopf aufge¬
fangen. Als das Thier ausgezuckt hatte, öffnete er mit
dem Nephritmeißel seinen Bauch, zog die Eingeweide her¬
aus, der Druide prüfte sie mit strengem Einblick, nickte
dann mit froher Miene und besagte dadurch, daß das
Opfer tadellos, glückverkündend und der Göttin will¬
kommen sei. "Nimm es gnädig hin," rief er, "dieß
zarte, gesunde Lammesherz! In ihm sind dir geweihet
alle frommen Herzen dieser Gemeinde!" Jetzt wurden
die Eingeweide auf das Holz gelegt, das auf der
Dolmenplatte gehäuft war, und das Feuer angezündet.
Als es prasselte, hob der Schlächter den Topf auf
und überreichte ihn feierlich dem Druiden. Langsam
schritt dieser mit seiner heiligen Last hinweg, dem
Haine zu und verschwand in dessen Dunkel. Lautloses
Schweigen herrschte im Kreise. Alles Volk wußte,
daß jetzt im Heiligsten des Waldes der Baum der
Selinur mit dem Opferblute begossen wurde. Nach
kurzer Zeit kam der Priester zurück, das Feuer brannte

In dieſem Augenblick führte die Mutter das ge¬
heilte Kind hervor.

„Tanze und ſpringe, du beglücktes Weſen!“ rief
der Prieſter und das Mädchen umtanzte in rhythmiſchen
Galoppſprüngen den Altar.

Er vollendete ſein Gebet und jetzt führte Urhixidur
das Lamm vor, es wurde am Altare feſtgebunden und
fiel unter dem ſicheren Hiebe des Schlächters. Das
abfließende Blut wurde in dem Coridwentopf aufge¬
fangen. Als das Thier ausgezuckt hatte, öffnete er mit
dem Nephritmeißel ſeinen Bauch, zog die Eingeweide her¬
aus, der Druide prüfte ſie mit ſtrengem Einblick, nickte
dann mit froher Miene und beſagte dadurch, daß das
Opfer tadellos, glückverkündend und der Göttin will¬
kommen ſei. „Nimm es gnädig hin,“ rief er, „dieß
zarte, geſunde Lammesherz! In ihm ſind dir geweihet
alle frommen Herzen dieſer Gemeinde!“ Jetzt wurden
die Eingeweide auf das Holz gelegt, das auf der
Dolmenplatte gehäuft war, und das Feuer angezündet.
Als es praſſelte, hob der Schlächter den Topf auf
und überreichte ihn feierlich dem Druiden. Langſam
ſchritt dieſer mit ſeiner heiligen Laſt hinweg, dem
Haine zu und verſchwand in deſſen Dunkel. Lautloſes
Schweigen herrſchte im Kreiſe. Alles Volk wußte,
daß jetzt im Heiligſten des Waldes der Baum der
Selinur mit dem Opferblute begoſſen wurde. Nach
kurzer Zeit kam der Prieſter zurück, das Feuer brannte

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[324/0337] In dieſem Augenblick führte die Mutter das ge¬ heilte Kind hervor. „Tanze und ſpringe, du beglücktes Weſen!“ rief der Prieſter und das Mädchen umtanzte in rhythmiſchen Galoppſprüngen den Altar. Er vollendete ſein Gebet und jetzt führte Urhixidur das Lamm vor, es wurde am Altare feſtgebunden und fiel unter dem ſicheren Hiebe des Schlächters. Das abfließende Blut wurde in dem Coridwentopf aufge¬ fangen. Als das Thier ausgezuckt hatte, öffnete er mit dem Nephritmeißel ſeinen Bauch, zog die Eingeweide her¬ aus, der Druide prüfte ſie mit ſtrengem Einblick, nickte dann mit froher Miene und beſagte dadurch, daß das Opfer tadellos, glückverkündend und der Göttin will¬ kommen ſei. „Nimm es gnädig hin,“ rief er, „dieß zarte, geſunde Lammesherz! In ihm ſind dir geweihet alle frommen Herzen dieſer Gemeinde!“ Jetzt wurden die Eingeweide auf das Holz gelegt, das auf der Dolmenplatte gehäuft war, und das Feuer angezündet. Als es praſſelte, hob der Schlächter den Topf auf und überreichte ihn feierlich dem Druiden. Langſam ſchritt dieſer mit ſeiner heiligen Laſt hinweg, dem Haine zu und verſchwand in deſſen Dunkel. Lautloſes Schweigen herrſchte im Kreiſe. Alles Volk wußte, daß jetzt im Heiligſten des Waldes der Baum der Selinur mit dem Opferblute begoſſen wurde. Nach kurzer Zeit kam der Prieſter zurück, das Feuer brannte

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/337>, abgerufen am 23.07.2024.