niedergesetzt, das man, als sie verschwunden, als Coridwentopf erkannte. Eine Frau habe es gewagt, ihr hinkendes Kind naher zu führen, und ihm erlaubt, den Finger an die Wand des Gefäßes zu legen: kaum gethan, sei das Kind fröhlich aufgesprungen, das lahme Bein sei geheilt. Man zeigte das Kind, es war dem wirklich so. Und nun denn sah man wirklich den Topf da stehen! Als der Druide bei dem Altar an¬ langte, schien er zu stutzen, hemmte einen Augenblick seinen Schritt, betrachtete mit weit offenen Augen das Geräthe, gieng dann vorwärts und trat, nachdem der ganze Zug in der Ordnung eines Halbkreises aufge¬ stellt war, feierlich vor den Pfeiler mit dem Stein¬ bilde der Selinur. Er sprach ein uraltes Gebet, das die Weltenmutter anflehte, sich das Opfer gnädig ge¬ fallen zu lassen, und dem er heute mit tiefbewegter Stimme Dankesworte für das Wunder beifügte, das hier sichtbarlich den Augen des Volkes erscheine. "Du hast," sprach er, "o Göttin, das Gefäß neu geschaffen, in welchem einst jener geisterfüllte Brei gekocht wurde, durch dessen Genuß nach wunderbaren Wandlungen der Zwerg Gwyon zum Taliesin wurde, der unsern heiligen Orden gestiftet. Du selbst hast uns gewür¬ digt, in Lichtwolkengestalt diese Neuschöpfung als Göttergabe herbeizubringen und hier auf deinen Altar zu stellen, ja noch mehr, du hast seine Wunderkraft an einem unglücklichen Erdenwurm bethätigt!"
niedergeſetzt, das man, als ſie verſchwunden, als Coridwentopf erkannte. Eine Frau habe es gewagt, ihr hinkendes Kind naher zu führen, und ihm erlaubt, den Finger an die Wand des Gefäßes zu legen: kaum gethan, ſei das Kind fröhlich aufgeſprungen, das lahme Bein ſei geheilt. Man zeigte das Kind, es war dem wirklich ſo. Und nun denn ſah man wirklich den Topf da ſtehen! Als der Druide bei dem Altar an¬ langte, ſchien er zu ſtutzen, hemmte einen Augenblick ſeinen Schritt, betrachtete mit weit offenen Augen das Geräthe, gieng dann vorwärts und trat, nachdem der ganze Zug in der Ordnung eines Halbkreiſes aufge¬ ſtellt war, feierlich vor den Pfeiler mit dem Stein¬ bilde der Selinur. Er ſprach ein uraltes Gebet, das die Weltenmutter anflehte, ſich das Opfer gnädig ge¬ fallen zu laſſen, und dem er heute mit tiefbewegter Stimme Dankesworte für das Wunder beifügte, das hier ſichtbarlich den Augen des Volkes erſcheine. „Du haſt,“ ſprach er, „o Göttin, das Gefäß neu geſchaffen, in welchem einſt jener geiſterfüllte Brei gekocht wurde, durch deſſen Genuß nach wunderbaren Wandlungen der Zwerg Gwyon zum Talieſin wurde, der unſern heiligen Orden geſtiftet. Du ſelbſt haſt uns gewür¬ digt, in Lichtwolkengeſtalt dieſe Neuſchöpfung als Göttergabe herbeizubringen und hier auf deinen Altar zu ſtellen, ja noch mehr, du haſt ſeine Wunderkraft an einem unglücklichen Erdenwurm bethätigt!“
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niedergeſetzt, das man, als ſie verſchwunden, als
Coridwentopf erkannte. Eine Frau habe es gewagt,
ihr hinkendes Kind naher zu führen, und ihm erlaubt,
den Finger an die Wand des Gefäßes zu legen: kaum
gethan, ſei das Kind fröhlich aufgeſprungen, das lahme
Bein ſei geheilt. Man zeigte das Kind, es war dem
wirklich ſo. Und nun denn ſah man wirklich den
Topf da ſtehen! Als der Druide bei dem Altar an¬
langte, ſchien er zu ſtutzen, hemmte einen Augenblick
ſeinen Schritt, betrachtete mit weit offenen Augen das
Geräthe, gieng dann vorwärts und trat, nachdem der
ganze Zug in der Ordnung eines Halbkreiſes aufge¬
ſtellt war, feierlich vor den Pfeiler mit dem Stein¬
bilde der Selinur. Er ſprach ein uraltes Gebet, das
die Weltenmutter anflehte, ſich das Opfer gnädig ge¬
fallen zu laſſen, und dem er heute mit tiefbewegter
Stimme Dankesworte für das Wunder beifügte, das
hier ſichtbarlich den Augen des Volkes erſcheine. „Du
haſt,“ ſprach er, „o Göttin, das Gefäß neu geſchaffen,
in welchem einſt jener geiſterfüllte Brei gekocht wurde,
durch deſſen Genuß nach wunderbaren Wandlungen
der Zwerg Gwyon zum Talieſin wurde, der unſern
heiligen Orden geſtiftet. Du ſelbſt haſt uns gewür¬
digt, in Lichtwolkengeſtalt dieſe Neuſchöpfung als
Göttergabe herbeizubringen und hier auf deinen Altar
zu ſtellen, ja noch mehr, du haſt ſeine Wunderkraft
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/336>, abgerufen am 05.12.2024.
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