Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Gegenstand zu suchen, aufzugreifen und ver¬
schwanden dann im Dunkel.

Das Schloß des Gefängnisses war ein schwerer
Holzriegel, der durch einen kunstreichen Knoten aus
dem stärksten Seile so befestigt wurde, daß er als un¬
lösbar gelten konnte. Nur durch Hiebe eines scharfen
Steinbeils hätte ein Unkundiger ihn entfernen können;
dagegen war durch die Wächter gesorgt, denen die
strengste Hut eingeschärft wurde. Die karge Kost wurde
durch eine enge Dachöffnung hinabgelassen; der Bittel,
der hiezu den Auftrag hatte, war auf strenge Wach¬
samkeit besonders beeidigt.

Wo aber war denn Alpin? Er hatte sich während
Kallar's Rede, das eintretende Dunkel benützend, hin¬
weggeschlichen, hatte einen Korb voll Speise und Trank
aufgenommen, den ihm Sigune an einem verabredeten
Platz im Haine bereit gestellt, und war der Höhle
zugegangen, den einsamen Freund besser zu laben,
als ein Stück Brod, das er morgens beim Abschied
ihm aus seiner Tasche gereicht, und die Beeren
des Waldes es vermochten. Als er nach ängstlichem
Suchen ihn nicht fand, befiel ihn zuerst die schreckliche
Sorge, er möchte entdeckt, in den Wald fortgeschleppt,
ermordet sein, aber eine schlimme, dunkle und dennoch
bestimmte Ahnung trieb ihn zurück nach dem Festplatz;
schon von Weitem hörte er Arthur's gewaltige Stimme
von der Höhe herschallen, stellte sich unbemerkt bei den

einen Gegenſtand zu ſuchen, aufzugreifen und ver¬
ſchwanden dann im Dunkel.

Das Schloß des Gefängniſſes war ein ſchwerer
Holzriegel, der durch einen kunſtreichen Knoten aus
dem ſtärkſten Seile ſo befeſtigt wurde, daß er als un¬
lösbar gelten konnte. Nur durch Hiebe eines ſcharfen
Steinbeils hätte ein Unkundiger ihn entfernen können;
dagegen war durch die Wächter geſorgt, denen die
ſtrengſte Hut eingeſchärft wurde. Die karge Koſt wurde
durch eine enge Dachöffnung hinabgelaſſen; der Bittel,
der hiezu den Auftrag hatte, war auf ſtrenge Wach¬
ſamkeit beſonders beeidigt.

Wo aber war denn Alpin? Er hatte ſich während
Kallar's Rede, das eintretende Dunkel benützend, hin¬
weggeſchlichen, hatte einen Korb voll Speiſe und Trank
aufgenommen, den ihm Sigune an einem verabredeten
Platz im Haine bereit geſtellt, und war der Höhle
zugegangen, den einſamen Freund beſſer zu laben,
als ein Stück Brod, das er morgens beim Abſchied
ihm aus ſeiner Taſche gereicht, und die Beeren
des Waldes es vermochten. Als er nach ängſtlichem
Suchen ihn nicht fand, befiel ihn zuerſt die ſchreckliche
Sorge, er möchte entdeckt, in den Wald fortgeſchleppt,
ermordet ſein, aber eine ſchlimme, dunkle und dennoch
beſtimmte Ahnung trieb ihn zurück nach dem Feſtplatz;
ſchon von Weitem hörte er Arthur's gewaltige Stimme
von der Höhe herſchallen, ſtellte ſich unbemerkt bei den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0315" n="302"/>
einen Gegen&#x017F;tand zu &#x017F;uchen, aufzugreifen und ver¬<lb/>
&#x017F;chwanden dann im Dunkel.</p><lb/>
        <p>Das Schloß des Gefängni&#x017F;&#x017F;es war ein &#x017F;chwerer<lb/>
Holzriegel, der durch einen kun&#x017F;treichen Knoten aus<lb/>
dem &#x017F;tärk&#x017F;ten Seile &#x017F;o befe&#x017F;tigt wurde, daß er als un¬<lb/>
lösbar gelten konnte. Nur durch Hiebe eines &#x017F;charfen<lb/>
Steinbeils hätte ein Unkundiger ihn entfernen können;<lb/>
dagegen war durch die Wächter ge&#x017F;orgt, denen die<lb/>
&#x017F;treng&#x017F;te Hut einge&#x017F;chärft wurde. Die karge Ko&#x017F;t wurde<lb/>
durch eine enge Dachöffnung hinabgela&#x017F;&#x017F;en; der Bittel,<lb/>
der hiezu den Auftrag hatte, war auf &#x017F;trenge Wach¬<lb/>
&#x017F;amkeit be&#x017F;onders beeidigt.</p><lb/>
        <p>Wo aber war denn Alpin? Er hatte &#x017F;ich während<lb/>
Kallar's Rede, das eintretende Dunkel benützend, hin¬<lb/>
wegge&#x017F;chlichen, hatte einen Korb voll Spei&#x017F;e und Trank<lb/>
aufgenommen, den ihm Sigune an einem verabredeten<lb/>
Platz im Haine bereit ge&#x017F;tellt, und war der Höhle<lb/>
zugegangen, den ein&#x017F;amen Freund be&#x017F;&#x017F;er zu laben,<lb/>
als ein Stück Brod, das er morgens beim Ab&#x017F;chied<lb/>
ihm aus &#x017F;einer Ta&#x017F;che gereicht, und die Beeren<lb/>
des Waldes es vermochten. Als er nach äng&#x017F;tlichem<lb/>
Suchen ihn nicht fand, befiel ihn zuer&#x017F;t die &#x017F;chreckliche<lb/>
Sorge, er möchte entdeckt, in den Wald fortge&#x017F;chleppt,<lb/>
ermordet &#x017F;ein, aber eine &#x017F;chlimme, dunkle und dennoch<lb/>
be&#x017F;timmte Ahnung trieb ihn zurück nach dem Fe&#x017F;tplatz;<lb/>
&#x017F;chon von Weitem hörte er Arthur's gewaltige Stimme<lb/>
von der Höhe her&#x017F;challen, &#x017F;tellte &#x017F;ich unbemerkt bei den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0315] einen Gegenſtand zu ſuchen, aufzugreifen und ver¬ ſchwanden dann im Dunkel. Das Schloß des Gefängniſſes war ein ſchwerer Holzriegel, der durch einen kunſtreichen Knoten aus dem ſtärkſten Seile ſo befeſtigt wurde, daß er als un¬ lösbar gelten konnte. Nur durch Hiebe eines ſcharfen Steinbeils hätte ein Unkundiger ihn entfernen können; dagegen war durch die Wächter geſorgt, denen die ſtrengſte Hut eingeſchärft wurde. Die karge Koſt wurde durch eine enge Dachöffnung hinabgelaſſen; der Bittel, der hiezu den Auftrag hatte, war auf ſtrenge Wach¬ ſamkeit beſonders beeidigt. Wo aber war denn Alpin? Er hatte ſich während Kallar's Rede, das eintretende Dunkel benützend, hin¬ weggeſchlichen, hatte einen Korb voll Speiſe und Trank aufgenommen, den ihm Sigune an einem verabredeten Platz im Haine bereit geſtellt, und war der Höhle zugegangen, den einſamen Freund beſſer zu laben, als ein Stück Brod, das er morgens beim Abſchied ihm aus ſeiner Taſche gereicht, und die Beeren des Waldes es vermochten. Als er nach ängſtlichem Suchen ihn nicht fand, befiel ihn zuerſt die ſchreckliche Sorge, er möchte entdeckt, in den Wald fortgeſchleppt, ermordet ſein, aber eine ſchlimme, dunkle und dennoch beſtimmte Ahnung trieb ihn zurück nach dem Feſtplatz; ſchon von Weitem hörte er Arthur's gewaltige Stimme von der Höhe herſchallen, ſtellte ſich unbemerkt bei den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/315
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/315>, abgerufen am 05.12.2024.