bezwungen wird, da ist er. Er bezwingt auch die Zeit. Morgen und Abend, Tag und Nacht, Mond und Jahr sind gleich vor ihm. Da gibt es kein Vor¬ her und Nachher. Er ist das ewig Bewegende in aller Bewegung. Wer ihn liebt, schüttelt es ab, das Albgewicht der schrecklichen, gähnenden Zeit und tauchet auf in das Urlicht, das da zeitlos ist, wie euch der weise Barde gesagt hat. Wir sind Wellen im unend¬ lichen Zeitmeer, wir sind Nichts, wo wir uns nicht heben in den Strahl der Ewigkeit. O süßes Zittern, wenn berührt von der Weltensonne unser Scheitel blitzt! Wenn sie unser kaltes Wogenherz durchwärmt, unser Eis schmelzt! Es schmilzt, wenn wir gut sind! Es schmilzt, wenn wir lassen vom Dumpfen, vom Arm¬ seligen, von all' dem, um dessen willen es nicht der Mühe werth ist zu leben. In was lebt ihr? Im Schund um Essen und Trinken und schöne Kleider, um Rinder und Ziegen und Häute, im Zank um nichts! Wo schwebt ihr? wo schwimmt ihr? Im blitzenden Weltmeer des Lichts? Ihr schwebt nicht, ihr klebt, im Sumpfe klebt ihr, im Schlamm zwischen Binsen und Röhricht -- schleimige Schneckenseelen seid ihr! Eckeln sollte es euch an euch selbst!" --
Jetzt begann und wuchs ein Murren unter den Zuhörern, aber nur heftiger schalt er fort:
"Der milde Barde hat's euch sanft und leis ge¬ sagt, laut und scharf will ich es euch sagen! Da habt
bezwungen wird, da iſt er. Er bezwingt auch die Zeit. Morgen und Abend, Tag und Nacht, Mond und Jahr ſind gleich vor ihm. Da gibt es kein Vor¬ her und Nachher. Er iſt das ewig Bewegende in aller Bewegung. Wer ihn liebt, ſchüttelt es ab, das Albgewicht der ſchrecklichen, gähnenden Zeit und tauchet auf in das Urlicht, das da zeitlos iſt, wie euch der weiſe Barde geſagt hat. Wir ſind Wellen im unend¬ lichen Zeitmeer, wir ſind Nichts, wo wir uns nicht heben in den Strahl der Ewigkeit. O ſüßes Zittern, wenn berührt von der Weltenſonne unſer Scheitel blitzt! Wenn ſie unſer kaltes Wogenherz durchwärmt, unſer Eis ſchmelzt! Es ſchmilzt, wenn wir gut ſind! Es ſchmilzt, wenn wir laſſen vom Dumpfen, vom Arm¬ ſeligen, von all' dem, um deſſen willen es nicht der Mühe werth iſt zu leben. In was lebt ihr? Im Schund um Eſſen und Trinken und ſchöne Kleider, um Rinder und Ziegen und Häute, im Zank um nichts! Wo ſchwebt ihr? wo ſchwimmt ihr? Im blitzenden Weltmeer des Lichts? Ihr ſchwebt nicht, ihr klebt, im Sumpfe klebt ihr, im Schlamm zwiſchen Binſen und Röhricht — ſchleimige Schneckenſeelen ſeid ihr! Eckeln ſollte es euch an euch ſelbſt!“ —
Jetzt begann und wuchs ein Murren unter den Zuhörern, aber nur heftiger ſchalt er fort:
„Der milde Barde hat's euch ſanft und leis ge¬ ſagt, laut und ſcharf will ich es euch ſagen! Da habt
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bezwungen wird, da iſt er. Er bezwingt auch die
Zeit. Morgen und Abend, Tag und Nacht, Mond
und Jahr ſind gleich vor ihm. Da gibt es kein Vor¬
her und Nachher. Er iſt das ewig Bewegende in
aller Bewegung. Wer ihn liebt, ſchüttelt es ab, das
Albgewicht der ſchrecklichen, gähnenden Zeit und tauchet
auf in das Urlicht, das da zeitlos iſt, wie euch der
weiſe Barde geſagt hat. Wir ſind Wellen im unend¬
lichen Zeitmeer, wir ſind Nichts, wo wir uns nicht
heben in den Strahl der Ewigkeit. O ſüßes Zittern,
wenn berührt von der Weltenſonne unſer Scheitel blitzt!
Wenn ſie unſer kaltes Wogenherz durchwärmt, unſer
Eis ſchmelzt! Es ſchmilzt, wenn wir gut ſind! Es
ſchmilzt, wenn wir laſſen vom Dumpfen, vom Arm¬
ſeligen, von all' dem, um deſſen willen es nicht der
Mühe werth iſt zu leben. In was lebt ihr? Im
Schund um Eſſen und Trinken und ſchöne Kleider,
um Rinder und Ziegen und Häute, im Zank um nichts!
Wo ſchwebt ihr? wo ſchwimmt ihr? Im blitzenden
Weltmeer des Lichts? Ihr ſchwebt nicht, ihr klebt, im
Sumpfe klebt ihr, im Schlamm zwiſchen Binſen und
Röhricht — ſchleimige Schneckenſeelen ſeid ihr! Eckeln
ſollte es euch an euch ſelbſt!“ —
Jetzt begann und wuchs ein Murren unter den
Zuhörern, aber nur heftiger ſchalt er fort:
„Der milde Barde hat's euch ſanft und leis ge¬
ſagt, laut und ſcharf will ich es euch ſagen! Da habt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/304>, abgerufen am 05.12.2024.
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