Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

daher nicht dabei aufhalten, wollen die Reisemüden
ruhig ihrem Nachtischschlummer überlassen, noch einige
weitere Stunden überspringen und uns am Abend
nach dem Dolmen begeben, wo bereits die Gemeinde
versammelt ist und dem Priester zu beiden Seiten die
Barden sitzen. Blaue Talare sind ihr stattliches Fest¬
kleid, ihre Häupter unbedeckt, mit Eichenkränzen ge¬
schmückt. Die Pfahlbürger sind bewaffnet; das war,
ausgenommen die heilige Betuchungsfeier, unzertrenn¬
lich von der Festtracht bei allen Volksversammlungen.
Der lange Bogen von Eibenholz hieng über die Schulter,
der Köcher über den Rücken, der Horndolch stack im
Gürtel, nur der Speer, die schwere Steinaxt war zu
Hause geblieben. Die Frauen und Töchter waren
nicht zu sehen. Zwar verbot keine hergebrachte Sitte
ihre Zulassung, das Weib war nur von der politischen
Versammlung, der Landsgemeinde, ausgeschlossen; allein
das schöne Geschlecht hatte damals noch wenig Lust,
belehrende, bildende Vorträge anzuhören, mit rührender
Offenherzigkeit wurde vielmehr gestanden, man finde
dergleichen langweilig.

Nachdem Stille geboten war, erfolgte nun durch
Angus die feierliche Vorstellung der Barden bei der
Gemeinde und an den Seanacha Feridun Kallar die
Einladung, seinen Vortrag zu beginnen. Er schlug
den Vortritt aus. "Nicht ich," sprach der freundliche
Mann, "der Sänger sei gebeten, voranzugehen! Es ist

daher nicht dabei aufhalten, wollen die Reiſemüden
ruhig ihrem Nachtiſchſchlummer überlaſſen, noch einige
weitere Stunden überſpringen und uns am Abend
nach dem Dolmen begeben, wo bereits die Gemeinde
verſammelt iſt und dem Prieſter zu beiden Seiten die
Barden ſitzen. Blaue Talare ſind ihr ſtattliches Feſt¬
kleid, ihre Häupter unbedeckt, mit Eichenkränzen ge¬
ſchmückt. Die Pfahlbürger ſind bewaffnet; das war,
ausgenommen die heilige Betuchungsfeier, unzertrenn¬
lich von der Feſttracht bei allen Volksverſammlungen.
Der lange Bogen von Eibenholz hieng über die Schulter,
der Köcher über den Rücken, der Horndolch ſtack im
Gürtel, nur der Speer, die ſchwere Steinaxt war zu
Hauſe geblieben. Die Frauen und Töchter waren
nicht zu ſehen. Zwar verbot keine hergebrachte Sitte
ihre Zulaſſung, das Weib war nur von der politiſchen
Verſammlung, der Landsgemeinde, ausgeſchloſſen; allein
das ſchöne Geſchlecht hatte damals noch wenig Luſt,
belehrende, bildende Vorträge anzuhören, mit rührender
Offenherzigkeit wurde vielmehr geſtanden, man finde
dergleichen langweilig.

Nachdem Stille geboten war, erfolgte nun durch
Angus die feierliche Vorſtellung der Barden bei der
Gemeinde und an den Seanacha Feridun Kallar die
Einladung, ſeinen Vortrag zu beginnen. Er ſchlug
den Vortritt aus. „Nicht ich,“ ſprach der freundliche
Mann, „der Sänger ſei gebeten, voranzugehen! Es iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0265" n="252"/>
daher nicht dabei aufhalten, wollen die Rei&#x017F;emüden<lb/>
ruhig ihrem Nachti&#x017F;ch&#x017F;chlummer überla&#x017F;&#x017F;en, noch einige<lb/>
weitere Stunden über&#x017F;pringen und uns am Abend<lb/>
nach dem Dolmen begeben, wo bereits die Gemeinde<lb/>
ver&#x017F;ammelt i&#x017F;t und dem Prie&#x017F;ter zu beiden Seiten die<lb/>
Barden &#x017F;itzen. Blaue Talare &#x017F;ind ihr &#x017F;tattliches Fe&#x017F;<lb/>
kleid, ihre Häupter unbedeckt, mit Eichenkränzen ge¬<lb/>
&#x017F;chmückt. Die Pfahlbürger &#x017F;ind bewaffnet; das war,<lb/>
ausgenommen die heilige Betuchungsfeier, unzertrenn¬<lb/>
lich von der Fe&#x017F;ttracht bei allen Volksver&#x017F;ammlungen.<lb/>
Der lange Bogen von Eibenholz hieng über die Schulter,<lb/>
der Köcher über den Rücken, der Horndolch &#x017F;tack im<lb/>
Gürtel, nur der Speer, die &#x017F;chwere Steinaxt war zu<lb/>
Hau&#x017F;e geblieben. Die Frauen und Töchter waren<lb/>
nicht zu &#x017F;ehen. Zwar verbot keine hergebrachte Sitte<lb/>
ihre Zula&#x017F;&#x017F;ung, das Weib war nur von der politi&#x017F;chen<lb/>
Ver&#x017F;ammlung, der Landsgemeinde, ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; allein<lb/>
das &#x017F;chöne Ge&#x017F;chlecht hatte damals noch wenig Lu&#x017F;t,<lb/>
belehrende, bildende Vorträge anzuhören, mit rührender<lb/>
Offenherzigkeit wurde vielmehr ge&#x017F;tanden, man finde<lb/>
dergleichen langweilig.</p><lb/>
        <p>Nachdem Stille geboten war, erfolgte nun durch<lb/>
Angus die feierliche Vor&#x017F;tellung der Barden bei der<lb/>
Gemeinde und an den Seanacha Feridun Kallar die<lb/>
Einladung, &#x017F;einen Vortrag zu beginnen. Er &#x017F;chlug<lb/>
den Vortritt aus. &#x201E;Nicht ich,&#x201C; &#x017F;prach der freundliche<lb/>
Mann, &#x201E;der Sänger &#x017F;ei gebeten, voranzugehen! Es i&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0265] daher nicht dabei aufhalten, wollen die Reiſemüden ruhig ihrem Nachtiſchſchlummer überlaſſen, noch einige weitere Stunden überſpringen und uns am Abend nach dem Dolmen begeben, wo bereits die Gemeinde verſammelt iſt und dem Prieſter zu beiden Seiten die Barden ſitzen. Blaue Talare ſind ihr ſtattliches Feſt¬ kleid, ihre Häupter unbedeckt, mit Eichenkränzen ge¬ ſchmückt. Die Pfahlbürger ſind bewaffnet; das war, ausgenommen die heilige Betuchungsfeier, unzertrenn¬ lich von der Feſttracht bei allen Volksverſammlungen. Der lange Bogen von Eibenholz hieng über die Schulter, der Köcher über den Rücken, der Horndolch ſtack im Gürtel, nur der Speer, die ſchwere Steinaxt war zu Hauſe geblieben. Die Frauen und Töchter waren nicht zu ſehen. Zwar verbot keine hergebrachte Sitte ihre Zulaſſung, das Weib war nur von der politiſchen Verſammlung, der Landsgemeinde, ausgeſchloſſen; allein das ſchöne Geſchlecht hatte damals noch wenig Luſt, belehrende, bildende Vorträge anzuhören, mit rührender Offenherzigkeit wurde vielmehr geſtanden, man finde dergleichen langweilig. Nachdem Stille geboten war, erfolgte nun durch Angus die feierliche Vorſtellung der Barden bei der Gemeinde und an den Seanacha Feridun Kallar die Einladung, ſeinen Vortrag zu beginnen. Er ſchlug den Vortritt aus. „Nicht ich,“ ſprach der freundliche Mann, „der Sänger ſei gebeten, voranzugehen! Es iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/265
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/265>, abgerufen am 11.06.2024.