daß das schöne Geschlecht bei Verkältungen von der Natur milder und schonender behandelt wird als der Mann, selbst er fühlte, daß er für die Gründlichkeit, womit die Natur im starken Geschlechte diesen Prozeß durchzuführen pflegt, denn doch auch sehr der Lang¬ muth und Nachsicht jener bedurfte, die sie ihrerseits darin nicht ebenso bedürfen. Und so verweilten denn nicht nur die Mütter, sondern auch die Väter mit wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen, wie sie der säuberlichen Gabe sich nur als einer Art von neuem Garderobestück erfreuten.
Jedes beschenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬ haltend, auf seine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬ kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor und redete die Kinder an: "Und jetzo empfanget mit Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!"
Die Kinder wurden unruhig, mehreren sah man Spannung und Angst an, sie wurden dafür von den andern geneckt, die Miene des gestrengen Priesters selbst zeigte eine gewisse Erheiterung, es zuckte in seinen Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch die Schaar der Dirnen, zog ein anwachsendes Kichern. Der erste Knabe schritt stolz entschlossen zum andern Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte stand, und bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits eines seiner spitzen Beinstäbchen in den Napf getaucht, die Spitze erschien nun blau, er faßte den Arm des
daß das ſchöne Geſchlecht bei Verkältungen von der Natur milder und ſchonender behandelt wird als der Mann, ſelbſt er fühlte, daß er für die Gründlichkeit, womit die Natur im ſtarken Geſchlechte dieſen Prozeß durchzuführen pflegt, denn doch auch ſehr der Lang¬ muth und Nachſicht jener bedurfte, die ſie ihrerſeits darin nicht ebenſo bedürfen. Und ſo verweilten denn nicht nur die Mütter, ſondern auch die Väter mit wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen, wie ſie der ſäuberlichen Gabe ſich nur als einer Art von neuem Garderobeſtück erfreuten.
Jedes beſchenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬ haltend, auf ſeine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬ kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor und redete die Kinder an: „Und jetzo empfanget mit Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!“
Die Kinder wurden unruhig, mehreren ſah man Spannung und Angſt an, ſie wurden dafür von den andern geneckt, die Miene des geſtrengen Prieſters ſelbſt zeigte eine gewiſſe Erheiterung, es zuckte in ſeinen Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch die Schaar der Dirnen, zog ein anwachſendes Kichern. Der erſte Knabe ſchritt ſtolz entſchloſſen zum andern Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte ſtand, und bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits eines ſeiner ſpitzen Beinſtäbchen in den Napf getaucht, die Spitze erſchien nun blau, er faßte den Arm des
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0226"n="213"/>
daß das ſchöne Geſchlecht bei Verkältungen von der<lb/>
Natur milder und ſchonender behandelt wird als der<lb/>
Mann, ſelbſt er fühlte, daß er für die Gründlichkeit,<lb/>
womit die Natur im ſtarken Geſchlechte dieſen Prozeß<lb/>
durchzuführen pflegt, denn doch auch ſehr der Lang¬<lb/>
muth und Nachſicht jener bedurfte, die ſie ihrerſeits<lb/>
darin nicht ebenſo bedürfen. Und ſo verweilten denn<lb/>
nicht nur die Mütter, ſondern auch die Väter mit<lb/>
wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen,<lb/>
wie ſie der ſäuberlichen Gabe ſich nur als einer Art<lb/>
von neuem Garderobeſtück erfreuten.</p><lb/><p>Jedes beſchenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬<lb/>
haltend, auf ſeine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬<lb/>
kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor<lb/>
und redete die Kinder an: „Und jetzo empfanget mit<lb/>
Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!“</p><lb/><p>Die Kinder wurden unruhig, mehreren ſah man<lb/>
Spannung und Angſt an, ſie wurden dafür von den<lb/>
andern geneckt, die Miene des geſtrengen Prieſters<lb/>ſelbſt zeigte eine gewiſſe Erheiterung, es zuckte in ſeinen<lb/>
Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch<lb/>
die Schaar der Dirnen, zog ein anwachſendes Kichern.<lb/>
Der erſte Knabe ſchritt ſtolz entſchloſſen zum andern<lb/>
Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte ſtand, und<lb/>
bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits<lb/>
eines ſeiner ſpitzen Beinſtäbchen in den Napf getaucht,<lb/>
die Spitze erſchien nun blau, er faßte den Arm des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[213/0226]
daß das ſchöne Geſchlecht bei Verkältungen von der
Natur milder und ſchonender behandelt wird als der
Mann, ſelbſt er fühlte, daß er für die Gründlichkeit,
womit die Natur im ſtarken Geſchlechte dieſen Prozeß
durchzuführen pflegt, denn doch auch ſehr der Lang¬
muth und Nachſicht jener bedurfte, die ſie ihrerſeits
darin nicht ebenſo bedürfen. Und ſo verweilten denn
nicht nur die Mütter, ſondern auch die Väter mit
wohlgefälligen Blicken auf den anmuthigen Mädchen,
wie ſie der ſäuberlichen Gabe ſich nur als einer Art
von neuem Garderobeſtück erfreuten.
Jedes beſchenkte Kind war, die vorige Ordnung ein¬
haltend, auf ſeine alte Stelle zurückgetreten, der Halb¬
kreis war wieder gebildet, der Druide trat wieder vor
und redete die Kinder an: „Und jetzo empfanget mit
Andacht an eurem Leibe das heilige Zeichen der Weihe!“
Die Kinder wurden unruhig, mehreren ſah man
Spannung und Angſt an, ſie wurden dafür von den
andern geneckt, die Miene des geſtrengen Prieſters
ſelbſt zeigte eine gewiſſe Erheiterung, es zuckte in ſeinen
Mundwinkeln, durch die Gemeinde, namentlich durch
die Schaar der Dirnen, zog ein anwachſendes Kichern.
Der erſte Knabe ſchritt ſtolz entſchloſſen zum andern
Ende des Dolmen, wo der bärtige Alte ſtand, und
bot ihm den entblößten Arm. Der Greis hatte bereits
eines ſeiner ſpitzen Beinſtäbchen in den Napf getaucht,
die Spitze erſchien nun blau, er faßte den Arm des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/226>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.