Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger geschickter Mütter vollzogen. Der Priester reicht die Gabe dem ersten Kinde und so geht die Handlung der Reihe nach fort, bis das letzte beschenkt ist. Angus zog, als die Vertheilung zu Ende war, sein eigenes, ebenfalls blaues und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in diesem Akte, doch die Mädchen fast nur scheinbar. Der symbolische Akt dieser ersten Verwendung war eigent¬ lich feststehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt man aber nicht eben strenge darauf und sah es gerne, wenn sie das Angebinde nur vergnügt ansahen, kaum zum Näschen führten und dann einschoben. Das Weib war, wir dürfen es nicht verschweigen, von den Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube dieses Volks in so sonderbare Verbindung mit der Religion brachte, seltener befallen wird und daß sie bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin sah man eine gewisse Oberflächlichkeit, um deren willen man sich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres Wesen zu betrachten. Nicht daß es unter diesem verwerflichen Fehlschluße viel gelitten hätte; heim¬ lich im Innern der rauhen Männerbrust fällte das Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬ matisch beengte und erstarrte Verstand: selbst der Pfahlbürger sah es denn doch natürlich nicht ungern,
Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger geſchickter Mütter vollzogen. Der Prieſter reicht die Gabe dem erſten Kinde und ſo geht die Handlung der Reihe nach fort, bis das letzte beſchenkt iſt. Angus zog, als die Vertheilung zu Ende war, ſein eigenes, ebenfalls blaues und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in dieſem Akte, doch die Mädchen faſt nur ſcheinbar. Der ſymboliſche Akt dieſer erſten Verwendung war eigent¬ lich feſtſtehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt man aber nicht eben ſtrenge darauf und ſah es gerne, wenn ſie das Angebinde nur vergnügt anſahen, kaum zum Näschen führten und dann einſchoben. Das Weib war, wir dürfen es nicht verſchweigen, von den Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube dieſes Volks in ſo ſonderbare Verbindung mit der Religion brachte, ſeltener befallen wird und daß ſie bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin ſah man eine gewiſſe Oberflächlichkeit, um deren willen man ſich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres Weſen zu betrachten. Nicht daß es unter dieſem verwerflichen Fehlſchluße viel gelitten hätte; heim¬ lich im Innern der rauhen Männerbruſt fällte das Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬ matiſch beengte und erſtarrte Verſtand: ſelbſt der Pfahlbürger ſah es denn doch natürlich nicht ungern,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0225"n="212"/>
Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger geſchickter<lb/>
Mütter vollzogen. Der Prieſter reicht die Gabe dem<lb/>
erſten Kinde und ſo geht die Handlung der Reihe nach<lb/>
fort, bis das letzte beſchenkt iſt. Angus zog, als die<lb/>
Vertheilung zu Ende war, ſein eigenes, ebenfalls blaues<lb/>
und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und<lb/>
feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in dieſem<lb/>
Akte, doch die Mädchen faſt nur ſcheinbar. Der<lb/>ſymboliſche Akt dieſer erſten Verwendung war eigent¬<lb/>
lich feſtſtehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt<lb/>
man aber nicht eben ſtrenge darauf und ſah es gerne,<lb/>
wenn ſie das Angebinde nur vergnügt anſahen, kaum<lb/>
zum Näschen führten und dann einſchoben. Das<lb/>
Weib war, wir dürfen es nicht verſchweigen, von den<lb/>
Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von<lb/>
der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube<lb/>
dieſes Volks in ſo ſonderbare Verbindung mit der<lb/>
Religion brachte, ſeltener befallen wird und daß ſie<lb/>
bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin ſah<lb/>
man eine gewiſſe Oberflächlichkeit, um deren willen<lb/>
man ſich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres<lb/>
Weſen zu betrachten. Nicht daß es unter dieſem<lb/>
verwerflichen Fehlſchluße viel gelitten hätte; heim¬<lb/>
lich im Innern der rauhen Männerbruſt fällte das<lb/>
Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬<lb/>
matiſch beengte und erſtarrte Verſtand: ſelbſt der<lb/>
Pfahlbürger ſah es denn doch natürlich nicht ungern,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[212/0225]
Arbeit der Alten, unter Mithülfe einiger geſchickter
Mütter vollzogen. Der Prieſter reicht die Gabe dem
erſten Kinde und ſo geht die Handlung der Reihe nach
fort, bis das letzte beſchenkt iſt. Angus zog, als die
Vertheilung zu Ende war, ſein eigenes, ebenfalls blaues
und weißgetupftes Tuch und gebrauchte es kräftig und
feierlich. Die Kinder folgten ihm auch in dieſem
Akte, doch die Mädchen faſt nur ſcheinbar. Der
ſymboliſche Akt dieſer erſten Verwendung war eigent¬
lich feſtſtehendes Herkommen, bei den Mädchen hielt
man aber nicht eben ſtrenge darauf und ſah es gerne,
wenn ſie das Angebinde nur vergnügt anſahen, kaum
zum Näschen führten und dann einſchoben. Das
Weib war, wir dürfen es nicht verſchweigen, von den
Pfahlbewohnern nicht eben hoch geachtet; daß es von
der Entzündung der Schleimhäute, welche der Glaube
dieſes Volks in ſo ſonderbare Verbindung mit der
Religion brachte, ſeltener befallen wird und daß ſie
bei ihm viel leichter zu verlaufen pflegt, darin ſah
man eine gewiſſe Oberflächlichkeit, um deren willen
man ſich berechtigt glaubte, es als ein niedrigeres
Weſen zu betrachten. Nicht daß es unter dieſem
verwerflichen Fehlſchluße viel gelitten hätte; heim¬
lich im Innern der rauhen Männerbruſt fällte das
Gefühl ein zarteres Urtheil, als im Kopfe der dog¬
matiſch beengte und erſtarrte Verſtand: ſelbſt der
Pfahlbürger ſah es denn doch natürlich nicht ungern,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/225>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.