Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Glück ich mit einem Anlauf zärtlicher Art gemacht
hätte; ich erwiderte stumm den Handdruck und gieng
gleichfalls meines Weges.

Im nächsten Moment fiel mir ein, daß ich nicht
dazu gelangt war, nach dem Sinn des seltsamen
Wortes zu fragen, das mich am vorigen Tage wie
ein Geist verfolgt hatte. Schnell aber wurde ich mir
bewußt, daß dieß darum unterblieben war, weil ich
einen passenden Moment zu der Frage nicht fand,
und weiter wurde mir klar, daß noch etwas Anderes
zu Grunde lag; ich war eigentlich doch nicht dazu
aufgelegt. Alsbald vergieng mir daher auch die augen¬
blickliche Lust, zurückzulaufen und das Versäumte nach¬
zuholen. Ich wäre vor A. E. schlecht bestanden, wenn
ich, vollends nach dem Abschied, einen besondern Schritt
gethan hätte, um zu erfahren, was ein Humorwort
bedeute, das irgend einer geringfügigen Anekdote seinen
Ursprung verdanken mochte. So resignirte ich denn
darauf, jemals noch im Diesseits das Räthsel des
Tetem gelöst zu sehen.

Ich war etwa zwanzig Schritte entfernt, als ich
seine Stimme rufen hörte: "Sie!"

Ich kehrte mich um: A. E. war stillgestanden
und rief mit einem Tone, woraus die helle Froh¬
heit klang, mir zu: "Und sie hat's erst nicht abge¬
wischt!" Dann wandte er sich und ich sah ihn mit
nervigen Schritten die Straße hinansteigen. Zugleich

Glück ich mit einem Anlauf zärtlicher Art gemacht
hätte; ich erwiderte ſtumm den Handdruck und gieng
gleichfalls meines Weges.

Im nächſten Moment fiel mir ein, daß ich nicht
dazu gelangt war, nach dem Sinn des ſeltſamen
Wortes zu fragen, das mich am vorigen Tage wie
ein Geiſt verfolgt hatte. Schnell aber wurde ich mir
bewußt, daß dieß darum unterblieben war, weil ich
einen paſſenden Moment zu der Frage nicht fand,
und weiter wurde mir klar, daß noch etwas Anderes
zu Grunde lag; ich war eigentlich doch nicht dazu
aufgelegt. Alsbald vergieng mir daher auch die augen¬
blickliche Luſt, zurückzulaufen und das Verſäumte nach¬
zuholen. Ich wäre vor A. E. ſchlecht beſtanden, wenn
ich, vollends nach dem Abſchied, einen beſondern Schritt
gethan hätte, um zu erfahren, was ein Humorwort
bedeute, das irgend einer geringfügigen Anekdote ſeinen
Urſprung verdanken mochte. So reſignirte ich denn
darauf, jemals noch im Dieſſeits das Räthſel des
Tetem gelöst zu ſehen.

Ich war etwa zwanzig Schritte entfernt, als ich
ſeine Stimme rufen hörte: „Sie!“

Ich kehrte mich um: A. E. war ſtillgeſtanden
und rief mit einem Tone, woraus die helle Froh¬
heit klang, mir zu: „Und ſie hat's erſt nicht abge¬
wiſcht!“ Dann wandte er ſich und ich ſah ihn mit
nervigen Schritten die Straße hinanſteigen. Zugleich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="122"/>
Glück ich mit einem Anlauf zärtlicher Art gemacht<lb/>
hätte; ich erwiderte &#x017F;tumm den Handdruck und gieng<lb/>
gleichfalls meines Weges.</p><lb/>
        <p>Im näch&#x017F;ten Moment fiel mir ein, daß ich nicht<lb/>
dazu gelangt war, nach dem Sinn des &#x017F;elt&#x017F;amen<lb/>
Wortes zu fragen, das mich am vorigen Tage wie<lb/>
ein Gei&#x017F;t verfolgt hatte. Schnell aber wurde ich mir<lb/>
bewußt, daß dieß darum unterblieben war, weil ich<lb/>
einen pa&#x017F;&#x017F;enden Moment zu der Frage nicht fand,<lb/>
und weiter wurde mir klar, daß noch etwas Anderes<lb/>
zu Grunde lag; ich war eigentlich doch nicht dazu<lb/>
aufgelegt. Alsbald vergieng mir daher auch die augen¬<lb/>
blickliche Lu&#x017F;t, zurückzulaufen und das Ver&#x017F;äumte nach¬<lb/>
zuholen. Ich wäre vor A. E. &#x017F;chlecht be&#x017F;tanden, wenn<lb/>
ich, vollends nach dem Ab&#x017F;chied, einen be&#x017F;ondern Schritt<lb/>
gethan hätte, um zu erfahren, was ein Humorwort<lb/>
bedeute, das irgend einer geringfügigen Anekdote &#x017F;einen<lb/>
Ur&#x017F;prung verdanken mochte. So re&#x017F;ignirte ich denn<lb/>
darauf, jemals noch im Die&#x017F;&#x017F;eits das Räth&#x017F;el des<lb/>
Tetem gelöst zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Ich war etwa zwanzig Schritte entfernt, als ich<lb/>
&#x017F;eine Stimme rufen hörte: &#x201E;Sie!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich kehrte mich um: A. E. war &#x017F;tillge&#x017F;tanden<lb/>
und rief mit einem Tone, woraus die helle Froh¬<lb/>
heit klang, mir zu: &#x201E;Und &#x017F;ie hat's er&#x017F;t nicht abge¬<lb/>
wi&#x017F;cht!&#x201C; Dann wandte er &#x017F;ich und ich &#x017F;ah ihn mit<lb/>
nervigen Schritten die Straße hinan&#x017F;teigen. Zugleich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0135] Glück ich mit einem Anlauf zärtlicher Art gemacht hätte; ich erwiderte ſtumm den Handdruck und gieng gleichfalls meines Weges. Im nächſten Moment fiel mir ein, daß ich nicht dazu gelangt war, nach dem Sinn des ſeltſamen Wortes zu fragen, das mich am vorigen Tage wie ein Geiſt verfolgt hatte. Schnell aber wurde ich mir bewußt, daß dieß darum unterblieben war, weil ich einen paſſenden Moment zu der Frage nicht fand, und weiter wurde mir klar, daß noch etwas Anderes zu Grunde lag; ich war eigentlich doch nicht dazu aufgelegt. Alsbald vergieng mir daher auch die augen¬ blickliche Luſt, zurückzulaufen und das Verſäumte nach¬ zuholen. Ich wäre vor A. E. ſchlecht beſtanden, wenn ich, vollends nach dem Abſchied, einen beſondern Schritt gethan hätte, um zu erfahren, was ein Humorwort bedeute, das irgend einer geringfügigen Anekdote ſeinen Urſprung verdanken mochte. So reſignirte ich denn darauf, jemals noch im Dieſſeits das Räthſel des Tetem gelöst zu ſehen. Ich war etwa zwanzig Schritte entfernt, als ich ſeine Stimme rufen hörte: „Sie!“ Ich kehrte mich um: A. E. war ſtillgeſtanden und rief mit einem Tone, woraus die helle Froh¬ heit klang, mir zu: „Und ſie hat's erſt nicht abge¬ wiſcht!“ Dann wandte er ſich und ich ſah ihn mit nervigen Schritten die Straße hinanſteigen. Zugleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/135
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/135>, abgerufen am 04.12.2024.