Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte
und verende. Und da soll man singen: Wie groß
ist des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich
ist klar, daß dieß ebenso pein- als freudenreiche Ganze,
dieß kunst- und pracht- und teufeleivolle System nur
von einem höchst intelligenten persönlichen Wesen her¬
vorgebracht sein kann, aber nicht minder klar, daß
dieses Wesen ebenso blind, als weise, ebenso bös, als
gut ist, kurz, daß es nur ein geniales Weib sein kann.
Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur
schlechterdings nicht mit sich reden läßt, daß man mit
Gründen absolut nichts bei ihr ausrichtet, just wie die
Weiber, die sagen: drum eben, wenn man sie stunden¬
lang widerlegt hat."

"Zu was brauchen Sie aber noch die Geister?"

"Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur
war etwas Ausnehmendes gelungen: sie hatte endlich
den Menschen gebildet. Mit Hülfe der Geister wurde
er die grausamste aller Bestien, denn ihm diente der
Verstand zur Erfindung ausgesuchter Qualen für Thiere
und seines Gleichen. Allein es geschah ein Strich durch
die Rechnung. Derselbe Mensch erfand, geführt von
einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem
Lichtgeist, von dem wir ein andermal noch sprechen, nach
und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geister
nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wissen¬
schaft, die begierdelose Liebe und die Künste. Das

dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte
und verende. Und da ſoll man ſingen: Wie groß
iſt des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich
iſt klar, daß dieß ebenſo pein- als freudenreiche Ganze,
dieß kunſt- und pracht- und teufeleivolle Syſtem nur
von einem höchſt intelligenten perſönlichen Weſen her¬
vorgebracht ſein kann, aber nicht minder klar, daß
dieſes Weſen ebenſo blind, als weiſe, ebenſo bös, als
gut iſt, kurz, daß es nur ein geniales Weib ſein kann.
Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur
ſchlechterdings nicht mit ſich reden läßt, daß man mit
Gründen abſolut nichts bei ihr ausrichtet, juſt wie die
Weiber, die ſagen: drum eben, wenn man ſie ſtunden¬
lang widerlegt hat.“

„Zu was brauchen Sie aber noch die Geiſter?“

„Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur
war etwas Ausnehmendes gelungen: ſie hatte endlich
den Menſchen gebildet. Mit Hülfe der Geiſter wurde
er die grauſamſte aller Beſtien, denn ihm diente der
Verſtand zur Erfindung ausgeſuchter Qualen für Thiere
und ſeines Gleichen. Allein es geſchah ein Strich durch
die Rechnung. Derſelbe Menſch erfand, geführt von
einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem
Lichtgeiſt, von dem wir ein andermal noch ſprechen, nach
und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geiſter
nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wiſſen¬
ſchaft, die begierdeloſe Liebe und die Künſte. Das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0106" n="93"/>
dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte<lb/>
und verende. Und da &#x017F;oll man &#x017F;ingen: Wie groß<lb/>
i&#x017F;t des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich<lb/>
i&#x017F;t klar, daß dieß eben&#x017F;o pein- als freudenreiche Ganze,<lb/>
dieß kun&#x017F;t- und pracht- und teufeleivolle Sy&#x017F;tem nur<lb/>
von einem höch&#x017F;t intelligenten per&#x017F;önlichen We&#x017F;en her¬<lb/>
vorgebracht &#x017F;ein kann, aber nicht minder klar, daß<lb/>
die&#x017F;es We&#x017F;en eben&#x017F;o blind, als wei&#x017F;e, eben&#x017F;o bös, als<lb/>
gut i&#x017F;t, kurz, daß es nur ein geniales Weib &#x017F;ein kann.<lb/>
Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur<lb/>
&#x017F;chlechterdings nicht mit &#x017F;ich reden läßt, daß man mit<lb/>
Gründen ab&#x017F;olut nichts bei ihr ausrichtet, ju&#x017F;t wie die<lb/>
Weiber, die &#x017F;agen: drum eben, wenn man &#x017F;ie &#x017F;tunden¬<lb/>
lang widerlegt hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Zu was brauchen Sie aber noch die Gei&#x017F;ter?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur<lb/>
war etwas Ausnehmendes gelungen: &#x017F;ie hatte endlich<lb/>
den Men&#x017F;chen gebildet. Mit Hülfe der Gei&#x017F;ter wurde<lb/>
er die grau&#x017F;am&#x017F;te aller Be&#x017F;tien, denn ihm diente der<lb/>
Ver&#x017F;tand zur Erfindung ausge&#x017F;uchter Qualen für Thiere<lb/>
und &#x017F;eines Gleichen. Allein es ge&#x017F;chah ein Strich durch<lb/>
die Rechnung. Der&#x017F;elbe Men&#x017F;ch erfand, geführt von<lb/>
einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem<lb/>
Lichtgei&#x017F;t, von dem wir ein andermal noch &#x017F;prechen, nach<lb/>
und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Gei&#x017F;ter<lb/>
nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wi&#x017F;&#x017F;en¬<lb/>
&#x017F;chaft, die begierdelo&#x017F;e Liebe und die Kün&#x017F;te. Das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0106] dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte und verende. Und da ſoll man ſingen: Wie groß iſt des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich iſt klar, daß dieß ebenſo pein- als freudenreiche Ganze, dieß kunſt- und pracht- und teufeleivolle Syſtem nur von einem höchſt intelligenten perſönlichen Weſen her¬ vorgebracht ſein kann, aber nicht minder klar, daß dieſes Weſen ebenſo blind, als weiſe, ebenſo bös, als gut iſt, kurz, daß es nur ein geniales Weib ſein kann. Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur ſchlechterdings nicht mit ſich reden läßt, daß man mit Gründen abſolut nichts bei ihr ausrichtet, juſt wie die Weiber, die ſagen: drum eben, wenn man ſie ſtunden¬ lang widerlegt hat.“ „Zu was brauchen Sie aber noch die Geiſter?“ „Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur war etwas Ausnehmendes gelungen: ſie hatte endlich den Menſchen gebildet. Mit Hülfe der Geiſter wurde er die grauſamſte aller Beſtien, denn ihm diente der Verſtand zur Erfindung ausgeſuchter Qualen für Thiere und ſeines Gleichen. Allein es geſchah ein Strich durch die Rechnung. Derſelbe Menſch erfand, geführt von einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem Lichtgeiſt, von dem wir ein andermal noch ſprechen, nach und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geiſter nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wiſſen¬ ſchaft, die begierdeloſe Liebe und die Künſte. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/106
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/106>, abgerufen am 04.12.2024.