dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte und verende. Und da soll man singen: Wie groß ist des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich ist klar, daß dieß ebenso pein- als freudenreiche Ganze, dieß kunst- und pracht- und teufeleivolle System nur von einem höchst intelligenten persönlichen Wesen her¬ vorgebracht sein kann, aber nicht minder klar, daß dieses Wesen ebenso blind, als weise, ebenso bös, als gut ist, kurz, daß es nur ein geniales Weib sein kann. Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur schlechterdings nicht mit sich reden läßt, daß man mit Gründen absolut nichts bei ihr ausrichtet, just wie die Weiber, die sagen: drum eben, wenn man sie stunden¬ lang widerlegt hat."
"Zu was brauchen Sie aber noch die Geister?"
"Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur war etwas Ausnehmendes gelungen: sie hatte endlich den Menschen gebildet. Mit Hülfe der Geister wurde er die grausamste aller Bestien, denn ihm diente der Verstand zur Erfindung ausgesuchter Qualen für Thiere und seines Gleichen. Allein es geschah ein Strich durch die Rechnung. Derselbe Mensch erfand, geführt von einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem Lichtgeist, von dem wir ein andermal noch sprechen, nach und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geister nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wissen¬ schaft, die begierdelose Liebe und die Künste. Das
dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte und verende. Und da ſoll man ſingen: Wie groß iſt des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich iſt klar, daß dieß ebenſo pein- als freudenreiche Ganze, dieß kunſt- und pracht- und teufeleivolle Syſtem nur von einem höchſt intelligenten perſönlichen Weſen her¬ vorgebracht ſein kann, aber nicht minder klar, daß dieſes Weſen ebenſo blind, als weiſe, ebenſo bös, als gut iſt, kurz, daß es nur ein geniales Weib ſein kann. Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur ſchlechterdings nicht mit ſich reden läßt, daß man mit Gründen abſolut nichts bei ihr ausrichtet, juſt wie die Weiber, die ſagen: drum eben, wenn man ſie ſtunden¬ lang widerlegt hat.“
„Zu was brauchen Sie aber noch die Geiſter?“
„Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur war etwas Ausnehmendes gelungen: ſie hatte endlich den Menſchen gebildet. Mit Hülfe der Geiſter wurde er die grauſamſte aller Beſtien, denn ihm diente der Verſtand zur Erfindung ausgeſuchter Qualen für Thiere und ſeines Gleichen. Allein es geſchah ein Strich durch die Rechnung. Derſelbe Menſch erfand, geführt von einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem Lichtgeiſt, von dem wir ein andermal noch ſprechen, nach und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geiſter nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wiſſen¬ ſchaft, die begierdeloſe Liebe und die Künſte. Das
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0106"n="93"/>
dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte<lb/>
und verende. Und da ſoll man ſingen: Wie groß<lb/>
iſt des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich<lb/>
iſt klar, daß dieß ebenſo pein- als freudenreiche Ganze,<lb/>
dieß kunſt- und pracht- und teufeleivolle Syſtem nur<lb/>
von einem höchſt intelligenten perſönlichen Weſen her¬<lb/>
vorgebracht ſein kann, aber nicht minder klar, daß<lb/>
dieſes Weſen ebenſo blind, als weiſe, ebenſo bös, als<lb/>
gut iſt, kurz, daß es nur ein geniales Weib ſein kann.<lb/>
Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur<lb/>ſchlechterdings nicht mit ſich reden läßt, daß man mit<lb/>
Gründen abſolut nichts bei ihr ausrichtet, juſt wie die<lb/>
Weiber, die ſagen: drum eben, wenn man ſie ſtunden¬<lb/>
lang widerlegt hat.“</p><lb/><p>„Zu was brauchen Sie aber noch die Geiſter?“</p><lb/><p>„Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur<lb/>
war etwas Ausnehmendes gelungen: ſie hatte endlich<lb/>
den Menſchen gebildet. Mit Hülfe der Geiſter wurde<lb/>
er die grauſamſte aller Beſtien, denn ihm diente der<lb/>
Verſtand zur Erfindung ausgeſuchter Qualen für Thiere<lb/>
und ſeines Gleichen. Allein es geſchah ein Strich durch<lb/>
die Rechnung. Derſelbe Menſch erfand, geführt von<lb/>
einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem<lb/>
Lichtgeiſt, von dem wir ein andermal noch ſprechen, nach<lb/>
und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geiſter<lb/>
nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wiſſen¬<lb/>ſchaft, die begierdeloſe Liebe und die Künſte. Das<lb/></p></div></body></text></TEI>
[93/0106]
dem Schmerz aus der Fluth empor, bis es ermatte
und verende. Und da ſoll man ſingen: Wie groß
iſt des Allmächt'gen Güte!? Nein, nein, das freilich
iſt klar, daß dieß ebenſo pein- als freudenreiche Ganze,
dieß kunſt- und pracht- und teufeleivolle Syſtem nur
von einem höchſt intelligenten perſönlichen Weſen her¬
vorgebracht ſein kann, aber nicht minder klar, daß
dieſes Weſen ebenſo blind, als weiſe, ebenſo bös, als
gut iſt, kurz, daß es nur ein geniales Weib ſein kann.
Uebrigens erhellt dieß auch daraus, daß die Natur
ſchlechterdings nicht mit ſich reden läßt, daß man mit
Gründen abſolut nichts bei ihr ausrichtet, juſt wie die
Weiber, die ſagen: drum eben, wenn man ſie ſtunden¬
lang widerlegt hat.“
„Zu was brauchen Sie aber noch die Geiſter?“
„Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Der Natur
war etwas Ausnehmendes gelungen: ſie hatte endlich
den Menſchen gebildet. Mit Hülfe der Geiſter wurde
er die grauſamſte aller Beſtien, denn ihm diente der
Verſtand zur Erfindung ausgeſuchter Qualen für Thiere
und ſeines Gleichen. Allein es geſchah ein Strich durch
die Rechnung. Derſelbe Menſch erfand, geführt von
einer zweiten, höheren Gottheit, einer männlichen, einem
Lichtgeiſt, von dem wir ein andermal noch ſprechen, nach
und nach Dinge, auf welche das Urweib und die Geiſter
nicht gefaßt waren: das Recht, den Staat, die Wiſſen¬
ſchaft, die begierdeloſe Liebe und die Künſte. Das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/106>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.