doch so völlig gelang, daß die Kunst zur Natur wurde und nun die ganz ungeheuchelte Leidenschaft eines echten Patrioten zum Vorschein kam. Er brach in bittere Klage aus über die Verachtung, die noch auf der Nation laste. "Fast gleichen wir ja," rief er aus, "den Juden, die auf Kohlen sitzen, wo das Gespräch auf ihr Volk führt. Ich hab's Ihnen nicht erzählen mögen," sagte er; "vorgestern Nacht in Brunnen -- ich saß eigentlich gern unter den Schwyzer-Mannen, obwohl ich sonst das Schreien nicht leiden kann; Luft¬ stimmen, voces non subactae, aber Bruststimmen, Metall, Korn! Da kommen die Kerle auf die Dinge zwischen Preußen und Oesterreich" -- (wir sind im Spätsommer 1865) -- "fängt einer an: ,ja, die Dütschen! 's ist nüt und wird nüt'; ich fahr' auf, weis' ihn zurecht, man droht mir, aber da sie sahen, daß ich keinen Teufel fürchte, haben sie mich in Ruhe gelassen. -- Inzwischen, es kommt jetzt anders, Sie werden sehen, aus diesem Wirrwarr entsteht etwas. -- So gewiß glaub' ich's, meine es schon zu sehen, daß mir schon vor den nächsten Folgen bang ist, wenn das deutsche Reich aufgebaut sein wird."
"Da sind Sie doch mehr als eine Wetter-Kassandra! Was für Folgen?"
"Sehen Sie, die Deutschen können das Glück und die Größe nicht recht vertragen. Ihre Art Idealität ruht auf Sehnsucht. Wenn sie's einmal haben --
doch ſo völlig gelang, daß die Kunſt zur Natur wurde und nun die ganz ungeheuchelte Leidenſchaft eines echten Patrioten zum Vorſchein kam. Er brach in bittere Klage aus über die Verachtung, die noch auf der Nation laſte. „Faſt gleichen wir ja,“ rief er aus, „den Juden, die auf Kohlen ſitzen, wo das Geſpräch auf ihr Volk führt. Ich hab's Ihnen nicht erzählen mögen,“ ſagte er; „vorgeſtern Nacht in Brunnen — ich ſaß eigentlich gern unter den Schwyzer-Mannen, obwohl ich ſonſt das Schreien nicht leiden kann; Luft¬ ſtimmen, voces non subactae, aber Bruſtſtimmen, Metall, Korn! Da kommen die Kerle auf die Dinge zwiſchen Preußen und Oeſterreich“ — (wir ſind im Spätſommer 1865) — „fängt einer an: ‚ja, die Dütſchen! 's iſt nüt und wird nüt'; ich fahr' auf, weiſ' ihn zurecht, man droht mir, aber da ſie ſahen, daß ich keinen Teufel fürchte, haben ſie mich in Ruhe gelaſſen. — Inzwiſchen, es kommt jetzt anders, Sie werden ſehen, aus dieſem Wirrwarr entſteht etwas. — So gewiß glaub' ich's, meine es ſchon zu ſehen, daß mir ſchon vor den nächſten Folgen bang iſt, wenn das deutſche Reich aufgebaut ſein wird.“
„Da ſind Sie doch mehr als eine Wetter-Kaſſandra! Was für Folgen?“
„Sehen Sie, die Deutſchen können das Glück und die Größe nicht recht vertragen. Ihre Art Idealität ruht auf Sehnſucht. Wenn ſie's einmal haben —
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doch ſo völlig gelang, daß die Kunſt zur Natur wurde
und nun die ganz ungeheuchelte Leidenſchaft eines
echten Patrioten zum Vorſchein kam. Er brach in
bittere Klage aus über die Verachtung, die noch auf
der Nation laſte. „Faſt gleichen wir ja,“ rief er aus,
„den Juden, die auf Kohlen ſitzen, wo das Geſpräch
auf ihr Volk führt. Ich hab's Ihnen nicht erzählen
mögen,“ ſagte er; „vorgeſtern Nacht in Brunnen —
ich ſaß eigentlich gern unter den Schwyzer-Mannen,
obwohl ich ſonſt das Schreien nicht leiden kann; Luft¬
ſtimmen, voces non subactae, aber Bruſtſtimmen,
Metall, Korn! Da kommen die Kerle auf die Dinge
zwiſchen Preußen und Oeſterreich“ — (wir ſind im
Spätſommer 1865) — „fängt einer an: ‚ja, die
Dütſchen! 's iſt nüt und wird nüt'; ich fahr' auf,
weiſ' ihn zurecht, man droht mir, aber da ſie ſahen,
daß ich keinen Teufel fürchte, haben ſie mich in Ruhe
gelaſſen. — Inzwiſchen, es kommt jetzt anders, Sie
werden ſehen, aus dieſem Wirrwarr entſteht etwas.
— So gewiß glaub' ich's, meine es ſchon zu ſehen,
daß mir ſchon vor den nächſten Folgen bang iſt, wenn
das deutſche Reich aufgebaut ſein wird.“
„Da ſind Sie doch mehr als eine Wetter-Kaſſandra!
Was für Folgen?“
„Sehen Sie, die Deutſchen können das Glück und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/100>, abgerufen am 04.12.2024.
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