Liedes: "Kennst du das Land," wir vernehmen kaum mehr das Rauschen des Haines, dessen Wipfel Iphigenie nicht etwa gewaltig, erhaben u. dgl., sondern reg nennt, oder die geisterhaft herbstliche Stimmung in den Worten des Mephistopheles: wie traurig steigt die unvollkommene Scheibe des rothen Monds mit später Gluth heran, wir unterscheiden kaum, wie viel poetischer Wallenstein von hohlen, als von leeren Lägern spricht. Gerade unsere sinnlich starken Bezeichnungen sind durch die Verschwendung, indem man nicht mehr nach dem passenden Orte fragt, allgemein, abstract geworden. Wie matt muß dem, der an lauter spanischen Pfeffer gewöhnt ist, es erscheinen, wenn Göthe seinen Hermann nur wohlgebildet, den Vater den menschlichen Hauswirth, die Mutter die zuverläßige Gattin nennt! Die letzteren zwei Prädicate sind nicht versinnlichend, sondern moralisch; der Dichter hat ja überhaupt ebensosehr zu vergeistigen und zu verallgemeinern, als zu individualisiren; dieß Verfahren verfolgen wir hier im Allgemeinen nicht, eine besondere Wendung desselben aber wird zur Sprache kommen. -- Es gilt nun aber auch natürlich vom Epitheton, daß durch die allgemeine Vorschrift der Sparsamkeit das Häufen der Mittel im Moment ergiebig hervorquellender Stimmung keineswegs ausgeschlossen ist; unsere Phantasie kann recht wohl die successiven Prädicate in ein simultanes Ganzes zusam- menfassen; Iphigenie geht gleich im zweiten Vers in die warm beschleunigte Prädicat-Häufung: des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines über und Beispiele noch viel reicherer Fülle sind in der ächten Poesie unendlich. -- Die Versinnlichung legt sich nun aber natürlich auch in die Bezeichnung des Zustands oder Thuns durch das Zeitwort. Hier ist immer die nähere, schärfere, sinnlichere Beziehung der allgemeineren vorzuziehen. Es ist poetischer, zu sagen: der Schmerz wühlt, gräbt, nagt, bohrt im Innern, als: er bewegt, erfüllt es u. s. w. Es tritt hiemit, wie in diesem Beispiel, meist schon metaphorische Bezeichnung ein und führt dieß daher zu der Be- trachtung des bildlichen Verfahrens im engeren Sinne des Worts; davon soll erst nachher spezieller die Rede sein, aber es ist unumgänglich, schon bei dem Epitheton es zu erwähnen, ebenso das metonymische Verfahren, wo der Dichter statt der ganzen Thätigkeit eine nähere Erscheinungsseite derselben heraus- stellt; wir führen hiezu nicht im Scherz als ächt harmonisch gefühlt an, wenn Hebel, wo er den Wohlstand eines Landgeistlichen schildert und unter An- derem seine Schweinezucht erwähnt, nicht etwa sagt: in den Wäldern mästet sich, sondern: knarvelt d'Su. Das Verbum kann allerdings auch umge- kehrt die Enge des Sinnlichen vergeistigend erweitern, dieß führt jedoch ebenfalls zur Metapher. -- Bei genauerer Analyse wäre nun zu zeigen, wie die veranschaulichende Kraft den Satz entwickelt, mit Zwischensätzen gliedert (z. B. in Hermann und Dorothea, wo der Pfarrer dem Vater den Ring vom Finger zieht und in Parenthese steht: nicht so leicht, denn er
Liedes: „Kennſt du das Land,“ wir vernehmen kaum mehr das Rauſchen des Haines, deſſen Wipfel Iphigenie nicht etwa gewaltig, erhaben u. dgl., ſondern reg nennt, oder die geiſterhaft herbſtliche Stimmung in den Worten des Mephiſtopheles: wie traurig ſteigt die unvollkommene Scheibe des rothen Monds mit ſpäter Gluth heran, wir unterſcheiden kaum, wie viel poetiſcher Wallenſtein von hohlen, als von leeren Lägern ſpricht. Gerade unſere ſinnlich ſtarken Bezeichnungen ſind durch die Verſchwendung, indem man nicht mehr nach dem paſſenden Orte fragt, allgemein, abſtract geworden. Wie matt muß dem, der an lauter ſpaniſchen Pfeffer gewöhnt iſt, es erſcheinen, wenn Göthe ſeinen Hermann nur wohlgebildet, den Vater den menſchlichen Hauswirth, die Mutter die zuverläßige Gattin nennt! Die letzteren zwei Prädicate ſind nicht verſinnlichend, ſondern moraliſch; der Dichter hat ja überhaupt ebenſoſehr zu vergeiſtigen und zu verallgemeinern, als zu individualiſiren; dieß Verfahren verfolgen wir hier im Allgemeinen nicht, eine beſondere Wendung deſſelben aber wird zur Sprache kommen. — Es gilt nun aber auch natürlich vom Epitheton, daß durch die allgemeine Vorſchrift der Sparſamkeit das Häufen der Mittel im Moment ergiebig hervorquellender Stimmung keineswegs ausgeſchloſſen iſt; unſere Phantaſie kann recht wohl die ſucceſſiven Prädicate in ein ſimultanes Ganzes zuſam- menfaſſen; Iphigenie geht gleich im zweiten Vers in die warm beſchleunigte Prädicat-Häufung: des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines über und Beiſpiele noch viel reicherer Fülle ſind in der ächten Poeſie unendlich. — Die Verſinnlichung legt ſich nun aber natürlich auch in die Bezeichnung des Zuſtands oder Thuns durch das Zeitwort. Hier iſt immer die nähere, ſchärfere, ſinnlichere Beziehung der allgemeineren vorzuziehen. Es iſt poetiſcher, zu ſagen: der Schmerz wühlt, gräbt, nagt, bohrt im Innern, als: er bewegt, erfüllt es u. ſ. w. Es tritt hiemit, wie in dieſem Beiſpiel, meiſt ſchon metaphoriſche Bezeichnung ein und führt dieß daher zu der Be- trachtung des bildlichen Verfahrens im engeren Sinne des Worts; davon ſoll erſt nachher ſpezieller die Rede ſein, aber es iſt unumgänglich, ſchon bei dem Epitheton es zu erwähnen, ebenſo das metonymiſche Verfahren, wo der Dichter ſtatt der ganzen Thätigkeit eine nähere Erſcheinungsſeite derſelben heraus- ſtellt; wir führen hiezu nicht im Scherz als ächt harmoniſch gefühlt an, wenn Hebel, wo er den Wohlſtand eines Landgeiſtlichen ſchildert und unter An- derem ſeine Schweinezucht erwähnt, nicht etwa ſagt: in den Wäldern mäſtet ſich, ſondern: knarvelt d’Su. Das Verbum kann allerdings auch umge- kehrt die Enge des Sinnlichen vergeiſtigend erweitern, dieß führt jedoch ebenfalls zur Metapher. — Bei genauerer Analyſe wäre nun zu zeigen, wie die veranſchaulichende Kraft den Satz entwickelt, mit Zwiſchenſätzen gliedert (z. B. in Hermann und Dorothea, wo der Pfarrer dem Vater den Ring vom Finger zieht und in Parentheſe ſteht: nicht ſo leicht, denn er
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Liedes: „Kennſt du das Land,“ wir vernehmen kaum mehr das Rauſchen
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ſondern reg nennt, oder die geiſterhaft herbſtliche Stimmung in den Worten
des Mephiſtopheles: wie traurig ſteigt die unvollkommene Scheibe des
rothen Monds mit ſpäter Gluth heran, wir unterſcheiden kaum, wie viel
poetiſcher Wallenſtein von hohlen, als von leeren Lägern ſpricht. Gerade
unſere ſinnlich ſtarken Bezeichnungen ſind durch die Verſchwendung, indem
man nicht mehr nach dem paſſenden Orte fragt, allgemein, abſtract geworden.
Wie matt muß dem, der an lauter ſpaniſchen Pfeffer gewöhnt iſt, es
erſcheinen, wenn Göthe ſeinen Hermann nur wohlgebildet, den Vater den
menſchlichen Hauswirth, die Mutter die zuverläßige Gattin nennt! Die
letzteren zwei Prädicate ſind nicht verſinnlichend, ſondern moraliſch; der
Dichter hat ja überhaupt ebenſoſehr zu vergeiſtigen und zu verallgemeinern,
als zu individualiſiren; dieß Verfahren verfolgen wir hier im Allgemeinen
nicht, eine beſondere Wendung deſſelben aber wird zur Sprache kommen. —
Es gilt nun aber auch natürlich vom Epitheton, daß durch die allgemeine
Vorſchrift der Sparſamkeit das Häufen der Mittel im Moment ergiebig
hervorquellender Stimmung keineswegs ausgeſchloſſen iſt; unſere Phantaſie
kann recht wohl die ſucceſſiven Prädicate in ein ſimultanes Ganzes zuſam-
menfaſſen; Iphigenie geht gleich im zweiten Vers in die warm beſchleunigte
Prädicat-Häufung: des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines über und
Beiſpiele noch viel reicherer Fülle ſind in der ächten Poeſie unendlich. —
Die Verſinnlichung legt ſich nun aber natürlich auch in die Bezeichnung
des Zuſtands oder Thuns durch das Zeitwort. Hier iſt immer die
nähere, ſchärfere, ſinnlichere Beziehung der allgemeineren vorzuziehen. Es
iſt poetiſcher, zu ſagen: der Schmerz wühlt, gräbt, nagt, bohrt im Innern,
als: er bewegt, erfüllt es u. ſ. w. Es tritt hiemit, wie in dieſem Beiſpiel,
meiſt ſchon metaphoriſche Bezeichnung ein und führt dieß daher zu der Be-
trachtung des bildlichen Verfahrens im engeren Sinne des Worts; davon
ſoll erſt nachher ſpezieller die Rede ſein, aber es iſt unumgänglich, ſchon bei
dem Epitheton es zu erwähnen, ebenſo das metonymiſche Verfahren, wo der
Dichter ſtatt der ganzen Thätigkeit eine nähere Erſcheinungsſeite derſelben heraus-
ſtellt; wir führen hiezu nicht im Scherz als ächt harmoniſch gefühlt an, wenn
Hebel, wo er den Wohlſtand eines Landgeiſtlichen ſchildert und unter An-
derem ſeine Schweinezucht erwähnt, nicht etwa ſagt: in den Wäldern mäſtet
ſich, ſondern: knarvelt d’Su. Das Verbum kann allerdings auch umge-
kehrt die Enge des Sinnlichen vergeiſtigend erweitern, dieß führt jedoch
ebenfalls zur Metapher. — Bei genauerer Analyſe wäre nun zu zeigen,
wie die veranſchaulichende Kraft den Satz entwickelt, mit Zwiſchenſätzen
gliedert (z. B. in Hermann und Dorothea, wo der Pfarrer dem Vater den
Ring vom Finger zieht und in Parentheſe ſteht: nicht ſo leicht, denn er
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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