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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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die Vergleichung. Das "Wie" oder "Gleichsam" ist eine Verwahrung vor
der vorausgesetzten Prosa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle, und
stürzt ebendaher in diese. Das Komische freilich nimmt die Prosa absichtlich
auf und liebt darum die beschränkenden Redeformen (z. B. "Gottwalt be-
gann mäßig zu erstarren"), und so werden sie poetisch verwendbar wie
kümmerliche Körperformen malerisch, aber dieß bestätigt nur ihren negativen
Charakter.

2. Es sind nun zuerst die einfachsten Mittel der Veranschaulichung zu
betrachten. Die Poesie soll das Wort nicht als einen für die Phantasie
todten Begriff liegen lassen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes
aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, über-
nommen wird, so liegt das nächste Mittel, seinen Begriff für die Phantasie
zu beleben, in der Eigenschaftsbestimmung. Sie tritt hier wesentlich als
Zusatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es
handelt sich zunächst nicht um die Aussage, die durch den Satz erst erwachsen
soll, sondern, noch abgesehen von dieser, um eine Entwicklung des Subjects
an sich für das innere Schauen. Die Bezeichnung epitheton ornans will
dieß sagen, ist aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß,
was vom prosaischen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetischen
wesentliche Aufthauung des im Wort erstarrten Bildes ist. Diese Aus-
wicklung ist der Poesie so unentbehrlich, daß sie ihre Epitheta, natürlich vor
Allem im epischen Gebiete, gern als stehende fixirt, und zwar keineswegs blos
als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer's geflügeltes Wort, haupt-
umlockte Achaier, langhinstreckender Tod lassen uns nie stumpf, so oft sie
auch wiederkehren. Was schon mehrfach über das Gesetz der Einfachheit
der Anschauungsmittel gesagt ist, das gilt nun sogleich auch vom Epitheton.
In der neueren Poesie gibt namentlich Göthe's Hermann und Dorothea
lehrreiche Beispiele. W. v. Humboldt (Aesth. Vers. Abschn. XXX) entwickelt
treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, stark, gewaltig,
bei der ersten Schilderung von Dorothea, wo wir sie die Stiere des Wagens
lenken sehen, getragen vom großen poetischen Zusammenhang, ein ideales
Bild vor uns aufbauen. Ebenso steht durch die Wirkung des Zusammen-
hangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: -- "des
hohen wankenden Kornes, das die Durchschreitenden fast, die hohen Ge-
stalten, erreichte," eine heroisch große Anschauung vor uns. Unsere Prosa
hat sich so verwöhnt, mit starken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß
wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend ist, gegen
die Feinheit der Wahl des schlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit
fast abgestumpft sind; uns heißt Alles nur sogleich herrlich, schauerlich,
glühend, strahlend, lachend u. s. w., wir fühlen kaum die Schönheit und
Wirksamkeit der Adjective dunkel, sanft, blau, still, hoch im Anfang des

die Vergleichung. Das „Wie“ oder „Gleichſam“ iſt eine Verwahrung vor
der vorausgeſetzten Proſa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle, und
ſtürzt ebendaher in dieſe. Das Komiſche freilich nimmt die Proſa abſichtlich
auf und liebt darum die beſchränkenden Redeformen (z. B. „Gottwalt be-
gann mäßig zu erſtarren“), und ſo werden ſie poetiſch verwendbar wie
kümmerliche Körperformen maleriſch, aber dieß beſtätigt nur ihren negativen
Charakter.

2. Es ſind nun zuerſt die einfachſten Mittel der Veranſchaulichung zu
betrachten. Die Poeſie ſoll das Wort nicht als einen für die Phantaſie
todten Begriff liegen laſſen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes
aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, über-
nommen wird, ſo liegt das nächſte Mittel, ſeinen Begriff für die Phantaſie
zu beleben, in der Eigenſchaftsbeſtimmung. Sie tritt hier weſentlich als
Zuſatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es
handelt ſich zunächſt nicht um die Ausſage, die durch den Satz erſt erwachſen
ſoll, ſondern, noch abgeſehen von dieſer, um eine Entwicklung des Subjects
an ſich für das innere Schauen. Die Bezeichnung epitheton ornans will
dieß ſagen, iſt aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß,
was vom proſaiſchen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetiſchen
weſentliche Aufthauung des im Wort erſtarrten Bildes iſt. Dieſe Aus-
wicklung iſt der Poeſie ſo unentbehrlich, daß ſie ihre Epitheta, natürlich vor
Allem im epiſchen Gebiete, gern als ſtehende fixirt, und zwar keineswegs blos
als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer’s geflügeltes Wort, haupt-
umlockte Achaier, langhinſtreckender Tod laſſen uns nie ſtumpf, ſo oft ſie
auch wiederkehren. Was ſchon mehrfach über das Geſetz der Einfachheit
der Anſchauungsmittel geſagt iſt, das gilt nun ſogleich auch vom Epitheton.
In der neueren Poeſie gibt namentlich Göthe’s Hermann und Dorothea
lehrreiche Beiſpiele. W. v. Humboldt (Aeſth. Verſ. Abſchn. XXX) entwickelt
treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, ſtark, gewaltig,
bei der erſten Schilderung von Dorothea, wo wir ſie die Stiere des Wagens
lenken ſehen, getragen vom großen poetiſchen Zuſammenhang, ein ideales
Bild vor uns aufbauen. Ebenſo ſteht durch die Wirkung des Zuſammen-
hangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: — „des
hohen wankenden Kornes, das die Durchſchreitenden faſt, die hohen Ge-
ſtalten, erreichte,“ eine heroiſch große Anſchauung vor uns. Unſere Proſa
hat ſich ſo verwöhnt, mit ſtarken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß
wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend iſt, gegen
die Feinheit der Wahl des ſchlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit
faſt abgeſtumpft ſind; uns heißt Alles nur ſogleich herrlich, ſchauerlich,
glühend, ſtrahlend, lachend u. ſ. w., wir fühlen kaum die Schönheit und
Wirkſamkeit der Adjective dunkel, ſanft, blau, ſtill, hoch im Anfang des

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[1221/0085] die Vergleichung. Das „Wie“ oder „Gleichſam“ iſt eine Verwahrung vor der vorausgeſetzten Proſa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle, und ſtürzt ebendaher in dieſe. Das Komiſche freilich nimmt die Proſa abſichtlich auf und liebt darum die beſchränkenden Redeformen (z. B. „Gottwalt be- gann mäßig zu erſtarren“), und ſo werden ſie poetiſch verwendbar wie kümmerliche Körperformen maleriſch, aber dieß beſtätigt nur ihren negativen Charakter. 2. Es ſind nun zuerſt die einfachſten Mittel der Veranſchaulichung zu betrachten. Die Poeſie ſoll das Wort nicht als einen für die Phantaſie todten Begriff liegen laſſen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, über- nommen wird, ſo liegt das nächſte Mittel, ſeinen Begriff für die Phantaſie zu beleben, in der Eigenſchaftsbeſtimmung. Sie tritt hier weſentlich als Zuſatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es handelt ſich zunächſt nicht um die Ausſage, die durch den Satz erſt erwachſen ſoll, ſondern, noch abgeſehen von dieſer, um eine Entwicklung des Subjects an ſich für das innere Schauen. Die Bezeichnung epitheton ornans will dieß ſagen, iſt aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß, was vom proſaiſchen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetiſchen weſentliche Aufthauung des im Wort erſtarrten Bildes iſt. Dieſe Aus- wicklung iſt der Poeſie ſo unentbehrlich, daß ſie ihre Epitheta, natürlich vor Allem im epiſchen Gebiete, gern als ſtehende fixirt, und zwar keineswegs blos als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer’s geflügeltes Wort, haupt- umlockte Achaier, langhinſtreckender Tod laſſen uns nie ſtumpf, ſo oft ſie auch wiederkehren. Was ſchon mehrfach über das Geſetz der Einfachheit der Anſchauungsmittel geſagt iſt, das gilt nun ſogleich auch vom Epitheton. In der neueren Poeſie gibt namentlich Göthe’s Hermann und Dorothea lehrreiche Beiſpiele. W. v. Humboldt (Aeſth. Verſ. Abſchn. XXX) entwickelt treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, ſtark, gewaltig, bei der erſten Schilderung von Dorothea, wo wir ſie die Stiere des Wagens lenken ſehen, getragen vom großen poetiſchen Zuſammenhang, ein ideales Bild vor uns aufbauen. Ebenſo ſteht durch die Wirkung des Zuſammen- hangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: — „des hohen wankenden Kornes, das die Durchſchreitenden faſt, die hohen Ge- ſtalten, erreichte,“ eine heroiſch große Anſchauung vor uns. Unſere Proſa hat ſich ſo verwöhnt, mit ſtarken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend iſt, gegen die Feinheit der Wahl des ſchlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit faſt abgeſtumpft ſind; uns heißt Alles nur ſogleich herrlich, ſchauerlich, glühend, ſtrahlend, lachend u. ſ. w., wir fühlen kaum die Schönheit und Wirkſamkeit der Adjective dunkel, ſanft, blau, ſtill, hoch im Anfang des

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/85>, abgerufen am 24.11.2024.