Die Herrschaft starker Contrast wirkungen neben den milden ergibt sich aus dem durchschlagenden, stoßweisen Gange des Drama. Sie liegen theils in den Charakteren, theils in den Handlungen. So steigert Shakes- peare die Schwärze von Makbeth's That durch Duncan's reine Güte, wobei er den Tadel der Schwäche unterdrückt, welchen seine Quelle, die Chronik, enthielt, so die Furchtbarkeit des Mords durch den friedlichen Eindruck der Schwalbennester, der balsamischen Luft, unter welchem Duncan in Makbeth's Schloß tritt. Strenge Motivirung folgt als unverbrüchliche Forderung daraus, daß der dramatische Dichter seinen Stoff in das straffste Netz der ethischen Causalität schnüren muß. Dieß scheint mit der Forderung des stoßweisen Fortschritts, der entscheidenden Ausbrüche, kurz mit dem hier so stark waltenden Momente der Plötzlichkeit in Widerspruch zu stehen. Allein wir haben bereits gesagt, daß gründliche Vorbereitung nicht die Ueber- raschung aufhebt. Der Durchbruch einer Summe von Kräften zu einer starken Wirkung ist immer etwas wirklich Neues, obwohl nur ein reif gewordenes Maaß dessen, was vorher schon da war. Die Motivirung muß vor Allem eine innerliche sein, d. h. Pathos und That muß aus dem Charakter, indem er bestimmte äußere Umstände vermöge seiner ganzen Organisation zu Triebfedern erhebt, mit innerer Nothwendigkeit fließen. Schwieriger ist die Frage, wie weit die Motivirung bestimmter Momente einer Handlung an das Aeußere anknüpfen soll. Göthe erzählt z. B. (Eckerm. Th. 1, S. 196 ff.), Schiller habe seinen Geßler ohne äußern Anlaß auf den grausamen Gedanken kommen lassen wollen, daß Tell dem Kind einen Apfel vom Kopfe schieße, mühsam habe er ihn dahin gebracht, diesen Gedanken dadurch zu motiviren, daß der Knabe vorher die Geschick- lichkeit des Vaters rühme, einen Apfel vom Baume zu schießen. -- Ihre besondere Wichtigkeit hat die Motivirung auf dem Puncte, wo die Ent- scheidung eintritt. Der Deus ex machina war bei den Alten etwas Anderes, als bei den Neueren. Eingriff einer Gottheit erschien ihnen nicht als etwas blos Aeußerliches, weil die Gottheit zum Voraus die Persongewordene sittliche Macht war, welche die neuere Kunst nur in die Menschen selbst legen und aus ihren Handlungen hervorspringen lassen darf. An die Stelle der Götter sind in der modernen Poesie Fürsten, fürstliche Handbillets, Zufälle, Gelegenheiten zu Lebenserrettungen u. dergl. getreten, und solche Aeußerlichkeit der Motive ist nicht durch einen ethischen Zusammenhang entschuldigt wie der Eingriff jener Transcendenz. Wie der rechte Dichter Alles bindet, zeigt nichts besser, als eine Vergleichung bedeutender Dramen mit der epischen Quelle, wo sie aus solcher geflossen. Man sehe z. B. den Schluß der Novelle nach, die dem Othello zu Grunde liegt: hier wird Othello Jahre lang nach der Ermordung der Desdemona von Verwandten derselben getödtet.
Die Herrſchaft ſtarker Contraſt wirkungen neben den milden ergibt ſich aus dem durchſchlagenden, ſtoßweiſen Gange des Drama. Sie liegen theils in den Charakteren, theils in den Handlungen. So ſteigert Shakes- peare die Schwärze von Makbeth’s That durch Duncan’s reine Güte, wobei er den Tadel der Schwäche unterdrückt, welchen ſeine Quelle, die Chronik, enthielt, ſo die Furchtbarkeit des Mords durch den friedlichen Eindruck der Schwalbenneſter, der balſamiſchen Luft, unter welchem Duncan in Makbeth’s Schloß tritt. Strenge Motivirung folgt als unverbrüchliche Forderung daraus, daß der dramatiſche Dichter ſeinen Stoff in das ſtraffſte Netz der ethiſchen Cauſalität ſchnüren muß. Dieß ſcheint mit der Forderung des ſtoßweiſen Fortſchritts, der entſcheidenden Ausbrüche, kurz mit dem hier ſo ſtark waltenden Momente der Plötzlichkeit in Widerſpruch zu ſtehen. Allein wir haben bereits geſagt, daß gründliche Vorbereitung nicht die Ueber- raſchung aufhebt. Der Durchbruch einer Summe von Kräften zu einer ſtarken Wirkung iſt immer etwas wirklich Neues, obwohl nur ein reif gewordenes Maaß deſſen, was vorher ſchon da war. Die Motivirung muß vor Allem eine innerliche ſein, d. h. Pathos und That muß aus dem Charakter, indem er beſtimmte äußere Umſtände vermöge ſeiner ganzen Organiſation zu Triebfedern erhebt, mit innerer Nothwendigkeit fließen. Schwieriger iſt die Frage, wie weit die Motivirung beſtimmter Momente einer Handlung an das Aeußere anknüpfen ſoll. Göthe erzählt z. B. (Eckerm. Th. 1, S. 196 ff.), Schiller habe ſeinen Geßler ohne äußern Anlaß auf den grauſamen Gedanken kommen laſſen wollen, daß Tell dem Kind einen Apfel vom Kopfe ſchieße, mühſam habe er ihn dahin gebracht, dieſen Gedanken dadurch zu motiviren, daß der Knabe vorher die Geſchick- lichkeit des Vaters rühme, einen Apfel vom Baume zu ſchießen. — Ihre beſondere Wichtigkeit hat die Motivirung auf dem Puncte, wo die Ent- ſcheidung eintritt. Der Deus ex machina war bei den Alten etwas Anderes, als bei den Neueren. Eingriff einer Gottheit erſchien ihnen nicht als etwas blos Aeußerliches, weil die Gottheit zum Voraus die Perſongewordene ſittliche Macht war, welche die neuere Kunſt nur in die Menſchen ſelbſt legen und aus ihren Handlungen hervorſpringen laſſen darf. An die Stelle der Götter ſind in der modernen Poeſie Fürſten, fürſtliche Handbillets, Zufälle, Gelegenheiten zu Lebenserrettungen u. dergl. getreten, und ſolche Aeußerlichkeit der Motive iſt nicht durch einen ethiſchen Zuſammenhang entſchuldigt wie der Eingriff jener Tranſcendenz. Wie der rechte Dichter Alles bindet, zeigt nichts beſſer, als eine Vergleichung bedeutender Dramen mit der epiſchen Quelle, wo ſie aus ſolcher gefloſſen. Man ſehe z. B. den Schluß der Novelle nach, die dem Othello zu Grunde liegt: hier wird Othello Jahre lang nach der Ermordung der Desdemona von Verwandten derſelben getödtet.
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Die Herrſchaft ſtarker Contraſt wirkungen neben den milden ergibt
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theils in den Charakteren, theils in den Handlungen. So ſteigert Shakes-
peare die Schwärze von Makbeth’s That durch Duncan’s reine Güte, wobei
er den Tadel der Schwäche unterdrückt, welchen ſeine Quelle, die Chronik,
enthielt, ſo die Furchtbarkeit des Mords durch den friedlichen Eindruck der
Schwalbenneſter, der balſamiſchen Luft, unter welchem Duncan in Makbeth’s
Schloß tritt. Strenge Motivirung folgt als unverbrüchliche Forderung
daraus, daß der dramatiſche Dichter ſeinen Stoff in das ſtraffſte Netz der
ethiſchen Cauſalität ſchnüren muß. Dieß ſcheint mit der Forderung des
ſtoßweiſen Fortſchritts, der entſcheidenden Ausbrüche, kurz mit dem hier ſo
ſtark waltenden Momente der Plötzlichkeit in Widerſpruch zu ſtehen. Allein
wir haben bereits geſagt, daß gründliche Vorbereitung nicht die Ueber-
raſchung aufhebt. Der Durchbruch einer Summe von Kräften zu einer
ſtarken Wirkung iſt immer etwas wirklich Neues, obwohl nur ein reif
gewordenes Maaß deſſen, was vorher ſchon da war. Die Motivirung
muß vor Allem eine innerliche ſein, d. h. Pathos und That muß aus dem
Charakter, indem er beſtimmte äußere Umſtände vermöge ſeiner ganzen
Organiſation zu Triebfedern erhebt, mit innerer Nothwendigkeit fließen.
Schwieriger iſt die Frage, wie weit die Motivirung beſtimmter Momente
einer Handlung an das Aeußere anknüpfen ſoll. Göthe erzählt z. B.
(Eckerm. Th. 1, S. 196 ff.), Schiller habe ſeinen Geßler ohne äußern
Anlaß auf den grauſamen Gedanken kommen laſſen wollen, daß Tell dem
Kind einen Apfel vom Kopfe ſchieße, mühſam habe er ihn dahin gebracht,
dieſen Gedanken dadurch zu motiviren, daß der Knabe vorher die Geſchick-
lichkeit des Vaters rühme, einen Apfel vom Baume zu ſchießen. — Ihre
beſondere Wichtigkeit hat die Motivirung auf dem Puncte, wo die Ent-
ſcheidung eintritt. Der Deus ex machina war bei den Alten etwas Anderes,
als bei den Neueren. Eingriff einer Gottheit erſchien ihnen nicht als etwas
blos Aeußerliches, weil die Gottheit zum Voraus die Perſongewordene
ſittliche Macht war, welche die neuere Kunſt nur in die Menſchen ſelbſt
legen und aus ihren Handlungen hervorſpringen laſſen darf. An die Stelle
der Götter ſind in der modernen Poeſie Fürſten, fürſtliche Handbillets,
Zufälle, Gelegenheiten zu Lebenserrettungen u. dergl. getreten, und ſolche
Aeußerlichkeit der Motive iſt nicht durch einen ethiſchen Zuſammenhang
entſchuldigt wie der Eingriff jener Tranſcendenz. Wie der rechte Dichter
Alles bindet, zeigt nichts beſſer, als eine Vergleichung bedeutender Dramen
mit der epiſchen Quelle, wo ſie aus ſolcher gefloſſen. Man ſehe z. B. den
Schluß der Novelle nach, die dem Othello zu Grunde liegt: hier wird
Othello Jahre lang nach der Ermordung der Desdemona von Verwandten
derſelben getödtet.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/262>, abgerufen am 22.11.2024.
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