Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.
Eintheilung Ballade und Romanze und warnt uns, Alles eintheilen zu §. 894. Die Lyrik der Betrachtung steht auf dem Punct einer beginnenden1. 1. Wir könnten das Wesen dieser Form auch als eine bis an die Vischer's Aesthetik. 4. Band. 88
Eintheilung Ballade und Romanze und warnt uns, Alles eintheilen zu §. 894. Die Lyrik der Betrachtung ſteht auf dem Punct einer beginnenden1. 1. Wir könnten das Weſen dieſer Form auch als eine bis an die Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 88
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0231" n="1367"/> Eintheilung Ballade und Romanze und warnt uns, Alles eintheilen zu<lb/> wollen. Man hat unſern in dieſen Formen ſo reichen Uhland als den<lb/> Claſſiker der Romantik bezeichnet; am Marke des Volkslieds genährt, eine<lb/> gediegene, einfach körnige Natur, die ſich doch mit offener Seele den ver-<lb/> ſchiedenen Stimmungen der nord- und ſüdfranzöſiſchen, ſpaniſchen Romantik,<lb/> des claſſiſchen Alterthums, wie der dunkleren, härteren, biderben altdeutſchen<lb/> Welt öffnet, führt er überall einen ſcharfen Meiſel, der jedem Geſteine klar<lb/> beſtimmte, reine Geſtalt gibt. In der Deutlichkeit des Umriſſes, welche<lb/> auch ein ahnungsvoll dunkler Inhalt hiedurch erhält, wird denn die Grenze<lb/> zwiſchen Ballade und Romanze, jetzt abgeſehen von jener ſubjectiveren<lb/> Nebenform der letzteren, der wir einen Theil dieſer Gedichte bereits zuge-<lb/> wieſen haben, nothwendig ungewiß werden. Da, wo mehr Volksliedston<lb/> iſt, kann kein Zweifel ſein; aber wohin ſollen wir z. B. <hi rendition="#aq">Ver sacrum</hi> zählen<lb/> und mit ihm die ganze Welt epiſch lyriſcher Gedichte, die im Inhalte bald<lb/> finſter, bald heiter, im Ton und Gang bald dramatiſch bewegter, bald milder<lb/> und heller fließend, doch in der ganzen Form zu claſſiſch durchgebildet ſind,<lb/> zu ſichtbar auf claſſiſchem Kothurne gehen, um unter Begriffe eingereiht zu<lb/> werden, die doch immer an die Naivetät der Volkspoeſie erinnern? Es<lb/> bleibt alſo dabei, daß hier keine zu erſchöpfender Eintheilung ausreichende<lb/> Terminologie beſteht.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 894.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Lyrik der <hi rendition="#g">Betrachtung</hi> ſteht auf dem Punct einer beginnenden<note place="right">1.</note><lb/> Auflöſung des reinen Gefühlszuſtands, worin derſelbe in eine beſchauende und<lb/> beſchaute Seite auseinandergeht, die in ein Wechſelſpiel treten, in welchem die<lb/> Empfindung mit verhüllter oder ausgeſprochener Wehmuth ihrer eben noch warmen<lb/> und eben verkühlenden Schönheit nachblickt und näher oder entfernter bereits<lb/> den denkenden Geiſt durchſcheinen läßt. Unter den claſſiſchen Formen gehört<lb/> hieher die <hi rendition="#g">Elegie</hi>, aus dem Oriente in verſchiedener Beziehung die indiſche und<lb/> die kunſtreichen Bildungen der <hi rendition="#g">muhamedaniſchen</hi> Lyrik, aus der romaniſchen<lb/> Literatur die verſchlungenen Strophen des <hi rendition="#g">Sonetts</hi> u. a. An der Grenze der<note place="right">2.</note><lb/> Proſa liegt als beſondere Form das <hi rendition="#g">Epigramm</hi> und mit ihm eine große,<lb/> unbeſtimmte Maſſe, die ſich unter dem Namen der ſchönen Gedankenpoeſie zu-<lb/> ſammenfaſſen läßt und namentlich der modernen Zeit und der deutſchen Poeſie<lb/> angehört.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Wir könnten das Weſen dieſer Form auch als eine bis an die<lb/> Grenze der äſthetiſchen Einheit fortſchreitende Entbindung des Gnomiſchen<lb/> bezeichnen, wenn wir nicht eben hier der gnomiſchen Poeſie im engeren<lb/> Sinn uns näherten, die wir doch als beſondere Form in den Anhang vom<lb/> Didaktiſchen verweiſen und mit welcher wir das vorliegende Gebiet nicht</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Viſcher’s</hi> Aeſthetik. 4. Band. 88</fw><lb/> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1367/0231]
Eintheilung Ballade und Romanze und warnt uns, Alles eintheilen zu
wollen. Man hat unſern in dieſen Formen ſo reichen Uhland als den
Claſſiker der Romantik bezeichnet; am Marke des Volkslieds genährt, eine
gediegene, einfach körnige Natur, die ſich doch mit offener Seele den ver-
ſchiedenen Stimmungen der nord- und ſüdfranzöſiſchen, ſpaniſchen Romantik,
des claſſiſchen Alterthums, wie der dunkleren, härteren, biderben altdeutſchen
Welt öffnet, führt er überall einen ſcharfen Meiſel, der jedem Geſteine klar
beſtimmte, reine Geſtalt gibt. In der Deutlichkeit des Umriſſes, welche
auch ein ahnungsvoll dunkler Inhalt hiedurch erhält, wird denn die Grenze
zwiſchen Ballade und Romanze, jetzt abgeſehen von jener ſubjectiveren
Nebenform der letzteren, der wir einen Theil dieſer Gedichte bereits zuge-
wieſen haben, nothwendig ungewiß werden. Da, wo mehr Volksliedston
iſt, kann kein Zweifel ſein; aber wohin ſollen wir z. B. Ver sacrum zählen
und mit ihm die ganze Welt epiſch lyriſcher Gedichte, die im Inhalte bald
finſter, bald heiter, im Ton und Gang bald dramatiſch bewegter, bald milder
und heller fließend, doch in der ganzen Form zu claſſiſch durchgebildet ſind,
zu ſichtbar auf claſſiſchem Kothurne gehen, um unter Begriffe eingereiht zu
werden, die doch immer an die Naivetät der Volkspoeſie erinnern? Es
bleibt alſo dabei, daß hier keine zu erſchöpfender Eintheilung ausreichende
Terminologie beſteht.
§. 894.
Die Lyrik der Betrachtung ſteht auf dem Punct einer beginnenden
Auflöſung des reinen Gefühlszuſtands, worin derſelbe in eine beſchauende und
beſchaute Seite auseinandergeht, die in ein Wechſelſpiel treten, in welchem die
Empfindung mit verhüllter oder ausgeſprochener Wehmuth ihrer eben noch warmen
und eben verkühlenden Schönheit nachblickt und näher oder entfernter bereits
den denkenden Geiſt durchſcheinen läßt. Unter den claſſiſchen Formen gehört
hieher die Elegie, aus dem Oriente in verſchiedener Beziehung die indiſche und
die kunſtreichen Bildungen der muhamedaniſchen Lyrik, aus der romaniſchen
Literatur die verſchlungenen Strophen des Sonetts u. a. An der Grenze der
Proſa liegt als beſondere Form das Epigramm und mit ihm eine große,
unbeſtimmte Maſſe, die ſich unter dem Namen der ſchönen Gedankenpoeſie zu-
ſammenfaſſen läßt und namentlich der modernen Zeit und der deutſchen Poeſie
angehört.
1. Wir könnten das Weſen dieſer Form auch als eine bis an die
Grenze der äſthetiſchen Einheit fortſchreitende Entbindung des Gnomiſchen
bezeichnen, wenn wir nicht eben hier der gnomiſchen Poeſie im engeren
Sinn uns näherten, die wir doch als beſondere Form in den Anhang vom
Didaktiſchen verweiſen und mit welcher wir das vorliegende Gebiet nicht
Viſcher’s Aeſthetik. 4. Band. 88
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |