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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

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welche scheinbar ganz darin aufgehen, eine Anschauung zu geben, sei es ein
ruhendes Naturbild, Sittenbild oder eine Erzählung. Es ist aber noch nicht
die Rede von diesen besondern Formen, sie sind dem Abschnitte von den
Zweigen vorbehalten, hier nur vorbereitet. Betrachtet man nun das letzte
der aufgeführten Mittel des lyrischen Gefühls näher, so ist es eine Art
dunkler Symbolik, wodurch der leibliche Zustand den Seelenzustand reflectirt.
Behutsam angewendet gilt ebendieser Begriff dunkler Symbolik von den
objectiveren Anschauungs-Elementen, die vorher aufgeführt sind. Es handelt
sich hier noch gar nicht von der eigentlichen Vergleichung, aber das An-
geschaute wird ähnlich wie in dem dunkeln Zusammenfühlen von Inhalt
und Bild im altreligiösen Symbole zu einem Spiegel, verliert seine Selb-
ständigkeit, das Gefühl, hülflos in seiner Unaussprechlichkeit, hängt sich
daran, heftet sich daran, senkt sich hinein, um sich an ihm wie an einem
Sinnbilde zum Ausdruck zu verhelfen. So in Desdemonen's Liede der
Refrain von der grünen Weide; das verlassene Mädchen sagt uns nicht,
wie sie unter der Weide sitzt und ihr die grauen, hingegossenen Blätter und
Zweige zum Bilde ihres Zustands werden, der sich ganz in Thränen hin-
gießen möchte, sie vergleicht nicht, es schwebt ihr nur so vor, aber sie muß
immer darauf zurückkommen. Ein andermal sind es Blumen, ein murmeln-
der Bach, eine neblige Haide, woran das Gefühl des eigenen Zustandes
anschließt. In Göthe's Strophe: "Ueber allen Wipfeln ist Ruh'" haben
wir dieß innig symbolische Hineinfühlen in die Natur oder das Heraus-
fühlen aus ihr in unvergleichlich reiner Form. In Ed. Mörike's Jägerlied
erinnert die zierliche Spur des Vogels im Schnee den Waidmann an die
zierlicheren Züge in den Briefchen der geliebten Hand aus weiter Ferne;
nun sieht er einen Reiher hoch in den Lüften und voll von dem Gedanken
der Macht der Liebe über Zeit und Raum ruft er aus: tausendmal so hoch
und so geschwind die Gedanken treuer Liebe sind. -- Ein Anderes ist nun
die eigentliche Vergleichung. Es bedarf keines Beweises, daß das Gefühl
aus demselben Grunde, wie nach jenen zunächst directen Bildern, nach ihr
greift, nämlich eben, weil es nicht unmittelbar sich selbst aussprechen kann.
Daher spielt die Vergleichung in der Lyrik eine so wesentliche Rolle wie im
epischen Gebiete, ja sie wird noch ungleich häufiger auftreten, aber in einem
ganz verschiedenen Charakter: ein Unterschied, den wir nachher an anderem
Orte verfolgen werden; hier weisen wir auf die Stärke der Geltung dieses
Mittels zunächst nur hin, indem wir eine tief bezeichnende Erscheinung
hervorheben: das Bedürfniß, die dunkle Stimmung in einem Andern,
Helleren zu spiegeln, dem in's Unendliche sich verlierenden Hintergrunde das
Gegengewicht eines deutlichen Vordergrunds zu geben, ist so stark, daß es
die Lyrik liebt, geradezu eine ganze Empfindung, einen ganzen Gedanken
nur an einem Tropus fortlaufend und ihn durchführend zu entwickeln:

welche ſcheinbar ganz darin aufgehen, eine Anſchauung zu geben, ſei es ein
ruhendes Naturbild, Sittenbild oder eine Erzählung. Es iſt aber noch nicht
die Rede von dieſen beſondern Formen, ſie ſind dem Abſchnitte von den
Zweigen vorbehalten, hier nur vorbereitet. Betrachtet man nun das letzte
der aufgeführten Mittel des lyriſchen Gefühls näher, ſo iſt es eine Art
dunkler Symbolik, wodurch der leibliche Zuſtand den Seelenzuſtand reflectirt.
Behutſam angewendet gilt ebendieſer Begriff dunkler Symbolik von den
objectiveren Anſchauungs-Elementen, die vorher aufgeführt ſind. Es handelt
ſich hier noch gar nicht von der eigentlichen Vergleichung, aber das An-
geſchaute wird ähnlich wie in dem dunkeln Zuſammenfühlen von Inhalt
und Bild im altreligiöſen Symbole zu einem Spiegel, verliert ſeine Selb-
ſtändigkeit, das Gefühl, hülflos in ſeiner Unausſprechlichkeit, hängt ſich
daran, heftet ſich daran, ſenkt ſich hinein, um ſich an ihm wie an einem
Sinnbilde zum Ausdruck zu verhelfen. So in Desdemonen’s Liede der
Refrain von der grünen Weide; das verlaſſene Mädchen ſagt uns nicht,
wie ſie unter der Weide ſitzt und ihr die grauen, hingegoſſenen Blätter und
Zweige zum Bilde ihres Zuſtands werden, der ſich ganz in Thränen hin-
gießen möchte, ſie vergleicht nicht, es ſchwebt ihr nur ſo vor, aber ſie muß
immer darauf zurückkommen. Ein andermal ſind es Blumen, ein murmeln-
der Bach, eine neblige Haide, woran das Gefühl des eigenen Zuſtandes
anſchließt. In Göthe’s Strophe: „Ueber allen Wipfeln iſt Ruh’“ haben
wir dieß innig ſymboliſche Hineinfühlen in die Natur oder das Heraus-
fühlen aus ihr in unvergleichlich reiner Form. In Ed. Mörike’s Jägerlied
erinnert die zierliche Spur des Vogels im Schnee den Waidmann an die
zierlicheren Züge in den Briefchen der geliebten Hand aus weiter Ferne;
nun ſieht er einen Reiher hoch in den Lüften und voll von dem Gedanken
der Macht der Liebe über Zeit und Raum ruft er aus: tauſendmal ſo hoch
und ſo geſchwind die Gedanken treuer Liebe ſind. — Ein Anderes iſt nun
die eigentliche Vergleichung. Es bedarf keines Beweiſes, daß das Gefühl
aus demſelben Grunde, wie nach jenen zunächſt directen Bildern, nach ihr
greift, nämlich eben, weil es nicht unmittelbar ſich ſelbſt ausſprechen kann.
Daher ſpielt die Vergleichung in der Lyrik eine ſo weſentliche Rolle wie im
epiſchen Gebiete, ja ſie wird noch ungleich häufiger auftreten, aber in einem
ganz verſchiedenen Charakter: ein Unterſchied, den wir nachher an anderem
Orte verfolgen werden; hier weiſen wir auf die Stärke der Geltung dieſes
Mittels zunächſt nur hin, indem wir eine tief bezeichnende Erſcheinung
hervorheben: das Bedürfniß, die dunkle Stimmung in einem Andern,
Helleren zu ſpiegeln, dem in’s Unendliche ſich verlierenden Hintergrunde das
Gegengewicht eines deutlichen Vordergrunds zu geben, iſt ſo ſtark, daß es
die Lyrik liebt, geradezu eine ganze Empfindung, einen ganzen Gedanken
nur an einem Tropus fortlaufend und ihn durchführend zu entwickeln:

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[1328/0192] welche ſcheinbar ganz darin aufgehen, eine Anſchauung zu geben, ſei es ein ruhendes Naturbild, Sittenbild oder eine Erzählung. Es iſt aber noch nicht die Rede von dieſen beſondern Formen, ſie ſind dem Abſchnitte von den Zweigen vorbehalten, hier nur vorbereitet. Betrachtet man nun das letzte der aufgeführten Mittel des lyriſchen Gefühls näher, ſo iſt es eine Art dunkler Symbolik, wodurch der leibliche Zuſtand den Seelenzuſtand reflectirt. Behutſam angewendet gilt ebendieſer Begriff dunkler Symbolik von den objectiveren Anſchauungs-Elementen, die vorher aufgeführt ſind. Es handelt ſich hier noch gar nicht von der eigentlichen Vergleichung, aber das An- geſchaute wird ähnlich wie in dem dunkeln Zuſammenfühlen von Inhalt und Bild im altreligiöſen Symbole zu einem Spiegel, verliert ſeine Selb- ſtändigkeit, das Gefühl, hülflos in ſeiner Unausſprechlichkeit, hängt ſich daran, heftet ſich daran, ſenkt ſich hinein, um ſich an ihm wie an einem Sinnbilde zum Ausdruck zu verhelfen. So in Desdemonen’s Liede der Refrain von der grünen Weide; das verlaſſene Mädchen ſagt uns nicht, wie ſie unter der Weide ſitzt und ihr die grauen, hingegoſſenen Blätter und Zweige zum Bilde ihres Zuſtands werden, der ſich ganz in Thränen hin- gießen möchte, ſie vergleicht nicht, es ſchwebt ihr nur ſo vor, aber ſie muß immer darauf zurückkommen. Ein andermal ſind es Blumen, ein murmeln- der Bach, eine neblige Haide, woran das Gefühl des eigenen Zuſtandes anſchließt. In Göthe’s Strophe: „Ueber allen Wipfeln iſt Ruh’“ haben wir dieß innig ſymboliſche Hineinfühlen in die Natur oder das Heraus- fühlen aus ihr in unvergleichlich reiner Form. In Ed. Mörike’s Jägerlied erinnert die zierliche Spur des Vogels im Schnee den Waidmann an die zierlicheren Züge in den Briefchen der geliebten Hand aus weiter Ferne; nun ſieht er einen Reiher hoch in den Lüften und voll von dem Gedanken der Macht der Liebe über Zeit und Raum ruft er aus: tauſendmal ſo hoch und ſo geſchwind die Gedanken treuer Liebe ſind. — Ein Anderes iſt nun die eigentliche Vergleichung. Es bedarf keines Beweiſes, daß das Gefühl aus demſelben Grunde, wie nach jenen zunächſt directen Bildern, nach ihr greift, nämlich eben, weil es nicht unmittelbar ſich ſelbſt ausſprechen kann. Daher ſpielt die Vergleichung in der Lyrik eine ſo weſentliche Rolle wie im epiſchen Gebiete, ja ſie wird noch ungleich häufiger auftreten, aber in einem ganz verſchiedenen Charakter: ein Unterſchied, den wir nachher an anderem Orte verfolgen werden; hier weiſen wir auf die Stärke der Geltung dieſes Mittels zunächſt nur hin, indem wir eine tief bezeichnende Erſcheinung hervorheben: das Bedürfniß, die dunkle Stimmung in einem Andern, Helleren zu ſpiegeln, dem in’s Unendliche ſich verlierenden Hintergrunde das Gegengewicht eines deutlichen Vordergrunds zu geben, iſt ſo ſtark, daß es die Lyrik liebt, geradezu eine ganze Empfindung, einen ganzen Gedanken nur an einem Tropus fortlaufend und ihn durchführend zu entwickeln:

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/192>, abgerufen am 23.11.2024.